Eltern
Blog
Spiegelbild als Referenz und Massstab

Meine Töchter und ihr Verhältnis zum Spiegel

Mit zunehmendem Alter gewinnt das eigene Spiegelbild beim Nachwuchs an Bedeutung. (Bild: Adobe Stock)

Er hängt in jeder Wohnung. Hat man grad keinen zur Hand, dient die Handykamera als Ersatz. Oder ein Schaufenster im Vorbeigehen. Und er wird bei meinen Teenager-Töchtern immer wichtiger: der Spiegel. Fluch und Segen zugleich.

Unser Spiegelbild gilt als Referenz. Wie sehe ich aus? Passt meine Frisur noch nach dem Windstoss? Habe ich Spinat zwischen den Zähnen? Als Mutter zweier Mädchen im Alter von 10 und 13 Jahren beobachte ich, wie der Spiegel zusehend wichtiger wird. Vorbei sind die Zeiten, als man den Fröleins noch mit dem Waschlappen hinterherhechten musste, um ihren Ovischnabel zu reinigen, oder sie auf die Zahnpastaspuren im Mundwinkel aufmerksam machen musste. Es wird immer öfter in den Spiegel geschaut.

Inzwischen haben beide Fröleins einen Ganzkörperspiegel in ihrem Zimmer. Dies, um Outfit-Kombinationen zu sehen. Ihr Spiegelbild zu betrachten. Oder Spiegel-Selfies zu machen.

Das Spiegelbild spielerisch erkunden

Ich erinnere mich an die Zeit, in der die Kleinkinder sich selbst noch nicht erkannten im Spiegel. Sie winkten ihrem Spiegelbild zu, tasteten diesen mit ihren Patschhändchen ab und schenkten ihrem Vis-à-vis einen verstohlenen, nassen Kuss. Indem sich Kinder in einem Spiegel beobachten, erhalten sie ein gutes Verständnis dafür, wer sie sind und was sie können. Sie beobachten sich selbst beim Spielen. Dadurch wird ihr Selbstwertgefühl gestärkt. Sie erhalten ein Gefühl für sich selbst und ihre eigene Identität.

Einige Jahre später ist der Spiegel Fluch und Segen zugleich, und ich zweifle, ob er viel zur Stärkung des Selbstwertgefühls eines jungen Menschen beiträgt. Die Fotogallerie des grossen Fröleins ist zur Hälfte gefüllt mit Spiegel-Selfies. Der Spiegel dient als Referenz und Massstab. Sie braucht jeweils ein paar Tage auf einem Campingplatz, wo Spiegel eher rares Gut sind, um loszulassen. Dieses Gefühl oder der Drang, sich im Spiegel zu sehen. Die Haarbürste hervorzunehmen und was zu korrigieren.

Ein gesundes Körperbild

Als Mutter zweier Mädchen mache ich mir viele Gedanken dazu, wie sie einen gesunden Selbstwert entwickeln ihrem Körper gegenüber. Ja, Sie werden nun intervenieren und sagen: «Aber das ist ja bei Jungen genauso!» Mädchen sind es von klein auf gewohnt, dass ihr Äusserliches bewertet wird. Sie erhalten Komplimente für ihre hübsche Frisur, das zauberhafte Kleid, ihre schlanke Figur (ja, das passiert meiner 13-jährigen Tochter).

Kinder erkunden ihr Spiegelbild erst einmal spielerisch.
Kinder erkunden ihr Spiegelbild erst einmal spielerisch. (Bild: Nadja Stadelmann)

Figuren in Kinderfilmen haben unrealistische Körperbilder. Lebensfähig wäre man mit einem solchen Körper keinesfalls. Wer braucht schon Leber und Milz, wenn man schön sein kann? Ich frage mich, wie die Fröleins ein gesundes Verständnis und auch eine Grosszügigkeit ihrem Körper gegenüber entwickeln können.

Dieser Körper, der jeden Tag mit Wachsen und dem Weiterentwickeln beschäftigt ist. Dieser Körper, der aufgeschürfte Knie im Nullkommanix wieder heilt. Dieser Körper, der sie jeden Tag zur Schule bringt und sie dort Leistungen abrufen lässt. Dieser Körper, der toben und Gefühle rauslassen kann. Dieser Körper, der sie nach einer Doppellektion Turnen am Abend noch ins Sporttraining lässt und mitmacht. Dieser Körper, der mit unterschiedlicher Menge Schlaf auskommt und so viel Denkarbeit zulässt.

Einfluss der digitalen Welt

Gerade mit dem Einzug der sozialen Medien und KI in unser Leben sind Jugendliche mit oft unrealistischen Körperbildern konfrontiert. Auch KI kreiert Menschenkörper, die vermeintlich perfekt sind. Da seinen eigenen Körper zu akzeptieren, wie er ist, ohne zu vergleichen, ist eine Herkulesaufgabe.

Ich mache mir Gedanken dazu, wie wir die Fröleins dafür wappnen können, sich von diesen vermeintlich perfekten Bildern nicht verunsichern zu lassen. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, achte ich bewusst darauf, nicht zu schimpfen über meinen Körper. Selbst wenn er alles andere als perfekt ist. Er schafft verrückte Dinge und heilt. Auch bin ich mir meiner Vorbildfunktion sehr wohl bewusst.

Aber was noch? Wie gelingt es meinen Töchtern, durch die Pubertät zu kommen mit einem positiven Körpergefühl? Zu diesem Thema hat die Luzerner Filmemacherin Romana Lanfranconi «Spiegelbilder» gedreht. Dieser Dokumentarfilm begleitet fünf junge Frauen in der Zeit der Pubertät und des jungen Erwachsenenlebens. Ein Film über Körperbilder, Eigen- und Fremdwahrnehmung, Einfluss von Social Media, Ernährung und Sport, Frauenfreundschaften, Sexualität und Vorbildfunktionen. Dieser Film hat mich zutiefst berührt. Auch, weil ich zwei Protagonistinnen kenne. Aber auch besonders als Mädchenmama mit all meinen Gedanken und Fragen. Es ist ein Film, den ich mir als Mädchen und junge Frau gewünscht hätte.

Eltern
Blog
Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
0 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon