«Mama, bitte zieh Dir einfach was Normales an!»
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Elternbloggerin Nadja stattet der Schule ihrer Kinder einen Besuch ab. Dabei gilt es verschiedene Punkte zu beachten, um Peinlichkeiten zu vermeiden – wie das auch früher schon der Fall war.
Heute steht ein Schulbesuch der Eltern auf dem Programm. Dieser trifft seit Langem wieder einmal auf einen Tag, an dem ich nicht arbeite und daher verkündige ich beim Zmorge, dass ich heute im Schulhaus auftauchen werde. «Was wirst du anziehen, Mama?», fragt das grosse Frölein. Ich schaue an mir runter: ausgeleierter Pyjama und Wollsocken, darüber ein Strickjäggli.
Ich versichere den Fröleins, dass ich mich anziehen werde, aber noch nicht wisse, was. «Bitte einfach was Normales», sagen beide im Duett. «Was ist normal für euch?», frage ich sie. «Unauffällig halt, einfach eine Jeans und ein Pulli, wie die anderen Mütter», erklärt mir das kleine Frölein.
Jetzt bloss nicht «gagelen»
Da spaziere ich also zum Schulhaus, schreite die Treppe hinauf. Ob diese Stufen extra für die Kinder so klein sind oder mir nur so klein vorkommen? Die Türe jedoch ist riesig – da wird es wohl mehrere Erstklässlerinnen benötigen, um sie aufzukriegen. Vor der Türe der 3./4. Primarklasse bleibe ich stehen und klopfe an. Der Lehrer begrüsst mich freundlich, einige Kinder lächeln mir zu, meine Tochter senkt den Blick.
Mein Platz ist auf einem viel zu kleinen Stuhl zuhinterst im Schulzimmer. Jetzt einfach nicht «gagelen», denke ich und staune, wie mich Glaubenssätze aus meiner Schulzeit gerade wieder anspringen. Ich sehe, wie meine Tochter leicht die Schultern nach oben zieht. So, als würde sie meine Anwesenheit in ihrem Rücken spüren. Unsichtbar machen kann ich mich nicht. Aber mich ruhig verhalten. Dennoch ist es für die Kinder keine gewöhnliche und natürliche Situation.
Da sitzen Eltern im Schulzimmer. Die gehören hier eigentlich nicht hin. Genauso wenig wie ihr Lehrer bei uns an den Znacht-Tisch gehört. Demnach ist es ein etwas verfälschtes Bild, das wir aus dem Schulzimmer mitbekommen. Ich frage mich, ob es für die Kinder natürlicher wäre, wenn Schulbesuche öfter stattfänden. Ich weiss es nicht. Es bleibt wohl ungewohnt.
Wenn der Beruf der Eltern viel zu kompliziert ist
Das kleine Frölein lernt im Englisch-Unterricht gerade die Berufe. Sie zählt die gängigen in den typischen Geschlechtsstereotypen auf. Und dann sagt sie mir: «Bestimmt müssen wir bald erklären, was unsere Eltern von Beruf sind, und dann wird es wieder so kompliziert mit euch. Könnte ich einfach sagen, dass du ‹a farmer› bist und Papa ‹a baker›?» Aber ich bin doch gar keine Bäuerin. Ja, weit entfernt davon. Ich schaffe es gerade, ein einziges Tier zu versorgen und vergesse immer die Sträucher zum rechten Zeitpunkt zu schneiden.
Sie findet, das ginge schon. Immerhin sei ich eine Bauerstochter und Papa sei in unserer Familie derjenige, der am meisten backt. Okay. So sitze ich also in dieser Englisch-Lektion und bin auf der Hut, falls die Frage zu meinem Beruf kommt. Aber hauptsächlich sitze ich da und staune. Mit welcher Natürlichkeit diese Kinder zum Einstieg englische Lieder singen und wie sie beim Spiel über die Berufe die englische Aussprache beherrschen. Sie reden in einer grossen Selbstverständlichkeit in ihrer ersten Fremdsprache. Das berührt mich sehr.
Bei mir war Englisch ein Wahlfach in der Oberstufe. Und da kam weiss Gott noch nichts so flüssig und natürlich daher. Es war vor allem einfach peinlich. Wir waren nicht neun Jahre alt, sondern 13 und das macht in Sachen Hemmungen einen grossen Unterschied. In erster Linie wollten wir nichts falsch sagen und schwiegen vorwiegend. Dass ich «What is Love» von Haddaway damals in der 2. Sek nicht korrekt aussprach, war über viele Wochen der Klassenbrüller schlechthin. Ob ich es auch lustig fand? Und ob ich mich danach im Englisch-Unterricht noch mal gemeldet habe? Natürlich nicht!
Der Lehrer hat immer recht und basta!
«Herr Meier hat aber gesagt, dass Tattoos voll ungesund sind für die Haut!» «Hat Herr Meier nicht etwa selber ein tätowiertes Bein?», entgegne ich. «Ja, aber da wusste er noch nicht, dass dies ungesund ist!» Ich muss lachen. Im Gegensatz zu uns Eltern haben die Worte der Lehrperson einfach viel mehr Gewicht.
Selbstverständlich haben die Eltern nicht immer recht. Oftmals verstehen wir nicht mal, worum es bei den Hausaufgaben überhaupt geht. Das ist nämlich der Bereich, der Schule mit zu Hause vermischt. Manchmal auf eine gute Art und manchmal auf eine ganz schwierige. Nämlich eine konfliktgeladene und zähflüssige.
Weisheiten von externer Stelle
Wir chifeln über den Lösungsweg der Rechenaufgabe. Will ich es dem Frölein auf meine Art erklären, heisst es: «Du kommst nicht draus. Herr Meier hat es ganz anders erklärt!» «Natürlich hat er das», denke ich und wünsche mir auf den Abend hin ein weiteres Nervenkostüm. Dann nämlich, wenn das grosse Frölein kurz vor dem Schlafengehen feststellt, dass diese Prüfung äbe doch schon morgen ist und nicht erst in einer Woche.
Da steht er also, Herr Meier, der dem grossen Frölein Weisheiten fürs Leben beigebracht und während Corona im leeren Schulzimmer Mathelektionen gefilmt hat. Nun gibt er dem kleinen Frölein Englisch und neue Weisheiten fürs Leben mit auf den Weg. So zum Beispiel, dass man in der Steinzeit den Mammutmagen als Kochtopf benutzte und geradezu alles von diesem Tier verwertete. Beeindruckend, selbst für ein Kind, das kein Fleisch isst. Ich bin gespannt, welche Weisheiten sich bis ins Erwachsenenalter der Fröleins ziehen werden.