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Meine Vorstellungen, bevor die Kinder da waren

Ich war eine bessere Mama, bis ich eine wurde

Was es heute wohl zum Zmittag gibt? Oft eine sehr kurzfristige Entscheidung. (Bild: Nadja Stadelmann Limacher)

Nein, eine solche Mutter werde ich nie. Ich werde eine tiefenentspannte, coole Mutter. Eine, die stets souverän reagiert und ihre Prinzipien hat. So zumindest der Plan. Bevor die Kinder da waren.

Ich weiss nicht, wie es euch geht. Zumindest ich war jemand, der schon weit vor dem Kinderkriegen genaue Vorstellungen pflegte, wie dies dann mal sein würde. Als Sozialpädagogin im Kinderbereich hatte ich mit vielen Müttern und Vätern zu tun und wusste genau, wie ich mal sicher nicht werden möchte. In der Theorie erschien mir vieles völlig logisch. Auch konnte ich einiges mit der Entwicklungspsychologie und zig pädagogischen Konzepten erklären.

In der Theorie, ja. Was es dann in der Praxis hiess, über viele Jahre hinweg 24 Stunden am Tag, sieben Tage und Nächte pro Woche, meist auch noch im Traum die Verantwortung zu haben für diese munzig kleinen bis grossen Geschöpfe, dies konnte ich mir im Kopf nicht ausdenken. Wohl aber im Herzen. Die Veränderung vom Paar zur Familie fand ich immens. Was bei mir hormonell, psychisch und physisch abging, war mir lange nicht bewusst. Ich hatte keine Ahnung, welche komplexen Anforderungen, Erschöpfung und Überforderung es manchmal mit sich bringt, Mutter zu sein – neben der tiefen, bedingungslosen Liebe.

Zur Not in den Plastiksack atmen

Verrückt, was man alles reinprojiziert, bevor man selbst ein Kind hat. All die Vorstellungen und auch Ratschläge der Kinderlosen. Auch ich dachte so. Ich wollte nie fluchen vor und mit den Kindern und stets souverän reagieren. Und schon gar nicht die Stimme erheben, sondern stets tief in den Bauch atmen. Zur Not auch in einen Plastiksack. Ich wollte andauernd einen Plan haben und auch nach aussen signalisieren, dass ich alles im Griff habe.

In Wahrheit habe ich oftmals nicht mal einen Plan, was ich am nächsten Tag kochen werde, geschweige, was in ein paar Monaten oder gar einem Jahr sein wird. Es kann doch nicht so schwer sein, die Küche nach jedem Gebrauch wieder aufzuräumen. Den Küchenboden regelmässig aufzunehmen, damit er nicht so klebrig ist beim drüberschlurfen … auf dem Weg zum Kafi, den ich überhaupt erst trinke, seit ich Mutter bin.

Die Bilder, die ich im Kopf kreiert hatte, haben wenig zu tun mit meinem aktuellen Leben. Einst glichen sie diesen perfekten Bildern aus Rezeptbüchern, doch heute sieht es aus wie auf unserem Teller mit Vorgekautem und dreimal vom Boden wieder Weggekratztem. Der Geschmack ist aber überraschend gut.

Vorstellungen versus Realität

Meine Vorstellungen: Meine Kinder sollten mal alles essen. Sie sollten wenig Zucker zu sich nehmen und Blumenkohl mögen. Bis zum Schuleintritt kein Fernsehen. Mit pädagogisch sinnvollem Holzspielzeug spielen. Sich gerne im Wald und im unebenen Gelände bewegen. Sie sollten Menschenfreudinnen sein. Offen auf Leute zugehen. Grüezi sagen und Danke. Sie sollten stets sauber gekleidet sein und keinen Mainstream mögen.

Weisses Toastbrot statt frisches Mehrkornbrot zum Frühstück.

Ich würde mir stets die Zeit nehmen, ein ausgewogenes, fancy Frühstück in aller Ruhe und im Sitzen zu mir nehmen. In Wahrheit esse ich die «angekätschten» Reste der mehr oder weniger liebevoll geschmierten Ankeböcke, im Stehen. Und nein, das Brot ist kein frisches Mehrkornbrot, sondern ein weisses Toastbrot kurz vor dem Ablaufdatum, weil niemand daran gedacht hat, Brot zu kaufen.

Nichts wirft deine Pläne so über den Haufen wie Kinder

Zehn Jahre später ist es Zeit für ein Resümee. Und dieses lautet: Ich war eine bessere Mama, bis ich eine wurde. Nichts hat mich so stark geprägt, aber auch politisiert wie das Muttersein. Es ist immer gut, einen Plan zu haben. Aber nichts wirft deine Pläne derart regelmässig über den Haufen wie Kinder. Und dies tun sie nicht mit Absicht. Ganz klar nicht. Ausser sie schneiden sich die Haare. Und selbst dann wissen sie es einfach nicht besser.

So vieles war mir klar, im Kopf. Aber was es bedeutet, auf seine Kinder mit dem ganzen Herzen, ja dem ganzen Körper zu reagieren, darauf war ich nicht vorbereitet. Kann man dies überhaupt sein? Ich glaube nicht. Es tut mir weh, wenn es ihnen nicht gut geht. Ich habe Schweissausbrüche und Herzklopfen, wenn ich sie im Haus, im Garten oder am vereinbarten Treffpunkt im Dorf nicht finde. Ich wollte nie eine Gluggere werden. Mit Nachwuchs ist es ja besonders wichtig, sich als Paar und Liebende nicht zu verlieren und gemeinsame Zeit zu verbringen. Date-Nights mit Mehrgänger in Ruhe und noch heiss essen, Konzert und Drinks, wilde Nächte und dann ausschlafen und noch wahnsinnig gut aussehen dabei.

Kaum Zweisamkeit

Was einfach nach einem schönen Abend eines Liebespaars aussieht, ist in der Vorbereitung für Eltern aber auch doppelt anstrengend. Die Wahrheit ist, dass wir die Kinder selten an Dritte abgegeben haben. Wir haben es emotional nicht geschafft, aber auch der Aufwand alleine hat uns schon erschöpft. Wir haben uns als Paar wenig Zweisamkeit ausserhalb der Baby- beziehungsweise Kinderbubble herausgenommen. Alles hat seine Zeit im Leben und nun können wir uns wieder mehr Zeit zu zweit gönnen. Gottlob haben wir uns nicht verloren und freuen uns noch immer, Zeit zu zweit zu verbringen.

Mehr Ehrlichkeit

Was ich mir wünschen würde, ist mehr Offenheit und Ehrlichkeit unter Müttern, unter Eltern. Darüber, dass es kein Leichtes ist, Kinder grosszuziehen. Denn solange da draussen alle so tun, als hätten sie in jedem Moment alles im Griff, wird es uns nicht gut gehen. Wir haben das Gefühl, mit uns stimme etwas nicht. Nur wir würden regelmässig auf die Nase fallen. Alle anderen scheinen dagegen alles im Griff zu haben. Und dies weiss Gott nicht nur auf Instagram (denn die können wir immerhin deabonnieren und muten). Nein, auch in unserem Freundeskreis, in der Familie.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ehrlichkeit und das Zeigen unserer Unzulänglichkeit Türen öffnet. Türen, die unendlich guttun. Dann, wenn wir annehmen können, dass zur Mutterschaft und Elternschaft auch Fehler gehören. Für jeden Elternteil, der in dem Moment keineswegs souverän reagiert. Und ganz ehrlich, wem gelingt dies schon ständig?

PS eins bis drei

PS: Die Medienzeit wird bei uns regelmässig überschritten. Manchmal auch einfach, weil wir Grossen grad nicht in den Kampf ziehen mögen.

PPS: Unser Wohnzimmer ist nicht von «Schöner Wohnen». Man sieht, dass hier Kinder ein und ausgehen und nicht wie gedacht, in ihren Zimmern spielen.

PPPS: Mein Gratistipp an alle Mütter: Trockenshampoo. In Momenten, da du dein Haar waschen solltest, bevor du dich einen Fuss vor die Türe zu setzen traust. Mit diesem Zeug – leider nur in einer Dose zu kriegen – kannst du dies noch einen, zwei Tage rauszögern. Bittegerngeschehen.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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