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Wichtige Aufgabe als Zufluchtsort und ruhender Bergsee

Grosseltern – der sichere Hafen mit Süssigkeiten und Traktor

Die Grosseltern nehmen sich bewusst Zeit für alle Grosskinder.

(Bild: Nadja Stadelmann Limacher)

Eltern-Bloggerin Nadja Stadelmann über die bedeutende Rolle der Grosseltern. Und darüber, wie dankbar sie für diesen ruhigen Pol in der Familie ist.

Seit ewiglangen Minuten betrachte ich das Bild in der Regionalzeitung. Die Seniorengruppe aus meinem Heimatdorf unternahm mit dem Car einen Ausflug. So weit nichts Ungewöhnliches daran, die halbe Zeitung ist voll von solchen Berichten. Aber da steht mein Vater inmitten dieser alten Leute.

Je länger ich das Bild betrachte, umso stimmiger wird das Bild. Er sieht nicht aus wie der Carchauffeur. Er passt recht gut in die Runde. Wann wurde er alt?, frage ich mich. Wann wurde er zum Grossvater? Das genaue Datum kenne ich natürlich, unsere gesamte Familie war aus dem Häuschen, als sich das erste von insgesamt neun Grosskindern ankündigte.

Aber wann wurde er vom vitalen, stets recht jung gebliebenen Mann zum Grossvater? Wann passierte der Generationenwechsel? Ich habe es nicht bemerkt. Ich habe es nicht mal kommen sehen. Auf der Suche nach Antworten lege ich die Zeitung weg und lasse meine Tochter ihre Grosseltern zeichnen. Für Grosspapis Haar wählt sie recht zielstrebig den grauen Buntstift. Auch zeichnet sie die beiden sitzend auf dem Bänkli vor dem Haus. Für sie scheint es doch viel klarer als für mich. Wie viel Zeit bleibt uns noch?, frage ich mich. Wie viel Zeit bleibt uns drei Generationen zusammen?

Im Hier und Jetzt

Was ist das Besondere an den Grosseltern?, frage ich meine Kinder. «Sie sagen nie Nein. Sie haben immer Zeit für uns. Und sie haben Kälber, Hühner und einen Traktor.» Ich kann bei allen drei Punkten nicht mithalten. Muss ich auch nicht. Meine Rolle, meine Erziehungsgrundlagen und auch meine Nerven lassen dies nicht zu.

«Sie nehmen sich ganz bewusst Zeit für Dinge, für die sie bei uns wenig Zeit hatten.»

Zu sehen, wie sich meine Eltern für jedes ihrer Grosskinder bewusst Zeit nehmen, berührt mich sehr. Sie hören mit all ihrer Aufmerksamkeit der Erzählungen der Kinder, die können noch so wirr sein, zu. Alles ist möglich, alles andere kann warten. Nur das Hier und Jetzt zählt. Eine wunderbare Eigenschaft, die doch im Elternalltag recht seltenes Gut ist.

Danke sagen

Vor wenigen Wochen lag meine Mutter auf der Intensivstation. Eben noch die robusteste Frau, die ich kenne, liegt da. Der Arzt fragt mich, was anders sei. Alles, denke ich, einfach alles. Mir fällt auf, dass ich sie nie liegen sehe. Seit ich zu Hause ausgezogen bin, sah ich sie nur noch stets auf den Beinen oder sitzend bei einer dampfend heissen Tasse Tee. Dann dieses spitalweisse Nachthemd, dieses ganze Zimmer mit all den Schläuchen und piependen Apparaten. Meine Mutter mit den sonst so roten Backen passt überhaupt nicht in diese Umgebung.

Sie kam nicht mit ihren sonst so zackigen, kraftvollen Schritten dahergelaufen. Sie wurde gefahren mit dem Ambulanzfahrzeug. Während sie so daliegt und schläft, frage ich mich, wann ich ihr zuletzt gesagt habe, dass ich sie gernhabe. Und wann habe ich ihr zuletzt Danke gesagt? Nicht nur Danke fürs Zobig oder fürs Hüten der Fröleins. Nein, Danke überhaupt.

Danke für mein Leben, Danke für ihre Werte, Danke für meine Kindheit in wunderbarer, freier Umgebung, Danke für ihre immense Geduld mit vier Töchtern (immerhin zog sich die Pubertät über zehn Jahre hinweg, welch grausige Vorstellung im Nachhinein). Danke für ihre Einstellung, für ihre Loyalität, egal, wie saudaneben ich mich benommen habe.

Der ruhige Bergsee, wenn es hudelt

Grosseltern bauen Brücken zwischen uns und unseren Kindern, wenn es uns nicht gelingt. Sie behalten lieb gewonnene Rituale von meinen Grosseltern und leben diese weiter. Vor dem Chilbisonntag zum Beispiel teigen sie mit ihren Grosskindern Schenkeli und ich frage mich, ob ich dies einmal weiterführen werde. Oder der jährliche Grosskinder-Tagesausflug, auf dem mindestens eines der Grosskinder sich vor lauter Aufregung übergibt. Sie nehmen sich ganz bewusst Zeit für Dinge, für die sie bei uns wenig Zeit hatten.

«Grosseltern: Ihr Auftrag ist ein anderer und das ist gut so.»

Sie haben eine ganz andere, nicht weniger tragende Rolle als wir Eltern. Auch wenn das heisst, dass die Kinder mit einem Schleckzeugbauch und schwarzen Füssen spät ins Bett gehen. Sie sind so viel gelassener, ruhiger als wir es jemals sein können, wenn es um unsere Kinder und deren Sorgen geht. Ihr Auftrag ist so ein anderer und das ist gut so. Innerhalb der Familie übernehmen sie meist die Rolle eines ruhigen Bergsees. Sie kennen Strategien, um Spannungen, Meinungsverschiedenheiten und Missverständnisse zu beseitigen. Grosseltern können ein sicherer Hafen, ein Zufluchtsort sein.

Hatte ich früher Streit mit meinen Eltern, packte ich mein geflochtenes Köfferchen und zog aus. Da meine Grossmutter im selben Haus wohnte und ich noch meine Wut wegstampfen musste, zog ich einen grossen Bogen übers Feld, bevor ich die Treppe rauf zu ihr flüchtete. Ich wünschte, alle Kinder hätten einen solchen Zufluchtsort – egal, was vorgefallen war, egal, um welche Urzeit. Einfach zu wissen, dass jemand da ist, der Tür und Arme ganz weit offen hält.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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