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Mit der Tochter zum Blutspenden

Dinge, die ich noch nie gemacht habe

(Bild: Nadja Stadelmann-Limacher)

Ich werde bald 40, also noch nicht so bald, aber es geht schon zügigen Schrittes drauf zu. Meine Güte, ich kann mich noch so gut an die 40. Geburtstagsparty meines Vaters erinnern. Ich war da zwölf und jetzt bin ich schon an der Reihe. Vor diesem ominösen Geburtstag möchte ich noch einige Dinge anpacken, die ich noch nie in meinem Leben gemacht habe.

Kürzlich las ich in der Zeitung einen Aufruf, dass man dringendst neues Blut benötige. In der gesamten Schweiz werde es langsam knapp. Da kam es mir wieder in den Sinn, dass ich mit meiner Blutgruppe 0-positiv für so viele Leute kompatibel wäre. Mit zittrigem Finger wählte ich die Nummer des Spende-Dienstes.

Nach einigen Fragen war klar, dass ich als Spenderin geeignet war. Nein, keine Auslandreise in letzter Zeit. Nein, keine Geburt im vergangenen Jahr. Auch keine Impfungen. Und ja doch, 50 Kilogramm bringe ich auf die Waage (und sogar noch mehr).

Da gabs kein langes Federlesen

Ich bekam einen Termin in den nächsten fünf Tagen. Vielleicht auch so kurzfristig, damit ich mich nicht noch umentscheiden konnte. Für die Spende sollte ich mir 30 Minuten Zeit einrechnen. Ich fragte mich, ob dies nicht etwas sportlich war. Immerhin würde ich dies zum allerersten Mal tun. Wer weiss, eventuell brauchte ich Eins-zu-Eins Betreuung und noch etwas Zeit auf dem Schragen. Ich hoffte also inständig, dass die mich nicht nach einer halben Stunde schon wieder auf die Strasse schicken.

Mit den Fröleins studierte ich im Buch «Aufklappen und Entdecken: Dein Körper» wo unser Blut durchläuft, warum wir bluten und wie der Körper wieder neues Blut bildet. Sie waren sehr fasziniert, ich hoffte vor allem auf den letzten Punkt. Je näher der Termin kam, desto nervöser wurde ich. Wie dumm konnte man eigentlich sein, dachte ich in den schwachen Momenten meist vor dem Einschlafen. Ich hatte wirklich Schiss und wollte dennoch etwas Gutes tun. Konnte ich nicht einfach Geld spenden oder Zeit, meinetwegen auch Hundefutter an obdachlose Hundebesitzer verteilen oder Robbenretten auf einer Insel?

Aber nein, ich würde mein eigenes Blut spenden. Eines, das ich jeweils drei Wochen lang so schön «aufpäppele», mir Sorge trage, um es dann in einer Woche wieder zu verlieren. Aber das ist eine andere Geschichte. Andererseits liegt vielleicht jemand nach einem Unfall gerade im Notfall und braucht just in dem Moment ein, zwei Beutel des so wertvollen Tropfens 0-positiv. Und die wollen ins Kästli greifen und dies ist leer? Undenkbar.

Am besagten Tag ass ich Unmengen von Frühstück. Die nette Frau am Telefon befahl mir, gut zu essen. Das kann ich gut. So machte ich mich mit dem kleinen Frölein auf den Weg. Sie fand dies recht spannend und nahm ihre Spiel-Ärztekoffer mit. Sie versprach mir auch, meine Hand zu halten. Das Einhornpflaster (das so viel schöner sei als das hautfarbene beim Doktor) hatte sie ebenfalls eingepackt. Sie mitzunehmen, erwies sich als gute Strategie. Vor ihr wollte ich mich stark und mutig zeigen (auch wenn ich innerlich zitterte und mir gefühlmässig schon das Blut zu den Füssen sank). Wir wurden freundlich empfangen. Klar, ich wäre auch freundlich, wenn ich den Lebenssaft des Gegenübers möchte. Man versprach mir ein Glas Honig als Gegenleistung. Ich hielt es für mich, dass ich nur beim allerwüstesten Katarrh Honig in den Tee rührte und dann mit Widerwille trank. Dieser fucking-Honig sollte wohl mein Teuerste, Verdiente werden!

Ich bekam eine lange Liste zum Ankreuzen und danach noch ein Gespräch im Hinterzimmerchen. Das kleine Frölein wurde mit Schöggli gefuttert und bei mir ging es langsam ans Eingemachte. Dort ging es etwas mehr ans Eingemachte. Wechselnde Sexualpartner? Mein Hämoglobinwert? Blutdruck? Bei den Auslandreisen dachte ich, es sei nur heikel in tropischen Ländern aber nein, auch mein Frankreichaufenthalt innerhalb der letzten sechs Monaten wurde genau auf der Karte angeschaut. Gewisse Regionen sind von einer ansteckenden Krankheit betroffen, welche über Mücken verschleppt werden. Noch könnte ich zurück dachte ich, doch meine Gegend war nicht betroffen. Ich war also auf dem Papier eine 1A-Spenderin. Nun galt es dies auch auf dem Schragen zu zeigen.

Meine Tochter hielt Wort und drückte mir die linke Hand

In der rechten bekam ich ein rotes Gummiherz. Auf diesem sollte ich regelmässig pumpen, damit mein Lebenssaft gut lief. Das Ziel waren 450ml, dies war bei Männern wie auch Frauen gleich. Ich stellte mir vor, dass ein stämmiger Mann von fast 2m Grösse und einem Körpergewicht von 100 kg wohl noch etwas mehr Blut förig hätte, behielt dies aber für mich. Denn just in dem Moment borrte sich diese lange Nadel in meine Armkehle. Nebenan legt sich Herr Aregger auf den Schragen. Auch er muss davor kurz ins Hinterzimmerchen, kommt aber deutlich schneller wieder raus. Scheinbar ist er ein Profi.

Sein Blut fliesst zügig. Er stellt seinen Schragen auch nicht so weit nach hinten, dass sich seine Füsse in die Höhe schnellen. Meine Füsse sind dort und ich bin froh drum. Langsam flackert es vor meinen Augen oder ist es die Deckenlampe, die spinnt? Auf meiner Stirn bildet sich eine feine Schweiss-Schicht. Himmel, ich will hier einfach nicht ohnmächtig werden. Meine zuständige Pflegerin ist beobachtet mich genau, bringt mir einen Lappen und will, dass ich liegen bleibe. Ich bin ihr von Herzen dankbar, meinen Beinen würde ich gerade nicht trauen. In 12 Minuten muss das Blut im Beutel sein, sonst gerinne es. Wäre schade drum.

Wir schaffen es gut in der Zeit und ich begutachte mit Stolz diesen wertvollen Beutel und der zünftige Druckverband an meinem Arm. Das Einhornpflaster des kleinen Fröleins klebt daneben. Nach einer Weile und zwei Traubensäfte mit Röhrli im Halbliegen wage ich mich in die Imbissecke. Herr Aregger liest dort Zeitung, geniesst sein Sandwich und trinkt Kaffee. So, als wäre es das Normalste der Welt, dass er gerade einen Teil seines Blutes los geworden ist. Für ihn ist es dies auch. Er habe schon 69 Mal gespendet. Ich schaue ihn entgeistert an, er kann maximal 50 Jahre alt sein. Mit 20 habe er in der Rektrutenschule zum ersten Mal Blut gespendet und seither alle 3 Monate. Sein Körper zeige ihm jeweils, wenn es wieder Zeit wäre dafür. Ich bezweifle, dass mein Körper zu söttigen Zeichen fähig ist. Im Moment schreit er noch «tue dies nie wieder».

Auf dem Nach-Hause-Weg war nicht klar, wer denn wem die Hand gab. Also ich war zumindest sehr froh um diese kleine, warme Hand in meiner. Das grosse Frölein fand meinen Verband ziemlich cool und lauschte den Erzählungen ihrer Schwester. Am Abend strich ich mir ein wenig Honig auf Brot, notabene vom wertvollsten Honig weltweit und ich könnte schwören, dass Honig noch nie besser geschmeckt hat.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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