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Wie ich meine ungeplante Bauchgeburt erlebte

Der Kaiserschnitt: vor allem ein Gefühl des Versagens

Ein ungeplanter Kaiserschnitt ist für viele Mütter eine Horrorvorstellung. (Bild: Symbolbild: pexels)

Wenn es zu einem Kaiserschnitt kommt, bleibt nebst einer Narbe oftmals vor allem eines zurück: das Gefühl, es nicht geschafft zu haben. Elternbloggerin Nadja Stadelmann erzählt, wie es ihr bei einem Notfall-Kaiserschnitt ergangen ist.

Das höchste aller Ziele einer Mutter ist, das Kind auf natürliche Weise aus eigener Kraft zu gebären. Alle scheinen dies zu schaffen. Alle. Wie es der Name ja schon sagt, die «natürliche Geburt» ist das einzig Wahre. Sie ist das Beste für das Baby, so sagt man. Und welche Mutter will schon nicht das Allerbeste für ihr Baby?

Das unschöne Wort «Kaiserschnitt» fällt zum ersten Mal im Geburtsvorbereitungskurs. Damals mit dieser wunderbaren Hebamme vom Geburtshaus. Ich sitze mit kugelrundem Bauch auf einem Gymnastikball, mein Partner neben mir ebenfalls auf einem solchen Ball. Es muss ausgesehen haben, als hätten wir beide einen grossen Bazooka-Kaugummi verschluckt. Glückselig wir beide.

Wir sind ja alle so gut vorbereitet auf die Geburt

Wir haben viel an uns gearbeitet an diesem Abend. Viel geatmet, gelernt und gestaunt. Gestaunt darüber, was alles zu einer Geburt gehört und welche Szenarien eintreffen könnten. Die Hebamme sagte, sie möchte mit uns noch den Ablauf eines Kaiserschnitts durchgehen, falls es bei einem Paar dazu kommen sollte. Die Paare schauten alle in die Runde, überzeugt, es zu schaffen, ohne dass ein Kaiserschnitt nötig sein würde. Schliesslich waren wir alle sowas von gut vorbereitet auf die Geburt. Wir würden unser Kind in diesem Geburtshaus zur Welt bringen, wahlweise in der Hocke, im Stehen, mit diesem Seil von der Decke hängend, oder in der Gebärwanne. Natürlich und aus eigener Kraft.

Die Hebamme erläuterte uns den Ablauf eines Kaiserschnitts Schritt für Schritt. Beim Punkt direkt nach der Geburt sagte sie, das Baby müsse raus aus dem OP, direkt zur Untersuchung und das Bonding fände dann beim Papa statt. Die Vorstellung, mein Baby nur kurz zu sehen. Über dem Tuch wie bei einem Kasperlitheater und dann, kaum ist es geboren, zu verlassen, trieb mir Tränen in die Augen. Bereits damals. Eine Vorahnung? Gut möglich.

Wenn die Geburt anders ist als gedacht

Wenige Woche später – die Wochenbetttasche ist gepackt, das Babyzimmer eingerichtet und x-mal wieder umgestellt, zu zweit auswärts reichlich essen gegangen, kündigt sich die Geburt am frühen Morgen mittels Blasensprungs an. Alles geht nach Plan, viele Stunden Wehen, verschnaufen zu Hause und später im Geburtshaus. Selbstbestimmt. Der Tag neigt sich dem Ende zu, die Nacht wird zum Tag. Erste kritische Stimmen nach 24 Stunden. Verlegung ins Spital nach weiteren Stunden. Und irgendwann ist klar, es wird ein Notfall-Kaiserschnitt nötig. Sobald ein Operationssaal frei wird, wird das Baby «geholt». Die Geburt ist ein Ausnahmezustand, so oder so. Und nun wird es hektisch.

Ich unterschreibe unter Wehen und im Delirium ein OP-Einverständnis, kann knapp einen Stift halten. Keine Ahnung, was ich da unterschreibe. Schon sehe ich über mir die Deckenlampen blitzen, denn man schiebt mich bereits in einen kalten OP-Raum. Weg ist sie, die wohlige und stimmige Atmosphäre des Geburtshauses. Anstelle gedämpften Lichts und Duftlampen sind da Flutlicht und Desinfektionsmittel. Wenige Minuten später ist das Baby da und sieht mich an, als hätte es nichts von all diesem Stress mitbekommen. Das Ankommen auf dieser Welt geschieht auf Papas Brust statt auf meiner. Denn im OP ist es zu kalt für das Baby. Und ich? Muss mich übergeben und zusammengenäht werden.

Das Gefühl danach

Was bleibt, ist ein Schwabbelbauch mit einer pochenden Narbe quer über dem Schambereich und ein Gefühl des Versagens. Ich habe es nicht geschafft. Habe über unzählige Stunden all meine Mühe, Kraft und Zuversicht gebündelt und es nicht geschafft, dieses Kind aus mir hinauszupressen. Am Ende wurde ich aufgeschlitzt und das Kind wurde mir entrissen.

«Ich habe das Gefühl, nicht geboren zu haben!», sage ich mit Tränen in den Augen meiner Hebamme, zurück im Geburtshaus. Sie nimmt meine Hände fest in ihre und sagt mit eindringlichem Blick: «Du hast geboren – und wie!»

Es bricht eine kleine Welt zusammen. Seien wir ehrlich. Der Kaiserschnitt ist verpönt. Die Gesellschaft gibt uns das Gefühl, den «einfachen Weg» gegangen zu sein. Einfacher Weg? Eine Bauchoperation. Ein Schranz von zirka 15 Zentimetern im Bauch, sieben Schichten tief. Laut Geburtsbericht habe ich sehr viel Blut verloren. Tagelang gehe ich gekrümmt wie ein Gipfeli durch den Gang. Der Unterschied zu den anderen Müttern im Geburtshaus ist frappant. Das Baby selber zu tragen steht bei mir nicht zur Diskussion. Das Tragetuch für die ersten Schritte nach draussen wird dem Papa angeschnallt.

Narbe als Erinnerung

Ich will die Naht sehen. Die Hebamme reicht mir einen Handspiegel. Aufgeschlitzt, eindeutig mit schwarzen grossen Fäden wieder zusammengenäht. Es sieht aus wie ein Muttertagsgeschenk von Kindern in der 3. Primarklasse. Spätestens ein paar Stunden später erinnert ein stechender Schmerz daran. Zusätzlich zu den Nachwehen meldet sich auch die frische Narbe und lässt sich nur mit scharfem Geschütz besänftigen. Blut und gelbes Sekret, Blutergüsse und vor allem ein Gefühl des Versagens. Ja, der Kaiserschnitt hinterlässt eine Narbe – manchmal auch in der Seele.

Zeit heilt Wunden – mehr als eine Floskel

Dass ich erst jetzt, da das Kind ein Teenie ist, darüber schreibe, hat seine Gründe. Das Verarbeiten einer Geburt braucht Zeit. Das eines Geburtstraumas viel Zeit. Zeit heilt Wunden. Dies stimmt in diesem Fall wortwörtlich. Dem Kind ist es übrigens total egal, ob es durch die Vagina gepresst oder durch den Bauch geschnitten zur Welt kam. Mit zunehmendem Alter ist es sogar froh, wenn man die blutrünstige Geschichte nicht so genau erzählt.

Die Stärke einer Mutter und die Liebe zu ihrem Kind hängt nicht vom Geburtsmodus ab. Benennen wir das unschöne Wort Kaiserschnitt in Bauchgeburt um. Werten wir die Art der Geburt nicht, indem wir sagen, «die hat scheinbar einen Kaiserschnitt gebraucht». Hören wir auf, Frauen schlechtzumachen, die ihr Kind mittels Bauchgeburt geboren haben. Geben wir ihnen nicht das Gefühl, sich dafür rechtfertigen zu müssen. Stehen wir ihnen bei. Bedingungslos. Denn sie haben geboren. Und wie!

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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4 Kommentare
  • Profilfoto von Tiara
    Tiara, 26.03.2023, 21:29 Uhr

    Auch bei mir musste ungeplant nach 16 Stunden Geburtswehen ein Kaiserschnitt gemacht werden, da mein Sohn ein sterngucker war und es nicht vorwärts ging. Allerdings wurde er mir sehr rasch nach der Geburt in vorgewärmten Tücher auf die Brust gelegt. Dort lag er die ganze Zeit bei mir im OP. Das war vor 15 Jahren im Kantonsspital Luzern.

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  • Profilfoto von Bertram
    Bertram, 26.03.2023, 21:25 Uhr

    Ich möchte nicht belehrend daherkommen, nur aus den Zeilen entnehme ich, dass zusätzlich zur Geburt, bei der die werdende Mutter schon mehr als genug zu tun hat, und soll dann auch noch die idealisierte Erwartungshaltung erfüllen, ihr Kind in jedem Fall vaginal zu gebären.

    Da sind meines Erachtens auch Fehler in der Vorbereitung geschehen, wenn das Thema Kaiserschnitt wie so ein unerwünschtes Stiefkind vermittelt wird.

    Ganz bestimmt ist das nicht schön für werdende Eltern.
    Glücklicherweise besteht hierzulande dieser Ausweg, wenn die Geburt von vornherein per Kaiserschnitt oder nach Blasensprung auf diesem Wege beendet wird.

    Versagensgefühle finde ich da fehl am Platze.

    Aus meiner Sicht als Fachmann für Operationstechnik wird in vielen Spitälern aber viel getan, damit die Kinder nach einer ersten Untersuchung direkt wieder zur Mutter auf die Brust gelegt werden können.
    Natürlich ist das abhängig davon ob die Situation es für Mutter und Kind zulässt, dass der Kaiserschnitt mit Spinaler Anästhesie und somit wach erlebt werden kann.
    Selbstverständlich gibt es auch die Fälle, in denen höchste Eile geboten ist, damit das neue Leben einen möglichst sicheren Start ins Leben hat, oder um Schaden für die Mutter zu vermeiden. Diese Fälle erlebe ich in meinem Alltag aber selten.
    Hierzu rate ich, die Hebamme oder behandelnden Gynäkologen/in zu befragen.

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  • Profilfoto von Rosa Luxemburg
    Rosa Luxemburg, 26.03.2023, 14:04 Uhr

    Auch wir haben bei der Geburt plötzlich auf Kaiserschnitt umstellen müssen. Das gab zu verdauen und wir sind dankbar, dass die Möglichkeit besteht. Somit ein wichtiger Artikel. Danke.

    Ich nehme wahr, dass mit dem Thema zu wenig sensibel umgegangen wird. Der Kaiserschnitt ist ideal bei Plan B.

    Oft wird der Kaiserschnitt fix geplant. Einerseits denke ich, dass sich einige den möglichen Auswirkungen nicht bewusst wird – und wohl auch kaum vorab informiert. Andererseits wird der Kaiserschnitt wirtschaftlich deutlich rentabler sein – da planbar und aufwändiger.

    Ich finde es toll, wird das Thema medial behandelt. Mehr davon …

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    • Profilfoto von nadja_st bluewin.ch
      nadja_st bluewin.ch, 26.03.2023, 21:23 Uhr

      vielen 💜lichen Dank!

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