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Meine Tochter vor dem Ernst des Lebens

Der erste Kindergartentag: wir standen da wie ein Esel am Berg

(Bild: Nadja Stadelmann)

EIn Leben in einer Blase, Vormittage im Pyjama: Das ist nun vorbei, nicht nur für das Kind. Mit dem Eintritt in den Kindergarten geraten Abläufe, aber auch Gefühlswelten gehörig durcheinander. Und plötzlich steht man da wie der Esel am Berg.

Bis zum heutigen Tag waren wir mehr oder weniger rund um die Uhr als Eltern für unser Kind da. Wir kannten alle Marotten, die schönen und äbe die anderen. Die kurzen Abwesenheiten durch die Spielgruppe haben wir dafür genutzt, zurück nach Hause zu gehen und eine Trommel Wäsche zu starten, wenn’s hoch geht noch den Geschirrspüler auszuräumen und schon war es wieder Zeit, unser Kind abholen zu gehen. Mit dem Eintritt in den Kindergarten ändert sich so Vieles – es kommt mir vor, als gäbe es ein Leben davor und eines danach.

Das Leben der ersten fünf Lebensjahren lebten wir in unserer kleinen Blase. Die Vormittage verbrachten wir so lange im Schlafanzug, wie wir wollten oder auch abhängig davon, wie schlafarm die vergangene Nacht war. Hatten wir Lust auf einen Tagesausflug zogen wir los. Trafen wir uns mit anderen Müttern und Kinder zum Spielen, spielte die Zeit nicht so eine grosse Rolle. Gegessen wurde auch mal früher oder später. Wir waren frei und unabhängig. Ja ich wage es zu behaupten, bedürfnisorientiert.

Vorbereitung ist die halbe Miete

Kurz vor dem Kindergarteneintritt zeigt dein Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit Verhaltensweisen, die um Lichtjahre zurück liegen. Du hast Angst, dein Kind mindestens drei Jahre zu früh angemeldet zu haben. Aus meiner Sicht sind solche Verhaltensweisen völlig normal und zeigen den Abschiedsschmerz.

Jedes Kind bereitet sich anders auf den Ernst des Lebens vor. Für die Malschürze musste Papa’s Hemd aus Zeiten, in der er farbtechnisch grässlich daneben lag, dran glauben (nicht auszudenken, dass er es noch tragen würde). Das weltschönste Kindsgitäschli liegt bereit. Es bietet gerade Platz für ein Znüniböxli und Trinkfläschli. Damals ahnte ich noch nicht, dass mein Kind jeden Tag mit einem Plastiksack voll Zeichnungen nach Hause kehren wird.

Beginn eines neuen Lebensabschnittes

Mein grosses Frölein geht in den Kindergarten. Wie ist das möglich, eben war sie doch noch so klein und jetzt wird sie zum ersten Mal allein in die grosse, weite Welt hinausziehen. So fühlt es sich zumindest an. Ich habe diesen Sommer noch ganz fest mit ihr genossen mit dem Bewusstsein, dass sie nie wieder so viel Zeit zu Hause und mit uns verbringen wird. Ich höre von Eltern, die nach dem Kindsgi- und Schulstart mit einem Cüpli anstossen und feiern. Mir ist irgendwie nicht nach Feiern zu mute.

Ganz klar, unser Kind ist reif und sie freut sich wahnsinnig auf den Kindergarten und sie würde uns dermassen nerven vor lauter Langeweile, wenn wir sie noch ein Jahr zurückbehalten hätten. Ich freue mich so sehr für sie, wenn sie zu den Grossen gehört, ganz viel Spielzeit mit Gleichaltrigen geniessen kann, wenn sie Lieder und Versli lernt, die wir nicht kennen, wenn sie uns von ihren Kindsgi-Geschichten berichten kann, wenn sie mit Kohldampf nach Hause kehrt am Mittag. Dennoch mach ich mir Sorgen, stehe Ängste aus, wenn ich an den Kindsgi-Weg denke. Bin schampar durch den Wind und komme mir lächerlich vor.

Gleichzeitig will ich mir diese Ängste natürlich nicht anmerken lassen, die Vorfreude vom Frölein soll ja nicht getrübt werden. Natürlich freue ich mich auf Alleinige-Zeit-mit- dem kleinen Frölein, das hat sie zünftig verdient und sie hat viele Pläne, was sie mit mir dann spielen möchte. Nicht oft hat sie unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und das über Stunden. Einmal mehr wird mir bewusst, es geht um Vertrauen haben (in unser Kind, uns als Eltern, die Kindergärtnerinnen und alle auf der Strasse) und Loslassen. Loslassen seit Geburt immer wieder ein Stückchen mehr… ein ewiger und nicht einfacher Prozess.

Der erste Kindergartentag

Und dann war er da, der grosse Tag! Ich organisierte einen Babysitter, um meine Kindergartenfrölein begleiten zu können. So lief sie los mit ihrem ganzen Stolz, dem Kindergartentäschtli mit Gotti und Götti zusammen ausgesucht und dem wunderbar-leuchtgelben Kindsgi-Dreieck. Je näher wir dem Schulhaus kamen, desto ruhiger wurde sie und schob ihre Hand in die meine. Im Garderobenraum galt es mal ihr richtiges Plätzchen zu finden (nein, du bist nicht die Maus, sondern das Schiff).

Im Türrahmen zum eigentlichen Kindergartenraum stand ihre Kindergartenlehrerin und begrüsste sie mit einem warmen Lächeln. «So, du darfst gleich Mama tschüss sagen und dann in den Kreis gehen», sagte sie. Und so standen wir beide wie ein Esel am Berg. Ich habe fest mit einem gemeinsamen Anfangsritual gerechnet. Ein Tschüss sagen, wenn die Zeit stimmt… Leute, ich bin eine Sozialpädagogin, ohne Rituale bin ich verloren.Da war es mein grosses Mädchen welches ihre Arme um meinen Hals schob und Tschüss sagte, einfach so. Als sei dies das Normalste überhaupt. Mit zügigen Schritten ging sie in den Kreis und nahm Platz. Ich wusste kaum wohin mit mir. Niemand rechnete schon mit mir. So ging ich einen Kaffee trinken, ganz alleine, etwas wehmütig ja, aber auch stolz auf mein grosses Kindergartenmädchen.

Ich wünsche allen Mütter und Väter da draussen einen guten Start – den Kindern ebenso, aber die machen’s eh gut!

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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