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Eine Mutter über ihre Angst vor Cybermobbing

Dein Kind ist doof: 54 gefällt das

Im digitalen Zeitalter verbreiten sich Meldungen schnell und man kann sie auch noch «liken».

(Bild: Pixabay)

Unsere Elternbloggerin Simone Krebser erinnert sich an analoges Mobbing, Schwärmereien für feminine Buben und Bahnhofbänkli-Poesie.

Ich kann mich noch gut an einen Tag aus meiner Teenie-Zeit erinnern. Ich war süsse vierzehn und bis über beide Ohren verliebt. Zum ersten Mal in einen Jungen, welcher mit mir zur Schule ging, und nicht in einen Taylor Hanson oder Jonathan Brandis, deren Köpfe auf Postern mein Mädchenzimmer zierten. Nein, so richtig, richtig fest, mit Schmetterlingen im Bauch, mit im Parfum ersäuften Liebesbriefen und mit dem legendären halbierten Herzketteli (er das LO, ich das VE). Er war wunderbar. Dass er wunderbar war, fiel natürlich nicht nur mir auf, sondern auch ein paar anderen Mädchen aus unserem Nachbarsdorf. So kam es, wie es wohl kommen musste; ich zog mit meiner ersten Liebe Eifersucht auf mich. 



An jenem schicksalhaften Tag lief ich, wie immer nach der Schule, zum Bahnhof, um mit dem Bus nach Hause zu fahren, und da sah ich es; in grossen, fetten, schwarzen Buchstaben auf einem der knallroten Bänkli mitten am Bahnhof standen mein Vor- und Nachname, geschmückt mit einer fiesen Beleidigung. Es war beängstigend und fuhr mir ziemlich ein. Die Übeltäter fanden sich schnell, da sich die Mädchen mit ihrer Heldentat brüsteten. Was die Situation für mich noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass ich diese Mädchen noch nie zuvor gesehen hatte. Sie kannten mich schlichtweg gar nicht, sie wussten bloss meinen Namen und dass ich die Freundin von «Wonderboy» war.

Hunde, die bellen, beissen (meist) nicht

Auf die Bahnhofbänkli-Poesie folgten einige Telefonanrufe, in denen sie mir mit Schlägen drohten. Mein Glück war, dass diese Mädchen, ähnlich wie bellende Hunde, nur eine grosse Klappe hatten, und dass sie ihre Opfer sehr häufig wechselten. Somit war der Spuk für mich bald wieder vorbei und ich war froh, nicht Taylor Hansons Freundin zu sein, da ich so wohl noch mehr Groll auf mich gezogen hätte.

Trotzdem. Der Schreck sass tief und nun sitz’ ich hier, als Mutter zweier wunderbarer Kinder und als fleissige Nutzerin von sozialen Plattformen, und hab’ Schiss. Schiss davor, dass meinen Kindern dasselbe auch widerfahren könnte, oder dass sie gar selbst zu Tätern werden könnten. Nur, heute wird nicht mehr auf Bänkli geschrieben, heute benutzt man das Internet dafür – ein für mich unglaublich schlimmer Gedanke. Meldungen verbreiten sich so rasend schnell, keiner hat es unter Kontrolle und «liken» kann man es auch noch.

Ich bin froh, hat damals keiner unter die Beschimpfung hingeschrieben: «Gefällt mir!»

Ich würde mich nicht als ängstliche Mutter bezeichnen, aber der digitale Wandel macht mir im Zusammenhang mit Kindern wirklich Angst. Es ist nicht fassbar, nicht aufhaltbar und schon gar nicht übersichtlich. Man fühlt sich machtlos. Aber ist man das denn überhaupt? Was ist beispielsweise mit den Schulen? Ist das ein Thema im Unterricht? Unterstützen Lehrkräfte die Kinder und Eltern bei so einem Vorfall? Mit diesen Fragen wandte ich mich an Barbara Ineichen, die Schulsozialarbeiterin der Sekundarschule Adligenswil.

Ein kurzes Interview mit Barbara Ineichen zum Thema Cybermobbing

Simone Krebser: Wenn ein Fall von Cybermobbing auftaucht und eindeutig Schüler Ihrer Schule involviert sind, greifen Sie da ein? Wenn ja, wie?

Barbara Ineichen: Wenn eine Lehrperson oder die Schulsozialarbeit zu wissen bekommt, dass ein Schüler oder eine Schülerin online (beispielsweise per WhatsApp) beleidigt und verunglimpft wird, dann greifen wir ein. Im gemeinsamen Gespräch wird der Vorfall geklärt. Ich mache die Schülerinnen und Schüler darauf aufmerksam, dass solche Verunglimpfungen sogar bei der Polizei angezeigt werden können. Wir reden über respektvollen Umgang miteinander, über Konsequenzen solcher Handlungen im Internet, über Wiedergutmachung und Entschuldigung, soweit dies möglich ist.

Krebser: Wird das Thema in den Klassen thematisiert?

Ineichen: Das Thema digitale Medien wird zunehmend in den Klassen der ersten Oberstufe thematisiert. Meiner Ansicht nach sollte es jedoch bereits in der Primarschule ab der 5. Klasse erstmals thematisiert werden. Je früher, desto besser. Ich finde es beispielsweise sehr sinnvoll, dass die Primarschule Adligenswil am 10. Mai 2017 für die Eltern der 6.-Klässler einen Elternabend zum Thema Medien und Internet veranstaltet. Sobald Kinder und Jugendliche ein eigenes Smartphone erhalten, sollten sie mit einem respektvollen und auch sinnvollen Umgang mit diesem Medium vertraut werden. Die Medien- und Internet-Erziehung beginnt im Elternhaus, da normalerweise die Eltern und Erziehungsberechtigten bestimmen, zu welchem Zeitpunkt ihre Kinder Internetzugang oder ein Smartphone erhalten.

Krebser: Was raten Sie betroffenen Kindern und ihren Eltern, wenn ihr Kind betroffen ist? Wo sollen sie sich melden und wie sollen sie sich verhalten?

Ineichen: Eine Möglichkeit ist, über die Eltern die Situation anzusprechen und zu klären. Man kann sich aber auch direkt an die Schule wenden und um Hilfe bitten (Lehrperson, Schulsozialarbeit, Schulleitung). Rechtlich gesehen ist es auch möglich, sich direkt an die Polizei zu wenden.

 
Die Antworten von Frau Ineichen beruhigen mich. Es stresst mich um einiges weniger, wenn ich weiss, dass dieses Thema an den Schulen thematisiert wird und dass man als Eltern damit nicht alleine dasteht, sondern wertvolle Unterstützung bei der Schulleitung, Schulsozialarbeitern und Lehrpersonen findet. Ich persönlich besuche regelmässig die Seite zischtig.ch, um mich auf dem neusten Stand zu halten, denn Wissen mindert ja bekanntlich Angst.


Übrigens stand mein Name einige Zeit später nochmals auf einem der knallroten Bänkli, aber diesmal mit einem Herz darum herum. Ich habe nie herausgefunden, wer das war, aber heute würde ich darunter schreiben: «Gefällt mir!»

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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