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Kinder wissen, wie viel sie wissen wollen

Aufklärung: Wie man Kinder auf «das Gespräch» vorbereitet

Wenn man mit Kindern schon früh offen über Sexualität und ihren Körper spricht, kann man womöglich das eine peinliche Gespräch vermeiden. (Bild: nst)

Früher gab es dieses Gespräch. Ihr wisst schon, dieses eine. Es war wohl beiden Seiten schampar unangenehm. Dann nämlich, wenn einen die Mutter oder der Vater zu sich auf das Sofa rief und über die ganz grosse Sache im Leben redete: Sex.

Beide Seiten haben wohl erleichtert aufgeatmet, als es vorbei war. Doch zurück blieben einige Fragen. Ist das alles? Das klingt ja gar nicht schön. Vielmehr ging es im Gespräch wohl darum zu vermeiden, dass man einen Tripper, einen Vaginalpilz oder gar ein Kind nach Hause brachte. Alle drei Varianten galt es zu dieser Zeit um jeden Preis zu vermeiden. Gesprochen wurde über biologische Fakten, mehr nicht. Über schöne Gefühle, die Lust und die Freude sprach damals mit mir – und wohl auch mit vielen anderen in meinem Alter – niemand.

Ein Höhepunkt war, wenn der Biolehrer in der Sek ein Kondom über eine Banane zog. Dies war für diese Zeit das Mutigste überhaupt. Alle anderen Lehrer drucksten ebenso rum wie die meisten Eltern. Meine Eltern zum Beispiel habe ich nie nackt gesehen. Da ich keinen Bruder hatte, musste ich auf die «Bravo» oder sonstige «spannende» Heftli bei der Altpapiersammlung hoffen. Unglücklicherweise war mein Vater oftmals der Fahrer bei ebendieser Sammlung.

Beim Namen nennen

Dabei findet die Aufklärung so viel einfacher im Alltag statt, und zwar ab Kleinkindalter. Zum Beispiel, wenn man beim Eincremen des Körpers gleichzeitig die Körperteile benennt. Warum benennen wir da in einer grossen Selbstverständlichkeit Arme, Beine, Füsse, jedoch nicht die Vulva, die Hoden und den Penis?

Wenn ich keine Namen für meine Körperteile habe, wie soll ich dann ein gutes Körpergefühl entwickeln? So viele Mädchen wissen nicht genau, wo der Urin und wo später eventuell mal ein Baby rauskommt. Dabei ist es so einfach, dem Mädchen im Badezimmer einen Handspiegel zu reichen und zu erklären, was wo ist. Und dies nicht mit eigenartigen Übernamen, sondern klaren Bezeichnungen. Dadurch bekommen die Kinder Begrifflichkeiten an die Hand – auch das ist bereits Sexualaufklärung. Es erscheint mir so wichtig ihnen Wörter mitzugeben anstatt «da unten» oder «Schlauch» oder «Bisi».

Und zwar solche Begriffe, die auch Personen ausserhalb der Familie verstehen: Betreuungspersonen in der Kita oder in der Schule, der Arzt, die Grosseltern. «Warum das denn?», fragt man sich. Weil sexuelle Aufklärung viel zum Schutz vor sexueller Gewalt beiträgt. Nur aufgeklärte Kinder wissen, was okay ist und was nicht. Nur aufgeklärte Kinder können von Übergriffen berichten. Es macht einen Unterschied, ob ein Mädchen sagt, jemand habe sie da unten angefasst oder an der Vulva. Da unten könnte auch am Oberschenkel oder sonstwo sein. Gleiches gilt selbstverständlich für Jungs.

Konsens schon im Kindesalter, ja klar!

Wenn Kinder Raum für sinnliche Erfahrungen haben und dabei ihre Grenzen respektiert werden, legt dies einen Grundstein für einen selbstbestimmten und selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität. Auch Regeln des Miteinanders müssen erst gelernt werden. Die Stopp-Regel, die meist im Kindergarten oder in der Schule eingeführt wird, finde ich gäbig. Aber auch, jemand anderen nur dann zu berühren, wenn diese Person das möchte und auch nur dort, wo sie es möchte.

Unsere Kinder brauchen dazu aufmerksame Bezugspersonen, die bereit sind, diese Regeln in respektvoller Weise immer und immer wieder einzufordern. Nein sagen zu können und auch zu sehen, dass wir diese Grenze wahrnehmen und auch selbst formulieren: «Ich möchte nicht, dass du den Vorhang öffnest und mich die Badigäste blutt sehen.» «Ich möchte nicht, dass du mich an den Brüsten berührst. Ja, am Bauch ist okay.» Auf diese Weise lernen die Kinder, dass es in Ordnung ist, jederzeit Ja respektive Nein zu sagen. Damit üben sie gleichzeitig auch, ein Nein zu akzeptieren. Denn wie es im Workshop der Schule hiess und in diversen Broschüren steht: Mein Körper gehört mir und ich bestimme, was mit ihm passiert.

Bücher herumliegen lassen

Mein Trick ist es, jederzeit und überall Bücher herumliegen zu lassen. Ja, auch söttige über Liebe und Sexualität. Die Kinder sollen spüren, dass diese Bücher nicht anders bewertet werden als Wissensbücher über Tiere oder «Mein Lotta-Leben» und «Ronja Räubertochter». Sie nehmen diese gerne mit zu sich ins Zimmer. Beim Kauf der Bücher achte ich darauf, dass Wörter wie Penis, Vulva und Klitoris verwendet werden. Und dass die weiblichen Geschlechtsteile ebenso klar abgebildet sind wie die männlichen. Logisch, ich bin ja eine Mädchenmama und finde, dieses Weglassen ist lang genug gang und gäbe gewesen.

Unverklemmt und gerade so viel, wie die Kinder wissen wollen

Aber das ist ja alles viel zu früh, denken viele. Eltern, welche die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und denken, die reden jetzt tatsächlich schon im Kindergarten über Sex. Darum geht es bei Weitem noch nicht. Kinder fragen immer gerade so viel, wie sie wissen wollen. Sie bestimmen das Tempo. Und das ist okay. Ziel sollte doch eher sein, überhaupt eine Gesprächskultur zu pflegen. Nicht zu vertrösten mit Worten wie «dafür bist du noch zu jung».

Sind wir als Eltern überfordert, können wir auch sagen: «Das ist eine gute Frage, darüber will ich nachdenken» und «da will ich mich einlesen» oder «vielleicht finden wir ein Buch darüber». Dass wir eine kindgerechte, klare und einfache Sprache verwenden, ist selbstverständlich. Vieles wollen die Kinder noch gar nicht so genau wissen. Sie wissen jedoch, dass sie jederzeit mit ihren Fragen wieder kommen können.

Auf diese Weise werden wir nie die grosse Rede vorbereiten müssen. Denn auf unserem Sofa sollen die wichtigen Gespräche jederzeit Thema sein dürfen.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Regula
    Regula, 12.09.2021, 20:32 Uhr

    Sehr ein wichtiges Thema. Danke. Hast du noch einige Buchtipps?

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    • Profilfoto von Nadja Stadelmann Limacher
      Nadja Stadelmann Limacher, 20.09.2021, 09:11 Uhr

      Danke Regula, hier meine Buchtipps:

      – Von wegen Blümchen & Bienen von C. Müller, S. Siehl und E. Völker

      – Gucken verbote – das (fast) geheime Aufklärungsbuch von I. Einwohlt und K. Vöhringer

      – Liebe deinen Körper von J. Sanders

      – Busengewunder von L. Frühbeis

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