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Unter meinen Rollen ist die Mutterrolle die Schwierigste

Am Klassentreffen zeigt sich: Was wurde nur aus unseren Träumen?

Zu den traditionellen Rollenbildern kommen neue hinzu. (Bild: Nadja Stadelmann-Limacher)

Begegnen wir unseren Eltern, sind wir Kinder. Meine älteste Schwester hat noch immer das Gefühl, sie müsse meine Turntasche tragen. Begegnen wir unserer ersten grossen Liebe, sind wir das unsichere Mädchen mit Pickeln. Doch ganz schlimm ist es auf Klassentreffen.

Ich trete in den Partyraum, in diese Menge kahl gewordener Männer und mütterlicher Frauen und denke, da gehöre ich nicht her. Ich bitte dich. Die können unmöglich gleich alt sein wie ich mich gerade fühle. Wäre ich alleine hingegangen, wäre ich zur Seitentüre wieder raus. Aber da ist doch der Gwunder, was aus all denen und uns geworden ist. Und wir sind ja zusammen hingefahren, also werden wir auch wieder zusammen nach Hause fahren. Nach einer Stunde fühle ich mich genau so, wie damals in der Sekundarklasse.

«Everything I do ...»

Es ist dieses Klassenlagerfeeling im höchsten Grad. Wir hören Musik von damals, wir singen beziehungsweise grölen und tanzen. Immerhin lassen wir den Spaghettitanz weg. Früher haben wir uns ja zur Begrüssung weder umarmt noch geküsst. Also mussten wir auf den Spaghettitanz warten, um diesem einen Menschen ganz nah zu kommen. Es gab damals Lieder, die besonders geeignet waren, um möglichst lange in den Armen dieses Menschen zu liegen. Bryan Adams «Everything i do …» war so eins.

Es geht richtig, richtig lange. Was je nach Tanzpartner ein Traum oder die Hölle war. Diesmal tanzen wir alleine, die Umarmung haben wir bereits bei der Begrüssung bekommen. Wir sind laut und wild, fühlen uns jung und unverschämt. Es würde mich nicht wundern, wenn die Türe geräuschvoll aufgestossen würde, der Klassenlehrer im Türrahmen erschiene und uns darauf aufmerksam machte, dass wir zu laut seien und ob wir nichts zu tun hätten.

Hä? Aber nein, wir sind ja jetzt so erwachsen, stehen mit beiden Beinen fest im Leben (meistens jedenfalls), tragen die Verantwortung für uns selbst, die meisten auch noch für eine ganze Familie mit Kind, Hund und Haus. Einige sitzen im Gemeinderat, andere im Verwaltungsrat einer grossen Firma, andere sind ausgestiegen und teilen sich mit dem Lebenspartner ein einfaches Hüttli in einem abgelegenen Tal des Entlebuchs.

Verlorene Träume

Was ist aus uns geworden? Aus unseren Träumen von damals? Auch aus unserer Unbeschwertheit? Was ist passiert? Das Leben. Die meisten haben eine ihr nahestehende Person verloren, wurden verlassen, haben gezweifelt und wieder Mut gefasst. Wurden enttäuscht und getäuscht. Mussten kämpfen und haben mal gewonnen, mal verloren.

Viele Träume sind geplatzt, andere neu geträumt und umgesetzt. Das Leben mit 40 ist nicht mehr ganz so unbeschwert wie damals. Obwohl es mir damals weiss Gott nicht immer so regenbogenfarben vorkam, wie es hätte sein sollen. Die Probleme von damals wogen zentnerschwer und wenn ich heute zurückblicke, waren sie keineswegs unbedeutend, aber doch leicht zu lösen.

Was würde ich meinem damaligen Ich raten, so frage ich mich. Nimms nicht so schwer und lebe mit jeder Faser deines noch so jungen, sich entwickelnden Körpers. Lebe und brich aus. Raus aus deinen angepassten Denk- und Verhaltensmustern. Raus aus den Strukturen deiner Familie und folge deinem Herzen.

Die Mutterrolle

Ich war beziehungsweise bin Schwester, Tochter, Studentin, Mitarbeiterin, Freundin, Liebhaberin, Sportkollegin, Nachbarin, Pendlerin, Partnerin, Vorgesetzte, Ehefrau und noch vieles mehr. All dies galt es zusammenzuhalten und die verschiedenen Rollen zu leben. Eine besondere fehlte noch. Sie schien mir die Rolle aller Rollen: Die Mutterrolle. Sie anzunehmen und komplett auszufüllen braucht Zeit und immer wieder ein Über-Bord-werfen von Vorstellungen. So ging es mir zumindest.

Ich weiss noch, wie wir damals mit diesem munzigkleinen Baby, das im Maxicosi kaum zu finden war, im zweiten Gang vom Geburtshaus nach Hause fuhren. Wegen meiner Geburtsverletzungen – ich spürte jede Bodenwelle – getraute sich der Neo-Vater kaum einen Gang höherzuschalten. Da waren wir nun zu dritt und richteten uns ein. «Ich bin jetzt Mutter!», so dachte ich. Noch immer so unwirklich, obwohl ich ja neun Monate Zeit gehabt hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Es kam mir noch immer surreal vor.

Ich wartete auf den Moment, in welchem die Türe aufging und die Profis kamen, um uns zu sagen, wie wir das nun zu «handlen» hätten. Sie, die auf alle Fragen eine passende Antwort und Lösung parat hatten. Sie, die niemals unwissend dastanden. Sie, die Mutterschaft für das Einfachste der Welt hielten. Doch sie kamen nicht. Ich war jetzt in dieser neuen Rolle und hatte sie auszufüllen nach meinem besten Wissen. Ich wollte eine gute Mutter sein. Aber was heisst das schon?

Trotz Spezialisten – den Weg zur Mutterrolle selber finden

Ich brauchte Zeit, um mich an die neue Rolle zu gewöhnen und vor allem an einen komplett anderen Alltag als vorher. Dieses Kind hielt sich an keinen Plan. Also war mehr Bauchgefühl als Hirn angebracht. Aussenstehende hatten Erwartungen, wie ich diese Rolle auszufüllen hatte. Die Liste dieser Erwartungen, die ich an mich, an uns als Paar, als Familie gestellt wurde, war lang und teilweise widersprüchlich.

Auch hatten wir viel zu diskutieren, was den gängigen Vorstellungen der Geschlechterrollen entspräche und was wir uns anderes wünschten. Es war ein Aushandeln, ständig in Bewegung sein und immer wieder Neuanpassen. Bis heute.

Je länger ich die Mutterrolle gestalte, lebe und stetig den Bedingungen anpasse, desto klarer wird mir eines: Wichtig ist, dass du als Mutter nicht irgendeine Rolle spielst. Sondern deine Rolle mit deinem Kind. Egal, was die anderen sagen.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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