Wer ein Abendessen im «Schiff» in Luzern plant, hat die Qual der Wahl. Gleich in vier unterschiedlichen Lokalitäten kann man sich an der Reuss aufhalten. Wir haben die Wirtsstube gewählt – und stossen neben viel Tradition auf eine berühmte Bratwurst, die alles andere als eine Schönheit ist.
Seit 30 Jahren wirten im Luzerner Restaurant Schiff Sylvia und Peter Wiesner, wenn auch mit einem Unterbruch. Noch deutlich älter ist jedoch das Gasthaus an sich, dessen Wurzeln auf 1835 zurückgehen. Das zeigt sich sofort. Denn auch wenn wir uns dem Lokal für unseren Restaurant-Test aus der hinteren, schmucklosen Gasse annähern, wird klar: Hier geht es traditionell zu und her.
Der Zugang zur Wirtsstube führt an einem Telefonapparat aus dem vorletzten Jahrhundert vorbei. Und auch in der wunderschönen alten Speiselokalität wird an nicht mehr ganz junge Semester gedacht: Auf einem selbst gemachten Brett auf dem Buffet stehen Lesebrillen zur Ausleihe bereit. Tolle Dienstleistung, die unsere Erwartungen an den Service gleich noch höherschrauben.
Doch nicht nur für den Service, auch für uns gilt: «Im ‹Schiff› gehts um die Wurst!» Meine Begleitung wird nicht müde, uns vor der in seinen Augen falschen Bestellung zu warnen. «Wer hier freiwillig auf die Bauernbratwurst verzichtet, ist selber schuld», nölt er weiter.
Es geht um die Wurst
Er verzichtet nicht – logischerweise. Die 220 Gramm schwere Schweinsbratwurst ist auf der Karte in vier Servicevariationen zu finden: mit Hausbrot, mit Rösti, mit Pommes frites oder mit Blattsalaten. Die Zwiebelsauce wird immer dazu serviert: in einer Sauciere, damit die Wurst nicht von Anfang an in der Sauce ertränkt wird.
Eine Schönheit ist die Wurst nicht. Sie präsentiert sich dünn, lang und in Farben, die nicht primär appetitanregend sind. Aber sie scheint zu schmecken. Das Rezept der Familie Wiesner (zentralplus berichtete) braucht auch nach Jahrzehnten keine Änderung. Meine Begleitung spricht von Aromen wie Muskatnuss und glaubt, auch einen Hauch Nägeli ausmachen zu können. Als ich «alles hat ein Ende – nur die Wurst hat zwei» sage, hat er verstanden und bietet mir grosszügig das entfernte Ende der Schweinsbratwurst an. Ich koste und muss selber konstatieren: Das ist wirklich eine gute Wurst. Bekanntlich zählen auch die inneren Werte.
Perfekt gereift
Beim Wein hingegen hatte unser wurstbegeisterter Mitesser so seine Zweifel. «Ein zehnjähriger Wein, ist der nicht zu alt?» Nein, ist er nicht, ganz im Gegenteil. Nach zehn Jahren ist der Château Faugères gerade erst in der Blüte seines Lebens angekommen respektive war er. Und weil der 2012 zum Grand Cru Classé geadelte Saint-Émilion nicht nur gefällig schmeckte, sondern dazu noch viel Struktur und Tiefe mitbrachte und hier zum sehr fairen Preis von 85 Franken serviert wird, mussten an diesem Abend auch gleich zwei Flaschen dran glauben.
Anderen in der Runde hingegen war zwar nicht der Wein, aber die Wurst wurst. Klassiker standen jedoch auch bei ihnen hoch im Kurs. Bei mir war dies erst einmal der grüne Blattsalat in seiner einfachen Form. Wobei hier selbst der Einsteigersalat alles andere als trivial daherkommt. Aus drei Saucen wähle ich die Himbeer-Vinaigrette, ein sehr süsses Dressing, dessen Wirkung von Trauben und Mais gestützt wird. Auf dem vielfältigen Teller finden sich ausserdem grüner Salat, etwas Nüssli, zweifarbiger Chicorée und Tomaten. Die Brotcroûtons hätte es aus meiner Sicht nicht zwingend gebraucht. Denn zum feinen Hausbrot werden drei Buttersorten serviert, unter anderem mit Tomaten und Pesto.
Hauptgänge für Traditionalisten
Nach dem gelungenen Einstieg geht es weiter mit Hacktätschli. Zwei doch recht fleischige, kompakte Kugeln finden den Weg zu mir, getrocknete Zwiebeln sorgen für etwas Crunch. Serviert auf Grossmutters Blumenteller scheint das Gericht der Küche ein bisschen zu traditionell zu sein, sodass sich noch zwei Blätter aus frittiertem Frühlingsrollenteig dazugesellen. Klassisch ist dafür wieder der Jus, ebenso wie die glasierten Rüebli.
Viel Freude bereitete auch die zur Bratwurst servierte Rösti – dies scheint im «Schiff» tatsächlich das Gericht der Wahl zu sein. «Die Rösti würde ich gerne auch mal alleine essen», heisst es aus der Runde. Dank grosszügigen Buttereinsatzes wäre wohl auch so für ausreichende Kalorienaufnahme gesorgt. Etwas weniger Begeisterung löste hingegen mein Kartoffelstock aus, der kaum Aroma aufwies. Wurde hier etwa gemixt statt gerührt? Wir wissen es nicht, und auch die kompetente Bedienung wollte diese fast schon bösartige Annahme argumentativ kompetent ausschliessen.
Kreatives Fritschi-Pastetli
Ebenfalls nicht fehlen durfte bei unserem Test natürlich das Fritschi-Pastetli. Der Bäcker lebte beim Verzieren mit Teigstreifen und weissem und schwarzem Sesam seine ganze Kreativität aus. Das Kunstwerk war aber nicht nur schön anzuschauen, sondern noch besser zu geniessen. Das verarbeitete Kalbsvoressen war sehr schön zart und mit einer feinen Safrannote versehen, das Pastetli blieb lange Zeit knusprig.
Rahm durfte in der Sauce natürlich ebenso wenig fehlen wie die Champignons und Brätkügeli. Ebenfalls bereits mitgekocht wurden Sultaninen. Das kennen wir in Luzern auch anders, wo die Weinbeeren aus Rücksicht auf die häufige Sultaninenabneigung gerne separat serviert werden. Um das Kugeltrio komplett zu machen, gesellten sich zu den Beeren und Brätkügeli noch in Butter geschwenkte, aromatische Gartenerbsen.
Mit den Hautpgängen nicht ganz mithalten konnte bei unserem Besuch das Tagesdessert, Erdbeeren mit Vanillesauce auf Blätterteigkissen (12 Franken). Glücklich waren wir auch so.
Fazit unseres Tests: Grossmutters Rezepte haben einen grossen Vorteil: Was während Jahrzehnten optimiert wird, findet im Idealfall in Topform zum Gast. Das ist hier gelungen, noch dazu in wunderschönem Ambiente.
Bewertung
Preis-Leistung *****von***** So klassisch wie das Lokal ist in einigen Bereichen auch die Karte, Langeweile kommt dabei aber keine auf. Ganz im Gegenteil. Bei den Klassikern finden sich beliebte Gerichte wie Pastetli (39.50 Franken), Hacktätschli (33 Franken), die im Haus gemachte Bratwurst (29.80 Franken), Schweinebauch, geschmorte Rindsbäggli (33 Franken) oder Kalbsleber. Fleischlastig geht es auch auf dem 800 °C heissen Grill zu, wo Edelstücke vom Rind und Lamm zubereitet werden. Fisch wird hier hingegen nur paniert serviert, dafür kommen Vegetarier mit drei Gerichten (Älpler-Makronen, Penne mit Linsen-Bolognese und Ratatouille-Gnocchi) auf ihre Kosten. Mittags werden Menüs für 23 und 26 Franken serviert.
Für die gebotene Leistung und die grandiose Lage sind die Preise keinesfalls zu hoch. Die Portionen sind so bemessen, dass auch der grössere Hunger gestillt sein dürfte.
Ambiente *****von***** Das «Schiff» bietet mit der Wirtsstube, dem Keller, der Terrasse unter den Arkaden und dem La Barca (die frühere Rossmetzgerei) vier ganz unterschiedliche Ambiente und Karten. Das Gebäude geht zumindest teilweise zurück auf das 16. Jahrhundert, gewirtet wird hier seit 1835. In der Wirtsstube geniesst man an massiven Holztischen den Blick über Reuss zur Jesuitenkirche, an den Wänden hängen Replika von Kapellbrücke-Bildern. Das Interieur atmet den gepflegten Geist vergangener Zeiten, angefangen vom Parkett und dem Buffet über die Kerzenhalter, das Porzellan und Silberbesteck.
Service ****von***** Die Bedienung war aufmerksam, die Wartezeiten sind angenehm und nicht zu lange. Der Wein wurde nicht zu warm und in korrekten Bordeaux-Gläsern serviert. Hätte der Kellner sich nach unseren Bemerkungen über den Kartoffelstock in der Küche erkundigt, wäre ihm der fünfte Stern gewiss gewesen.
Onlinefaktor ****von***** Die Website bedient vier Lokale zusammen. Der Auftritt ist modern, für fremdsprachige Gäste steht eine Übersetzungsfunktion zur Verfügung. Bei den Inhalten ist alles vorhanden, von der Bildergalerie über die verschiedenen Menü- und Tageskarten hin zu Stellenangeboten, zur Vorstellung der Gastgeber oder Geschichte des Lokals. Einzig der Aufruf der Weinkarten führte bei unserem Test zu einer Fehlermeldung. Onlinereservationen sind möglich.
Seit 2012 als CEO bei zentralplus. Einstieg als Journalist 1989 beim «Zuger Tagblatt», seit 1998 in verschiedenen publizistischen Funktionen bei elektronischen Medien tätig.
So isst zentralplus – Vom Gourmet bis zum Fast-Food – der eat’n drink-Blog befasst sich mit alltäglichen und besonderen gastronomischen Erlebnissen aus den Kantonen Zug und Luzern.