Von der Wurst zu den Liebes-Nazis – meine Rückkehr aus Italien
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Der Flaneur kommt heim in die Schweiz. Doch das Heimkommen ist für ihn schwieriger als angenommen …
Ich war jetzt lange in Italien. Das ist dieses wunderbare Drittweltland irgendwo südlich der Schweizer Alpen. Dort, wo Regierungen schneller wechseln als hierzulande das Wetter im April oder der Trainer beim FC Sion. Dort, wo Geschwindigkeitsbeschränkungen, Sicherheitslinien und Alkohol am Steuer in etwa die gleich grosse Beachtung finden wie die SVP-Zeitung in den Briefkästen der städtischen Bevölkerung. Und ja, auch dort, wo dich niemand verdutzt anstarrt, wenn du an der Bar zum Frühstück deinen Kaffee mit einem kleinen Muntermacher versetzt bestellst.
Vom Kulinarik-Himmel in die Bratwurst-Hölle
Aber all das ist nunmehr null und nichtig. Denn ich bin ja zurückgekehrt. Nach einer mühsamen Fahrt über den Gotthard und dem Verzehr der wohl geschmacklosesten Bratwurst, seit irgendjemand darauf gekommen ist, geschmacklose Bratwürste zu machen, bin ich dann total erschöpft und in schlimmer Magenverfassung in Luzern eingefahren.
«Aber die Post erinnerte mich dann doch zu sehr an Prost!»
Ich meine, jetzt mal ehrlich: Da schlemmt man knappt drei Wochen im toskanischen Kulinarik-Himmel und dann schafft es eine solch fleischgewordene Scheusslichkeit dir für alle Zeiten, also mindestens für alle Zeiten, die Lust auf jegliche erdenkliche Wurst zu versauen. Versauen, ja versauen. Die Kalbsbratwurst hat’s mir regelrecht versaut. Die Hälfte meines Lebens ist ruiniert!
Wieder in Luzern ... und ab in die Bar
Am Abend dann wollte ich eigentlich zuhause bleiben und wie man so schön sagt, die Post durchgehen. Aber die Post erinnerte mich dann doch zu sehr an Prost!, sodass ich sämtliche Rechnungen ungeöffnet auf dem Schreibtisch liegen liess und mich unverzüglich auf die Gasse wagte.
Dann kehrte ich in einer Bar ein. In einer schönen Bar, muss man sagen. Eine dieser Bars, in denen man meinen könnte, dass dort Abend für Abend Geschichte geschrieben wird. Aber Luzern ist halt Luzern und somit werden hier höchsten Geschichten geschrieben, aber niemals Geschichte ...
Als ich noch ein Teenager war, gehörte es ja zum guten Ton, hatten sich zwei verpickelte Hormonopfer auf einer Party gefunden, sich gegenseitig - und das vor versammelter Belegschaft – die Zunge in den Hals zu stecken, um einander die Zahnspange zu polieren. Mit dem Älterwerden tritt dann aber dieses Bedürfnis nach öffentlichem Austausch geschmackloser Amourösitäten definitiv in den Hintergrund – meinte ich zumindest immer.
Wenn die Bar mit einem Swingerclub verwechselt wird ...
Da sitze ich also an dieser schönen Bar und dieses mittelalterliche Pärchen macht einfach rum. Einfach rum gemacht haben sie! Und nicht im Sinne von hin und da mal ein Küsschen auf die Lippen und ein liebevoller Klapps auf den Hintern.
«Zwei Stunden und einen gefühlten Liter Flüssigkeitsaustausch später sitzen die beiden noch immer da.»
Nein, das war Vollkontaktschmusen für Fortgeschrittene. Ein zungenschnalzender und arschgrapschender Prolog für weitere, höhere Aufgaben, dachte ich. Aufgaben, die augenblicklich nach Erledigung schreien würden, glaubte ich. Doch nichts da. Zwei Stunden Sabbern und einen gefühlten Liter Flüssigkeitsaustausch später sitzen die beiden noch immer da und verbiegen ihre Sprechorgane wie eine übermotivierte Logopädin mit halbseitiger Gesichtslähmung.
... hilft ein Glas Rotwein
Also jetzt wirklich! Dass so was erlaubt ist. Ich meine, dass es das überhaupt gibt. Das ist doch einfach ein Affront, dachte ich, den vorzüglichen 2006er Bordeaux nachfüllend. Eine niederträchtige, infame Haltung gegenüber allen einsamen, verzweifelten, unter Liebeskummer leidenden Menschen ist das. Eine seelische Dampfwalze sind solche Leute, ein egoistisches Liebespack ohne Scham und Rücksicht, gemeine Liebes-Nazis sozusagen! Sie waren mir von Anfang an verhasst, denke ich. Und ich werde sie auch immer hassen, denke ich jetzt. Denn sie haben meine kostbare Zeit verplempert. Genitalien, sagte ich leise vor mich hin. Bloss zurück Genitalien, dachte ich, eine letzte Zigarette anzündend.