Eine Kriegserklärung – mit dem Feind am Tisch

Unser Flaneur flaniert dann und wann in Italien. Und trifft dort in der Toskana auf ein Ehepaar, für das er keine Nettigkeiten übrig hat.

Schreibende Person

Claudio Fenner

Mir kommt die Geschichte in den Sinn, die sich vor ein paar Jahren in Italien abgespielt hat. Genauer gesagt in der Toskana. In einem schmucken kleinen Hotel auf einem Hügel. Da flaniere ich – gerade während der Sommermonate – auch sehr gerne. Wobei in diesem Zusammenhang fast nicht mehr von Flanieren die Rede sein kann, denn der Bewegungsradius meiner ehrwürdig betagten Sportlichkeit ist doch eher klein und beinhaltet lediglich Zimmer, Esstisch und Pool.

Vielleicht mal noch eine Partie Billard am späten Abend, um ein paar Kugeln zu versenken. Aber im Grossen und Ganzen geht es da sehr ruhig zur Sache und man geniesst den Luxus des einfachen Lebens fernab von Grossstadthektik und «Saugofengeschrei» in diesen sogenannten Familienhotels.

Essen wie Gott in Italien

Der weltweite Siegeszug der italienischen Küche spricht für sich und auch bei uns in der Toskana wird fürstlich getafelt – mehrfach täglich. Der Tischwein aus der Nachbarschaft fungiert dabei als treuer Begleiter und zaubert auch einem noch so spiessigen, knausrigen, griesgrämigen, bösen Deutschen alsbald ein Grinsen auf die Fratze. Auch Botox-Behandlungen kann man sich sparen; denn Pizza, Pasta und Tiramisu sind wunderbare natürliche Faltenfüller und dank des hauseigenen Olivenöls auch problemlos verdaubar – herrlich!

Aber eben. Auch das schönste Paradies auf Erden ist vor einem plötzlichen Angriff nicht gefeit. So geschehen, wie gesagt, vor einigen Jahren, als sehr sonderbare Menschen die Szenerie betreten und mir meinen Seelenfrieden nach allen Regeln der Kunst geraubt hatten. Diese sonderbaren Menschen waren zwei Eheleute mit ihren zwei Kindern, die schon da für ihr ganzes Leben ruiniert schienen.

Das tückische Ehepaar

Der Ehemann ein Fettsack vor dem Herren. Eine Ausgeburt der Proletenhölle. Ein unsensibler, patriarchaler Tyrann, der seine eigenen Kinder schikanierte, wie mich dazumal Oberleutnant Giger in der Rekrutenschule – man sieht sich im Leben immer zweimal! Die Ehefrau, ein ausgezehrter, marathonlaufender Hungerhaken mit dem Sexappeal eines Krebspatienten im Endstadium. Stets falsch lächelnd, stets bemüht um Kontakt, stets nervtötend in ihrer heuchlerischen Scheusslichkeit.

All das hätte ich ihr noch verzeihen können. Wir wären sozusagen aneinander vorbeigekommen, wenn ich mich bemüht hätte. Doch bei Tisch – alle Gäste essen dort zusammen an einer grossen Tafel – eskalierte die Situation. Während der Fressrüpel – also ihr Ehemann – schon bei der Vorspeise dreimal Nachschlag verlangte, sass sie so uninspiriert vor ihrer Bruschetta und ihrem Prosciutto wie eine Lesbe in der vordersten Reihe einer Chippendales-Aufführung. Sie würde weder Fleisch noch Kohlenhydrate essen und schon gar keinen Alkohol trinken, teilte sie der ganzen Gesellschaft – sogar noch mit Stolz – mit.

Auf Kriegsfuss

Das war's. Aus und vorbei. Krieg! Sie hatte es so gewollt. Keines Blickes wurde sie mehr gewürdigt, jeglicher Anschlussversuch ans Tischgespräch unterbunden. Nicht nur von mir – in der Not rückt man nämlich zusammen.

Ein eiserner Vorhang wurde gespannt und mit stalinistischer Härte machten wir ihr den Garaus. Und in diesem schönen Moment, als ihr penetrantes Dauergrinsen der Finsternis in ihrer Visage weichen musste, hatte ich auch meinen Seelenfrieden wiedergefunden.

Und wenn sie nicht gestorben ist, dann gibt's ja noch die Möglichkeit eines plötzlichen Herztodes beim nächsten Marathon.