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Nachhaltigkeit vor fast 15'000 Jahren

Zuger Funde zeigen: Recycling war bei Pfahlbauern angesagt

Funde in Zug belegen, dass Recycling auch vor tausenden Jahren schon wichtig war. (Bild: Wikimedia Commons / Museum für Urgeschichte(n), Res Eichenberger)

Wer denkt, Recycling oder Upcycling sei eine moderne Modeerscheinung, täuscht sich. In beiden Punkten war wohl kaum jemand besser als die Menschen aus der Steinzeit.

Ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen liegt heute im Trend. Für die urgeschichtlichen Menschen war er Normalität, denn Rohstoffe und Lebensmittel zu beschaffen war aufwendig. Viel Zeit und Energie erforderte auch das Herstellen von Alltagsgegenständen. Recyceln, Reparieren, Umarbeiten und Wiederverwenden waren daher selbstverständlich, wie auch Funde aus der Zuger Urgeschichte zeigen.

Nose-to-Tail in der Steinzeit

Schon die Zugerinnen und Zuger der Steinzeit schätzten ein gutes Stück Fleisch. Von altsteinzeitlichen Genüssen zeugen zwei Schulterblätter und das linke Schienbein eines Elchs. Dass das männliche Tier sein Ende vor etwa 14’500 Jahren durch menschlichen Einfluss fand, zeigen Schnittspuren von Silexklingen auf dem Schienbein.

Elchknochen der späten Altsteinzeit. Schnittspuren am Schienbein (Mitte) belegen, dass der Elch geschlachtet wurde. Das Loch im linken Schulterblatt (links) stammt von einer verheilten älteren Verletzung. Fundort: Zug, Gartenstadt.
Elchknochen der späten Altsteinzeit. Schnittspuren am Schienbein (Mitte) belegen, dass der Elch geschlachtet wurde. Das Loch im linken Schulterblatt (links) stammt von einer verheilten älteren Verletzung. Fundort: Zug, Gartenstadt. (Bild: Amt für Denkmalpflege und Archäologie Zug, Jochen Reinhard)

Sie rühren vom Abschneiden des Muskelfleischs her. Der Elchschmaus bestand nicht nur aus Fleisch. Um auch an das nahrhafte Knochenmark zu gelangen, zerschlugen die Menschen das Schienbein. Schnittspuren und zerkleinerte Knochen zeigen regelhaft, dass früher alle essbaren Teile der Tiere verzehrt wurden: Hirn, Lunge, Herz, Blut, Magen, Nieren, Milz, Hoden, Zwerchfell, Füsse, Ohren, Schnauze, Schwanz und mehr. «Nose-to-Tail» in Reinform also, schon in der Steinzeit!

Tiere – viel mehr als Fleisch

Ob Jagdwild oder Haustier – Tiere lieferten nebst Nahrung viele weitere wertvolle Rohstoffe. So gingen auch die ab der Jungsteinzeit von der Landwirtschaft lebenden Menschen gerne auf die Jagd. Beliebte Beutetiere waren Hirsche, denn sie lieferten viel Fleisch. Darüber hinaus verwerteten die Menschen alle übrigen Teile des Tieres: Die Haut gerbten sie zu Fellen oder Leder, Sehnen wurden zu Nähgarn, Knochen zu Werkzeug und Zähne zu Schmuckstücken und Amuletten.

Ein besonders geschätzter Rohstoff war das Geweih. Daraus entstanden zum Beispiel Werkzeuggriffe und die Zwischenfutter für Steilbeile. Letztere wurden zwischen Schaft und Beilklinge eingesetzt und federten den Schlag ab, sodass das Beil weniger schnell kaputtging.

Vom Hirschgeweih (oben) zum Zwischenfutter fürs Beil (unten). Rohmaterial, Halbfabrikate und Geräte aus jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen in Zug, Riedmatt und Steinhausen, Sennweid (um 3000 v. Chr.).
Vom Hirschgeweih (oben) zum Zwischenfutter fürs Beil (unten). Rohmaterial, Halbfabrikate und Geräte aus jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen in Zug, Riedmatt und Steinhausen, Sennweid (um 3000 v. Chr.). (Bild: Museum für Urgeschichte(n), Dominique Batschelet)

Reparaturen, Upcycling und Recycling

Anders als heute, wo Alltagsgegenstände schnell gekauft sind, war ihre Herstellung früher eine zeitraubende Angelegenheit. Aufwendig war sowohl die Rohstoffbeschaffung als auch die anschliessende Handarbeit bis zum fertigen Produkt: Kleidung erforderte stundenlanges Spinnen, Weben und Nähen. Für das Geschirr musste Ton besorgt und verarbeitet werden. Der Keramikbrand benötigte viel Holz. Entsprechend sorgfältig pflegten die Menschen ihre Gegenstände. Defektes reparierten sie, wann immer möglich oder nutzten es anders.

Beispiele zeigen, dass Tongefässe geflickt wurden. Man durchbohrte die Scherben nahe der Bruchstelle, verband sie mit Schnüren und dichtete sie mit Birkenpech ab. War ein zerbrochenes Gefäss nicht mehr zu reparieren, konnten womöglich Teile davon weiterverwendet werden. Aus Bodenfragmenten entstanden Teller, Deckel oder Untersetzer. Fein gemahlene Keramikscherben wurden als Magerung dem Ton für neue Gefässe beigemischt. Dies verhinderte das Zerspringen des Brennguts beim Brand. Scherben wurden sogar als Netzsenker weiterverwendet, also wie Kieselsteine als Gewichte eingesetzt, um Fischernetze vertikal im Wasser zu halten.

Die durchlochten Scherben links zeugen von Gefässreparaturen. Die Fragmente rechts wurden als Netzsenker verwendet. Fundstelle Cham, Eslen, Jungsteinzeit, um 4000 v. Chr.
Die durchlochten Scherben links zeugen von Gefässreparaturen. Die Fragmente rechts wurden als Netzsenker verwendet. Fundstelle Cham, Eslen, Jungsteinzeit, um 4000 v. Chr. (Bild: Museum für Urgeschichte(n), Dominique Batschelet)

Bronze und ihre Bestandteile Kupfer und Zinn gelangten aus entfernten Regionen wie den Ostalpen beziehungsweise Südengland an den Zugersee und waren entsprechend kostspielig. Umso sorgsamer wurde mit Bronze verfahren. Als das vorderste Stück einer Schmucknadel abbrach, arbeitete man sie zu einer Fibel (einer Art Sicherheitsnadel) um.

Reparieren und Wiederverwenden in der Spätbronzezeit: Eine zerbrochene Nadel (oben) wurde zur Fibel umgearbeitet. Als sie erneut brach, nutzte man sie als eine Art «Geldbörse» für Wertgegenstände. Unten: Schmuckperlen aus Bernstein und Glas. Fundort: Zug, Sumpf, um 1000 v. Chr.
Reparieren und Wiederverwenden in der Spätbronzezeit: Eine zerbrochene Nadel (oben) wurde zur Fibel umgearbeitet. Als sie erneut brach, nutzte man sie als eine Art «Geldbörse» für Wertgegenstände. Unten: Schmuckperlen aus Bernstein und Glas. Fundort: Zug, Sumpf, um 1000 v. Chr. (Bild: Museum für Urgeschichte(n), Res Eichenberger)

Selbst Bruchstücke von defekten Metallobjekten wurden zu neuen Gegenständen umfunktioniert. Ein eindrückliches Beispiel ist die kleine Messerklinge, die aus einem verzierten Armreif geschmiedet wurde.

Erst Armschmuck, dann Messer: Die Klinge wurde aus dem Bruchstück eines reich verzierten Armringes hergestellt. Fundort: Zug, Sumpf, Spätbronzezeit, um 1000 v. Chr.
Erst Armschmuck, dann Messer: Die Klinge wurde aus dem Bruchstück eines reich verzierten Armringes hergestellt. Fundort: Zug, Sumpf, Spätbronzezeit, um 1000 v. Chr. (Bild: Museum für Urgeschichte(n), Res Eichenberger.)

Liess sich ein Metallobjekt trotz aller Kreativität nicht mehr nutzen oder war ein Schmuckstück komplett aus der Mode geraten, so wurde es eingeschmolzen und zu neuen Gegenständen gegossen.

Die detaillierte Betrachtung archäologischer Funde zeigt, dass ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen früher Alltag war. Wer nun nachhaltige Rezepte der Stein- und Bronzezeit nachkochen möchte, wird auf PalaFitFood fündig.

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