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Die «Jugendlich Bewegte»-Szene in Luzern

Wie Kurt Buffs Tod die «Luzerner Krawallnacht» auslöste

Versammlung junger Leute vor der Polizeiwache, 5. Januar 1969. (Bild: Stadtarchiv Luzern, 0060-05-D. Fotograf: Actualité Suisse Lausanne ASL)

Am 29. Dezember 1968 wird Kurt Buff verhaftet. Wenige Stunden später ist der 23-Jährige tot. Die Luzerner Polizei beschreibt den Todesfall als Suizid. Die Bevölkerung jedoch ist skeptisch und fordert eine transparente Aufarbeitung der Geschehnisse. Da diese ausbleibt, organisiert ein jugendliches Aktionskomitee eine Demonstration.

Am 4. Januar 1969 ereignet sich in Luzern eine beispiellose Szene. Vor dem Polizeiposten an der Obergrundstrasse 1 hat sich ein aufgebrachter Mob versammelt. Die wütende Masse skandiert Parolen und beschimpft die Polizisten als «Nazis» und «Mörder». Die Stimmung heizt sich zusehends auf. Auf der anderen Seite verschanzt sich die Polizei. Die Beamten verbarrikadieren sich im Gebäude und fotografieren die Teilnehmenden.

Jugendlich und langhaarig

Die Demonstrierenden setzen sich grossteils aus jungen Frauen und Männern zusammen. Viele kommen aus Arbeiterfamilien und wohnen in der Baselstrasse.

Die lokale Berichterstattung beschreibt sie als «tobend, siedend, herumtreibend, jugendlich und langhaarig». Medial wird ein Bild der gewaltbereiten Jugendlichen geschaffen, die ohne nennenswertes Motiv randalieren.

Die Jugendlichen haben jedoch einen Grund für ihren Unmut. Am 29. Dezember 1968 verstirbt der 23-jährige Kurt Buff nach einer Nacht in Polizeigewahrsam. Am Vortag wird er aus der mütterlichen Wohnung an der Baselstrasse abgeführt. Seine Mutter hatte sich von ihm bedroht gefühlt und deshalb die Polizei gerufen.

Unter Anwendung von Gewalt führt diese den jungen Mann ab. Nach der Ankunft auf dem Posten verschlechtert sich Buffs Zustand. In derselben Nacht wird er ins Kantonsspital eingeliefert. Noch auf dem Weg verstirbt er jedoch.

Kurt Buffs unerwarteter Tod

Offiziell wird sein Ableben als Suizid gewertet. Buff habe sich durch eine Überdosis Medikamente selbst gerichtet, so die offizielle Todesursache.

Die Luzerner Polizei versucht die Ereignisse zu verheimlichen und geht mit den vorhandenen Informationen intransparent um. Die Medien hingegen fordern eine Aufklärung des Falles. Ein Zeitzeuge beschreibt die Linie der Behörden als «dilettantisch und in keiner Phase klärende Informationspolitik».

Der damals bestehende «Zentralschweizerische Presseverein» stuft das Communiqué der Luzerner Polizei als «Modellfall für verfehlte Informationen» ein.

So breitet sich eine allgemeine Skepsis um die Todesursache von Kurt Buff aus. Verschiedene Stimmen zweifeln seinen Suizid an und gehen stattdessen von einem Fall polizeilicher Gewalt aus. Besonders die «jugendlich Bewegten», wie die adoleszente, halborganisierte junge Szene in Luzern inoffiziell genannt wird, traut der offiziellen Ursache nicht. Um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, beginnen sie eine Demonstration gegen das polizeiliche Vorgehen zu organisieren.

Krawall vor Polizeistation, 1969. (Bild: Stadtarchiv Luzern, 0060-01-D. Fotograf: Photopress, Zürich)

Vorbereitungen

Um ihr Demonstrationsgesuch gewinnbringend vorzulegen, bilden die «jugendlich Bewegten» ein Aktionskomitee. So entsteht die «Aktion freie Bürger». Sie bestimmen zunächst den 4. Januar 1969 als Austragungsdatum. Und legen einen Katalog mit geforderten Konsequenzen für die intransparente Polizeiarbeit im Fall Buff vor. So fordern sie unter anderem die direkte Suspension der involvierten Polizisten, die Absetzung von Polizeidirektor Robert Hodel und eine neutrale Berichterstattung über die Vorfälle.

Im Gegenzug legt die Stadt Luzern einen Katalog an Auflagen vor. Erst bei Erfüllung dieser Auflagen wäre eine Demonstration möglich gewesen. Die Auflagen der Stadt sind dem Aktionskomitee jedoch zu umfangreich. So ziehen sie ihr Gesuch am Vortag der Demonstration zurück.

Ihr Vorhaben geben sie dadurch aber nicht auf. Durch das Verteilen von Flugblättern und durch mündliche Propaganda können sie dennoch eine protestbereite Masse mobilisieren.

Die «Luzerner Krawallnacht»

Damit kommt es am 4. Januar 1969 zur besagten «Krawallnacht». Gegen 20.30 Uhr befinden sich mehrere hundert Menschen vor dem Polizeiposten in der Obergrundstrasse 1. Die Stimmung ist angespannt. Schneebälle, Eisstücke, sogar Pflastersteine werden in Richtung Polizeiposten geworfen. Fensterscheiben, Strassenlampen, Türen und Leuchttafeln werden zerstört.

Der Mob lässt sich nicht auflösen. Stadtpräsident Hans Rudolf Meyer versucht den Rückzug der Demonstrierenden zu erwirken. Otti Frey, ein Mitbegründer des Organisationskomitees, erinnert sich an eine Aussage Meyers. «Ich gebe euch drei Minuten Zeit, den Platz zu räumen.» Als «Witz des Abends» bezeichnet Frey diesen Aufruf.

Während sich die Stimmung vor dem Gebäude aufschaukelt, verbarrikadieren sich die Polizeibeamten auf dem Posten, löschen die Lichter, schliessen die Läden und ziehen sich zurück. Gegen 2 Uhr morgens beginnt die Polizei schliesslich Wasserwerfer einzusetzen, um den Massenauflauf aufzulösen. In den Folgestunden zerstreut sich die Menge langsam.

Polizei rächt sich

Der Blossstellung durch die Demonstrierenden lässt die Luzerner Polizei eine Welle an Verhaftungen und Anzeigen folgen. Prozesse wegen Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und natürlich auch der Nachtruhestörung werden in die Wege geleitet.

Das organisierende Aktionskomitee gewinnt plötzlich an öffentlicher Bedeutung. Offiziell waren sie nicht für die Ausschreitungen verantwortlich, da sie ihre geplante Veranstaltung einen Tag vor der Austragung zurückgezogen hatten.

So nutzen sie das öffentliche Momentum, um sich erstmals politisch zu engagieren. Sie gründen die «JLL», das «Junge, linke Luzern». Sie setzen sich anfangs für die Interessen der Demonstrierenden ein.

Luzerner Jugend erhält eine Stimme

Auch der Luzerner Stadtrat erkennt notgedrungen, dass die Luzerner Jugend eine Stimme besitzt. Deshalb setzt er eine Kommission für Jugendfragen ein, welche Teilnehmer der «Krawallnacht» zu Gesprächen lädt. Der generationenübergreifende Austausch zeigt Erfolg. So werden unter anderem Jugendlokale geschaffen, welche der Jugend Gelegenheit zum Austausch geben.

Auch die junge Linke bleibt aktiv. Sie organisieren Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und die Militärdienstpflicht, gehen am 1. Mai auf die Strasse und veranstalten Vorträge und Diskussionen im Volkshaus. So zeigt die «Luzerner Krawallnacht» auf, dass die Jugend eine Stimme hat.

Verwendete Quellen
  • Horat, Heinz (2006): «Ausser Rand und Band. Die Luzerner Szene. 1950-1980. Luzern. Velvet.
  • Amrein, Karin (1997): Luzerner Kultur- und Jugendpolitik in den Achtzigern am Beispiel Sedel. Zürich 1997.
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 02.03.2023, 12:19 Uhr

    So eine Initialzündung, damit sich am Ende Idioten auf die Strasse kleben! Das Leben ist doch ein böser Witz und dialektischer Purzelbaum.

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