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Einwanderung veränderte hiesige Ernährung

Wie die Zentralschweizer zu Bauern wurden

Untersuchungen an jungsteinzeitlichen Skeletten zeigen, dass das tägliche Kornmahlen nicht nur die Gelenke abnutzte, sondern auch zu einer Muskulatur führte, die mit derjenigen von heutigen Ruderinnen und Rudern vergleichbar ist. (Bild: Res Eichenberger)

Luzerner Chügelipastete, Obwaldner Zigerkrapfen und die Zuger Kirschtorte – diese Zentralschweizer Leckereien sind ohne Getreide nicht denkbar. Dieses allerdings würde es nicht geben, wenn nicht vor rund 8000 Jahren Bauern eingewandert wären. Landwirtschaft war nämlich bis dahin in der Zentralschweiz völlig unbekannt.

Den Menschen in Mitteleuropa muss die bäuerliche Lebensweise vor 8000 Jahren seltsam vorgekommen sein. Sie lebten von der Wildbeuterei, also von der Jagd und von gesammelten Pflanzen und Wildfrüchten. Als Nomadinnen und Nomaden wohnten sie in Zelten und wechselten mehrmals jährlich ihren Lagerplatz. Dann jedoch wanderten Bauernfamilien aus Vorderasien ein. Die Neuankömmlinge aus dem Gebiet des heutigen Anatoliens hingegen bauten feste Häuser aus Holz und Lehm. Sie brachten Nutztiere mit und legten um ihre Dörfer Getreidefelder an.

Wie sich das Aufeinandertreffen der Menschen aus den beiden unterschiedlichen Welten abgespielt hat, lässt sich heute schwer nachvollziehen. Die archäologische Forschung deutet das ganze Spektrum an, das sich heute noch bei Begegnungen Menschen unterschiedlicher Kulturen beobachten lässt: von feindseliger oder skeptischer Ablehnung bis zu offenem Interesse.

Jungsteinzeitlicher Hausrat mit Koch- und Vorratstöpfen und Feuersteinsicheln zur Getreideernte. Nachbildungen archäologischer Funde.
Jungsteinzeitlicher Hausrat mit Koch- und Vorratstöpfen und Feuersteinsicheln zur Getreideernte. Nachbildungen archäologischer Funde. (Bild: Dominique Batschelet)

Endlich Fortschritt?

Klar ist, dass die Landwirtschaft für die Wildbeuterinnen und Wildbeuter keinen lang ersehnten Fortschritt bedeutete. Zwar war ihr Nahrungsangebot starken saisonalen Schwankungen unterworfen und ermöglichte auch kein grosses Bevölkerungswachstum. Ansonsten liess es sich aber in den steinzeitlichen Urwäldern ganz gut leben. Archäologische Funde belegen, dass Wildbeutergruppen noch Jahrhunderte neben bäuerlichen Gemeinschaften lebten und auch teilweise mit ihnen im Austausch standen.

Schliesslich setzte sich die bäuerliche Lebensweise dennoch durch – nicht zuletzt, weil sie für eine stabilere Ernährungslage sorgte und die bäuerlichen Gemeinschaften zahlenmässig grösser wurden als die wildbeuterischen. In der Zentralschweiz passierte das zum Beginn der Pfahlbauzeit, vor etwa 6000 Jahren. Davon zeugen die zahlreichen Pfahlbaufunde am Zugersee und im Wauwilermoos.

Eine Kulturlandschaft entsteht

Dank der aussergewöhnlich guten Erhaltungsbedingungen für Pflanzen und Tierknochen in den feuchten Seeuferböden kennen wir viele Einzelheiten über das Leben der ersten Zentralschweizer Bäuerinnen und Bauern. Sie hielten Kühe, Schweine, Schafe und Ziegen. Auf den Feldern wurden Einkorn, Emmer, Weizen, Ackerbohnen, Erbsen und Lein angebaut. Gegessen wurden die Feldfrüchte aber noch nicht als Chügelipastete oder Zigerkrapfen, sondern meist als Eintopfgericht. Dies belegen die vielen angebrannten Getreidereste in Töpfen auch aus Zuger Fundstellen.

Die Jungsteinzeitliche Landwirtschaft war so arbeitsintensiv, dass alle mit anpacken mussten. Erst später erleichterten der Pflug und Zugtiere die Feldarbeit.
Die jungsteinzeitliche Landwirtschaft war so arbeitsintensiv, dass alle mit anpacken mussten. Erst später erleichterten der Pflug und Zugtiere die Feldarbeit. (Bild: Atelier bunterhund, Zürich)

Mit dem Beginn des Ackerbaus griffen die Menschen nun massiv in die Landschaft ein: Bäume wurden nicht nur für den Holzbedarf gefällt, sondern es wurde auch gezielt Wald gerodet, um Äcker anzulegen. Rinder und Schweine weideten im Wald, und für den Winter wurden Äste von Laubbäumen als Tierfutter geschnitten. All das veränderte das Aussehen des ursprünglichen Urwalds. Auch die Seen veränderten sich: Durch den höheren Anteil von Humus und Kot im Uferbereich entstanden erste Schilfgürtel.

Eine Lebensweise mit Schattenseite

Jungsteinzeitliche Landwirtschaft war sehr arbeitsintensiv – viel arbeitsintensiver, als es das Jagen und Sammeln waren. Zwar bot das Getreide Ernährungssicherheit, aber die stark kohlenhydrathaltige Ernährung führte auch zu Mangelerscheinungen. Und bereits zwei nasskalte Jahre genügten, um eine bäuerliche Gemeinschaft in eine Krise zu stürzen. Dann wurden die Jagd, der Fischfang und das Sammeln von Wildpflanzen wieder wichtig, wie Funde in steinzeitlichen Dörfern im Kanton Zug zeigen. Später verbesserten Innovationen wie der Pflug und das Vorspannen von Rindern als Zugtiere die Erträge. Dennoch blieb Hunger im Spätwinter wohl eine wiederkehrende Erfahrung.

Funde von Vorratsgefässen aus Keramik, Mahlsteinen und Steinbeilen zeigen, dass die Menschen am Zugersee in der Jungsteinzeit von nomadischen Jägerinnen und Sammlern zu sesshaften Bäuerinnen und Bauern wurden.
Funde von Vorratsgefässen aus Keramik, Mahlsteinen und Steinbeilen zeigen, dass die Menschen am Zugersee in der Jungsteinzeit von nomadischen Jägerinnen und Sammlern zu sesshaften Bäuerinnen und Bauern wurden. (Bild: Res Eichenberger)

Der Wechsel zur Landwirtschaft war für die Menschen also keineswegs nur Fortschritt. Dennoch prägt er unser Leben und unsere Essgewohnheiten bis heute. Mehr erfahren über die epochalen Veränderungen, die Chügelipastete, Kirschtorte und Zigerkrapfen möglich machten, kann man ab dem 24. November 2024 in der Ausstellung «Alles wird anders – Leben in der Jungsteinzeit» im Museum für Urgeschichte(n) Zug. Bis zum 18. Mai 2025 präsentiert sie wichtige Funde aus dieser Zeit des Umbruchs.

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