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Wie die Medizin in der Zentralschweiz Einzug hielt

Mit Birkenteer-Kaugummis und Opium gegen die Schmerzen

Büchse der Pandora? Dose aus Hirschgeweih aus dem jungsteinzeitlichen Dorf von Zug-Riedmatt. (Bild: Res Eichenberger, Museum für Urgeschichte(n))

Bandwürmer, Zahnschmerzen und Knochenbrüche plagten die Zentralschweizer schon in der Urgeschichte. Halfen Pflanzen und Kräuter nicht weiter, griffen sie auf antiseptische Kaugummis oder essbare Heiligenbilder zurück.

Am Anfang der Menschheitsgeschichte, so erzählte man sich im antiken Griechenland, gab es keine Krankheiten. Doch als der Titan Prometheus den Menschen das Feuer brachte, erzürnte das Göttervater Zeus so sehr, dass er der Menschheit einer Strafe sandte:

Er schuf die schöne Pandora, schenkte ihr eine verschlossene Büchse und warnte sie, diese niemals zu öffnen – was sie natürlich trotzdem tat. Da entwich die göttliche Strafe für die Menschheit: Krankheit und Unheil, welche die Menschheit seither plagen.

Prekäre hygienische Verhältnisse in steinzeitlichen Siedlungen

Ob die ersten Krankheiten auch so in die Zentralschweiz kamen, bleibt wohl für immer ungeklärt – immerhin wurde im jungsteinzeitlichen Dorf Zug-Riedmatt eine «Büchse» aus Hirschgeweih gefunden. Sicher ist, dass in der Jungsteinzeit (6'000 bis 2'200 vor Christus) eine neue Lebensweise aufkam, welche die Ausbreitung von Krankheiten begünstigte. Die Menschen liessen sich beispielsweise an den Ufern des Zugersees oder im Wauwilermoos nieder, bauten Häuser und betrieben Ackerbau und Viehzucht.

Die Schattenseite dieser neuen Lebensweise waren prekäre hygienische Verhältnisse: Mensch und Tier lebten auf engstem Raum zusammen, zumindest im Winter wohnte das Vieh teilweise gleich mit in der Stube. Schmale Gassen zwischen den Häusern dienten als Toiletten. In den Pfahlbaudörfern hat es also nicht nur ziemlich gestunken – zumindest für unsere zivilisierten Nasen –, sie waren auch ein ideales Umfeld für Parasiten und Krankheitserreger jeder Art. Diese haben zum Teil bis heute überdauert.

Bei Ausgrabungen stossen Archäologen immer wieder jungsteinzeitliche Fäkalien. So unappetitlich das sein mag, so informativ sind diese Funde: Im Pfahlbaudorf von Zug-Riedmatt konnten Eier des Fischbandwurms nachgewiesen werden. Dieser Parasit befällt den menschlichen Darm und wächst dort auf bis zu 12 Meter Länge heran. Man mag sich gar nicht vorstellen, welch fürchterliche Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme dies verursachte.

Heilmittel linderten die Schmerzen

Ganz hilflos waren die Menschen in der Pfahlbauzeit den Parasiten aber nicht ausgeliefert. In den jungsteinzeitlichen Fäkalien des Pfahlbaudorfs von Arbon-Bleiche (TG) wurden Sporen des Wurmfarns gefunden – ein Mittel gegen Wurmbefall.

Wie damals überall in Mitteleuropa wurde auch am Zugersee Schlafmohn angebaut. Dieser ist nicht nur Nahrungsmittel, sondern enthält auch Opioide:  Ein hoch wirkungsvolles Schmerzmittel, das aber auch als Droge eingesetzt werden kann (und sicher auch wurde).

In Cham-Eslen (ZG) wurde ausserdem ein besonderes Heilmittel gefunden: Ein «Kaugummi» aus Birkenteer, der wohl grässlich schmeckte, dafür gegen Zahnschmerzen half.

Auch in römischer Zeit (15 vor Christus bis 401 nach Christus) griff man auf heilende Nahrungsmittel zurück. Viele davon brachten die Römer sogar erst mit in die Zentralschweiz, wie Funde aus dem römischen Cham-Hagendorn (ZG) zeigen. Walnüsse zum Beispiel empfiehlt der römische Gelehrte Plinius der Ältere (1. Jahrhundert nach Christus) als Heilmittel gegen Ohrenschmerzen, Bandwürmer und spärlichen Haarwuchs. Pfirsiche hingegen sollen laut dem griechischen Arzt Dioskurides (1. Jahrhundert nach Christus) gut für Magen und Bauch sein.

Und sogar die berühmten Zuger Chriesi, ebenfalls eine römische Importfrucht, konnten als Heilmittel gegen Husten, Sehfehler und Verdauungsprobleme eingesetzt werden. Ihre heilende Wirkung ist in der Schulmedizin allerdings umstritten.

Mit übersinnlichen Kräften gegen die Bauchschmerzen

Bei besonderen medizinischen Anliegen suchten die Menschen in allen Epochen auch immer wieder göttlichen Rat. In Hagendorn weihten Römerinnen der Liebesgöttin Venus kleine Terrakottafiguren – vielleicht, um für die Erfüllung eines Kinderwunsches zu bitten. Aber auch in neuerer Zeit setze man auf göttliche Hilfe: Im 17. Jahrhundert konnte man im Kloster Einsiedeln Schabmadonnen erwerben.

Diese bestanden aus Ton und dem zusammengekehrter Staub aus der Gnadenkapelle. Von dieser – so glaubte man – heilkräftigen Mischung schabte man bei Bedarf etwas Tonpulver ab und streute es übers Essen von kranken Menschen oder Tieren.

Alternativ dazu gab es auch Schluckbilder mit dem Aufdruck von Heiligen oder Aposteln. Je nach Krankheit wurde ein entsprechendes Bildchen abgeschnitten und den Patienten zum Essen gegeben. Besonders kurios muten schliesslich Funde aus alten Häusern an:

Bei Hausuntersuchungen kamen an verschiedenen Orten im Kanton Zug Zähne in den Ritzen der Stubenwände zum Vorschein, meist stark kariös. Wahrscheinlich versuchte man so, die Hausbewohner vor Zahnschmerzen zu schützen.

Mehr Hintergrundwissen und Kuriositäten wie zum Beispiel jungsteinzeitlicher Kot oder eine Zahnbürste aus dem 18. Jahrhundert gibt es vom 17. November 2019 bis zum 17. Mai 2020 in der Sonderausstellung «Gesundheit!» im Museum für Urgeschichte(n) zu sehen. Sie wurde von der Kantonsarchäologie Luzern konzipiert und mit Zuger Funden ergänzt. Eine faszinierende Reise durch 7'000 Jahre Heilkunst!

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