«Damals»
Blog
Der Möchtegern-Hitler

Karl Kramis: vom Anwalt zum nationalistischen Populisten

Das Hotel Himmelrich in Kriens 1911. (Bild: Joseph Zemp)

1921 vertritt der junge Anwalt Karl Kramis den Hotelier Josef Hügi in einem Revisionsprozess. Kramis nutzt die Bühne, um die Luzerner Gerichtsbarkeit anzugreifen und infrage zu stellen. Seine populistische Argumentation bringt ihm eine erste Verurteilung ein, sichert ihm aber auch eine Gefolgschaft.

An einem unbekannten Tag im Jahr 1912 brennt das Gasthaus des Hotels Himmelrich in Kriens ab. Im Gasthaus befinden sich 9 Zimmer, ein Wirtschaftslokal und eine weitläufige Terrasse. Der Brand vernichtet alles. Doch besonders der Ruf des Gastwirts leidet.

Josef Hügi hatte das Hotel erst 1909 übernommen und seitdem mit seiner Familie geleitet. Obwohl die Brandursache ungeklärt bleibt, kursieren hartnäckige Gerüchte. In Kriens wird der Gastwirt selbst verdächtigt, den Brand gelegt zu haben – um die Versicherungssumme zu kassieren. Nur mit Mühe kann Hügi das Geschäft am Laufen halten. Die Leute meiden ihn und die Gäste bleiben aus.

Gastwirt Hügi wird verdächtigt

Zwei Jahre später ereilt Josef Hügi ein vernichtender Schicksalsschlag. In der Nacht vom 18. auf den 19. Januar wird sein Hotel erneut von einem Brand heimgesucht. In einem der Hotelzimmer entdeckt die Polizei Spuren einer Brandstiftung. Der bereits nach dem ersten Brand in Verdacht geratene Hügi sieht sich mit Anschuldigungen konfrontiert. Den Quellen zufolge denunziert ihn seine eigene Ehefrau. Doch ist sie nicht die einzige Stimme, die ihn verdächtigt.

Eine Zeugin gibt an, eine Konversation zwischen dem Ehepaar Hügi mitgehört zu haben. Vor dem Gericht rezitiert sie eine Aussage von Frau Hügi: «Ich habe dir doch gesagt, du solltest es nicht anzünden!»

Hügi wird daraufhin zu zweieinhalb Jahren im Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Freilassung tritt er in die soziale Isolation. Sein Umfeld wendet sich von ihm ab. Niemand will etwas mit einem Brandstifter zu tun haben.

Dank Kramis: Revisionsprozess 1921 in Luzern

1921 kommt es in Luzern zum Revisionsprozess. Hügi wird vom jungen Anwalt Karl Kramis vertreten. Sein Ziel ist es, Hügi zu rehabilitieren. Hauptschuldig für ihn ist Frau Hügi.

Kramis instrumentalisiert den Fall Hügi jedoch auch, um seine Ablehnung gegen die katholisch-konservativen Kantonsbehörden geltend zu machen. Er sieht sich als Verfechter der Arbeiterklasse. In Hügi sieht er die Möglichkeit, die herrschende Autorität anzugreifen und ihr die Misshandlung des gebeutelten, übersehenen «kleinen Mannes» vorzuwerfen.

Unklar zu dieser Zeit ist seine Priorisierung. Kämpft er für die Rehabilitierung Hügis oder geht es ihm lediglich um die Präsentation seiner populistischen Vorstellungen? In Karl Kramis eigener Wahrnehmung setzt er sich für einen gebeutelten, armen alten Mann ein. Hintergangen von Justiz und von der eigenen Ehefrau.

Verurteilung und Berufsverbot

Seine Argumentation zieht jedoch nicht. Die 1914 ausgesprochene Zuchthausstrafe Hügis wird bestätigt. Auch für Kramis endet der Prozess im Desaster. Teil seiner Argumentation war es, Hügi als eine Art Märtyrer darzustellen und das Luzerner Gericht direkt anzugreifen. Kramis instrumentalisiert Hügi als Stellvertreter des Kleinbürgertums. Die «ungerechte» Behandlung sieht er als Verschwörung der Luzerner Justiz gegen die «einfachen» Arbeiter.

Seine populistische Argumentation erwidert das Luzerner Gericht auf unerwartete Weise. Sie verurteilen ihn aufgrund von «Rechtsbeugung». Damit einher geht ein fünfjähriges Berufsverbot. Karrieretechnisch wird Kramis allerdings schon bald eine neue Beschäftigung finden.

«2,5 Jahre unschuldig im Zuchthaus»

 Um die Unschuld seines Klienten zu verdeutlichen, veröffentlicht Karl Kramis 1923 eine Broschüre. In dieser zweifelt er an den offiziellen Ereignissen und präsentiert seine eigenen Recherchen. Wiederholt betont er den einwandfreien Charakter Hügis und stellt ihn als mittellos und bemitleidenswert dar. Als einzigen grossen Justizirrtum präsentiert Kramis die Verurteilung Hügis. Er stellt auch eine neue Verdächtigte vor. Anstelle des «gutmütigen Mannes», wie er Hügi nennt, präsentiert er dessen Frau als Schuldige.

Frau Hügis ganzer Name wird in keiner Zeile erwähnt, ihre Boshaftigkeit betont er dafür umso stärker. Natürlich konstruiert er für Frau Hügi ein passendes Motiv. Sie sei hinter dem Geld ihres Mannes her und wolle das Hotel Himmelrich nur gewinnbringend verkaufen. Auffallend ist die andauernde Diffamierung von Frau Hügi. Die Fülle seiner Unterstellungen ist erstaunlich. Sie eröffnen die Frage, ob Kramis nicht auch persönliche Abneigung in die Verdächtigung hat einfliessen lassen.

Währenddem es nach dem Prozess um Hügi ruhig wird, entwickelt sich Kramis zu einem politischen Agitator.

Staatsfeind Kramis

Während Kramis vom Gericht für seine «Rechtsbeugung» verurteilt wird, stösst seine Argumentation in gewissen Lagern auf Anklang. Wohlwissend, dass seine Kritik an der Luzerner Gerichtsbarkeit auf offene Ohren stösst, ruft er zur Versammlung im Hotel Krone am Weinmarkt auf. Am 21. November 1923 soll die Kundgebung abgehalten werden.

Die geplante Versammlung findet jedoch nie statt. Die Staatsanwaltschaft verhaftet Kramis vorsorglich. Sein genaues Vergehen ist unbekannt, was ihm und seinen Befürwortern direkt in die Hände spielt. Ihre Vorstellung der über ihren Köpfen hinweg agierenden Regierung verhärtet sich.

Luzern im «Kramis-Fieber»

Welchen Anklang Kramis populistische Argumentation in der Bevölkerung findet, zeigt sich an der Solidarität nach seiner Verhaftung. Verschiedene Stimmen berichten von bis zu 3000 Unterstützerinnen, welche in einer friedlichen Kundgebung gegen die Verhaftung von Kramis protestieren. Wirklich etwas bewirken können sie damit jedoch nicht.

Sogar das Bundesgericht bestätigt und unterstützt die Festnahme Kramis. Wie ernst sie ihn nehmen, zeigt folgende Aussage: «Mit Rücksicht auf dessen offensichtlich abnormalen Geistesverfassung» werden ihm die Gerichtsgebühren erlassen.

Kramis Radikalisierung

In der Folgezeit engagiert sich Kramis vermehrt politisch. Er startet verschiedene Initiativen, die unter anderem das Wahlverfahren der kantonalen Richter erneuern soll. Zwar schart sich eine gewisse Anhängerschaft um ihn, der grosse politische Durchbruch bleibt jedoch aus. Er gibt eine Zeitung mit dem Titel die «Wahrheit» heraus. Der Name ist Programm.

In dieser zieht er über Staatsbeamte her und präsentiert sie als Sündenböcke für die mangelnde wirtschaftliche Prosperität. Auch seine Kritik an der Luzerner Gerichtsbarkeit behält er bei. 1924 wird er vom Gericht Willisau aufgrund von «Amtsehrbeleidigung» zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Faschistische Annäherung und verfrühter Tod

Um seiner viermonatigen Haftstrafe zu entgehen, setzt sich Kramis ins Exil nach München ab. Dort begibt er sich in seine «faschistischen Lehrjahre». Er lobt die nationalsozialistische Propaganda Goebbels und behauptet sogar, Hitler zum «Rededuell» herausgefordert zu haben. Er ist der Auffassung, Hitler sei der einzige öffentliche Sprecher, der ihm überlegen sei.

Die sozialdemokratische Zeitung «Tagwacht» tut ihn daraufhin als «Möchtegern-Hitler» ab.

Sein politischer Absturz ist damit vollzogen, nicht einmal die faschistische Frontisten-Bewegung nimmt ihn auf. 1938 verstirbt Kramis im Alter von 46 Jahren.

Verwendete Quellen
  • Huber, Max (1989): Geschichte der politischen Presse im Kanton Luzern 1914-1945. Rex-Verlag.
  • Kramis, Karl (1923): 2 ½ Jahre unschuldig im Zuchthaus. Ein interessanter Kriminalprozess im Kanton Luzern.
  • Bucher, Gallati et al. (2005): Der Möchtegern-Hitler. In: Blattgold und Blechnapf.
  • Studer, Jürg (2013): Krienser Kulturzeugen. Gasthäuser einst und jetzt. Brunner Verlag. Kriens.
«Damals»
Blog
Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Stutz
    Hans Stutz, 06.01.2023, 16:21 Uhr

    Karl Kramis war auch in den 1930er-Jahren aktiv. Er gehörte im Frühling 1934 zu den Mitbegründern des Eidgenössischen Rütlibundes. Zusammen mit dem langjährig aktiven Nationalsozialisten Emil Sonderegger war Kramis Redaktor der Parteizeitung «Rütliruf», allerdings erschienen nur fünf Ausgaben.
    (Hans Stutz, Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern, 1933-1945. S. 47-51.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon