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Als ab 1932 die Hakenkreuzfahne in Luzern wehte

Heuchlerischer Umgang mit der NSDAP-Ortsgruppe in Luzern

Erntedankfeier reichsdeutscher Organisationen im Grossen Saal des Kunsthauses Luzern, Oktober 1940.

(Bild: Stadtarchiv Luzern: F2a/PUBLIKATIONEN/05.01:02.)

Nebst den Schweizer Sympathisanten des Dritten Reichs, den Fröntlern, existierte ab 1932 eine Ortsgruppe der NSDAP in Luzern. Es war eine Episode der Luzerner Zeitgeschichte, die geprägt war von Anfeindung, Duldsamkeit und Rücksichtnahme. Heuchlerei dominierte die Haltung der Luzerner Regierung zu den örtlichen Nazis, sie befürchtete durch den Unmut der Bevölkerung Auswirkungen auf die Tourismusindustrie.

Noch vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 entstand in Luzern im Oktober des vorigen Jahres eine Ortsgruppe der NSDAP. Die Mitgliederschaft war mit 16 Personen anfänglich recht überschaulich. Innert wenigen Jahren verdreifachte sich die Mitgliederzahl auf 46 Personen. Zweck der Ortsgruppe war es den «in der Schweiz lebenden deutschen Volksgenossen ihrem Volke und ihrer Heimat zu erhalten», wie der Ortsgruppenleiter August Ahrens 1937 schrieb.

Nebst der Durchführung von Heldengedenkfeiern und Erntedankfesten unterstützte die Organisationen auch die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen im Dritten Reich. 1934 fuhren einige Mitglieder der Ortsgruppe über die Grenze nach Deutschland um dort ihre Pflicht als Partei- und Volksgenossen zu erfüllen.

Nationalsozialisten durften, die Sozialdemokraten nicht

Grössere Veranstaltungen führten die Nationalsozialisten ab 1934 meistens im städtischen Kunsthaus durch. Ein pikantes Detail ist, dass der bürgerlich dominierte Stadtrat im selben Jahr den Sozialdemokraten die Benützung des Saales für eine Protestdemonstration gegen die deutschen Nationalsozialisten verweigert hatte.

Zusätzlich mietete sich die Ortsgruppe der NSDAP im April 1934 in der Frankenstrasse 5 für ihr «Deutsches Heim» ein. Das Deutsche Heim diente während dem Zweiten Weltkrieg nicht nur als Versammlungslokal der Ortsgruppe der NSDAP, sondern war zugleich Anlaufstelle für wehrdienstpflichtige Deutsche, wo sie ihre Eintrittsmusterung abhalten mussten.

Anfeindung aus der Bevölkerung

Wie reagierte die Schweizer Bevölkerung auf die Ortgruppe der NSDAP und die deutschen Touristen nach der Machtübertragung an Hitler 1933? Mehrheitlich negativ. Feindseligkeiten und Beleidigungen gehörten zur Tagesordnung. Hakenkreuzwimpel an den Autos wurden als «Schandlumpen» bezeichnet und vielfach abgerissen. Anzumerken ist, dass das Anbringen von Hakenkreuzwimpeln an Autos nicht unter das Verbot des Tragens von Parteiuniformen fiel und deshalb erlaubt war.

Die Anfeindungen der Touristen wegen ihrer «Schandlumpen» waren nicht das einzige Mal, dass das Hakenkreuz als Symbol für das repressive System in Deutschland angefeindet wurde, wie der Zwischenfall in der Frankenstrasse im Oktober 1935 zeigt.

Zeitungsausschnitt über die Ortsgruppe Luzern
Zeitungsausschnitt über die Ortsgruppe Luzern. (Bild: Stadtarchiv Luzern F2a/PUBLIKATIONEN/05.01)

Die Ironie der Geschichte ist, dass auch Geschäfte der Nationalsozialisten boykottiert wurden, ein Umstand, welcher die beiden Ortsgruppenleiter August Ahrens und Felix Baehr zum Wegzug bewegte. Von den Luzerner Behörden hingegen hatte die Ortsgruppe wenig zu fürchten, obschon sie ab 1938 von der Politischen Polizei überwacht wurden.

Rücksicht aus wirtschaftlichen Gründen

Der wachsende Unmut der Luzerner Bevölkerung war für die Regierung aus wirtschaftlichen Gründen besorgniserregend. Vertreter der Tourismusbranche, die in der Politik grossen Einfluss besassen, befürchteten dass das Verhalten der Luzerner negative Auswirkungen auf die Tourismusbranche haben könnte. Die deutschen Gäste waren in den 30er Jahren anteilsmässig die grösste Gruppe an ausländischen Hotelkunden in Luzern. Ein Luzerner Hotelier schrieb: «Wir alle Luzerner sind auf die Fremdenindustrie auf unserem schönen Gestade von Luzern angewiesen.».

Dieser Umstand führte zur Befürchtung der Luzerner Regierung, dass das Verhalten der Luzerner Bevölkerung zur wirtschaftlichen Schädigung oder gar einem Boykott des Tourismusstandorts Luzern durch Deutsche führen würde. Die sozialdemokratische Tageszeitung «Die Freie Innerschweiz» spöttelte hingegen, dass es die Schweizer wenig kümmere ob in Deutschland «Tausende in Konzentrationslagern ärger schmachten als die Sklaven Abessyniens [sic!, Amn. d. A.]», solange nur die Feriengäste blieben.

Demonstration vor dem Deutschen Heim

Der aufsehenerregendste Zwischenfall ereignete sich am 6. Oktober 1935 als sich spontan eine Demonstration vor dem Deutschen Heim in der Frankenstrasse 5 bildete. Knapp tausend Personen versammelten sich am Nachmittag vor dem Gebäude. Auslöser war das Hissen der Hakenkreuzfahne anlässlich des Erntedankfestes der Deutschen Kolonie.

Erwähnenswert ist, dass dies zwar legal war, aber trotzdem den Unmut der Luzerner auf sich zog. Nach etlichen Forderungen der Protestierenden die Hakenkreuzfahne zu entfernen und Versuchen in das Gebäude einzudringen, gab die deutsche Kolonie klein bei.

Demonstration gegen Hakenkreuzfahne,< Kundgebung am 06.10.1935 an der Frankenstrasse 5, genannt «Braunes Haus».
Demonstration gegen Hakenkreuzfahne; Kundgebung am 06.10.1935 an der Frankenstrasse 5, genannt «Braunes Haus». (Bild: Stadtarchiv Luzern F2a/ANLASS/EREIGNIS/361:01; Fotograf Hans Sigrist-Sandi, Luzern)

Zwei Männer rollten die Fahne ein, ohne jedoch dabei auf den verhassten Hitlergruss zu verzichten. Die Polizei war auf diese Demonstration unzureichend vorbereitet und war von der grossen Menschenmenge überrumpelt worden. So gut wie es ging versuchte die Polizisten «das deutsche Heim und die deutsche Flagge vor dem Ansturm der erregten Menge zu schützen.»

Mit Rücksicht auf die Tourismusbranche empörte sich der bürgerliche Stadtpräsident Jakob Zimmerli nach dem Vorfall im Stadtparlament darüber, ob ein Verbot über das Hissen der «Nazifahne wünschbar wäre». Getreu dem Zeitgeist schrieb Heinrich Walther, Vorsteher des Militär- und Polizeidepartements in Luzern in einem Brief an den Bundesrat: «die aufgeregte Volksmenge sei geführt und verhetzt worden durch sozialistische Agitatoren». Belegen lässt sich diese Anschuldigung aber nicht.

Diese Episode widerspiegelt die insgesamt ambivalente Haltung die in Luzern herrschte: Die Bevölkerung hielt sich einerseits mit Anfeindungen und Verwünschungen gegen deutsche Nationalsozialisten kaum zurück, während die Luzerner Parteien, allen voran die katholisch-konservativen «mit dem nördlichen Nachbarstaat keine Anstände bekommen» wollten und die örtlichen Nazis zumindest duldeten, wenn nicht sogar schützten.

Ausweisungen nach Kriegsende

Ambivalent war nicht nur die Haltung vor und während dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch nach dessen Ende. Am 1. Mai 1945 löste der Bundesrat die NSDAP-Landesgruppe Schweiz und die dazugehörige Ortsgruppe Luzern auf. Nach Kriegsende wurde aus der Bevölkerung der Ruf nach der «Säuberung» von örtlichen deutschen Nationalsozialisten laut. Es bildete sich sogar ein «demokratisches Säuberungskomitee», welches forderte «das Schweizer Haus von allen Anhängern und Mitläufern der braunen und schwarzen Kriegsverbrecher» zu säubern.

Die politische Kehrtwende trat auch tatsächlich ein. Während die Nationalsozialisten in Luzern während den knapp 13 Jahren wohlwollend behandelt oder zumindest aus wirtschaftlichen Gründen geduldet wurden, wurden innert wenigen Wochen 63 Personen deutscher Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Funktionen innerhalb der NSDAP und des NS-Sportbundes ausgewiesen. Der Regierungsrat schrieb dazu: «Der Kanton Luzern hat die Säuberung seines Gebietes von landes- und demokratiefeindlichen Ausländern durchgeführt, soweit es die Umstände rechtfertigten und verlangten.»

Die letzte Episode der NSDAP Ortsgruppe Luzern verdeutlicht nochmals die zwiespältige Haltung der Politik gegenüber den deutschen Nationalsozialisten. Sie schwankte zwischen sozialdemokratischer Härte und katholisch-konservativer Nachsicht. Die Unterstützung letzterer verhinderte beispielsweise die Ausweisung der früheren Ortsgruppenleiterin der Deutschen Frauenschaft Margaretha Reinecke.

Aufruf des Demokratischen Säuberungs-Komitees.
Aufruf des Demokratischen Säuberungs-Komitees. (Bild: Staatsarchiv Luzern AKT 44/821)

Verwendete Literatur:

Hans Stutz, Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern 1933-1945, Luzern 1997.

Staatsarchiv Luzern:

  • StA LU, Akt 41/272
  • StA LU, Akt 41/172
  • StA LU, Akt 44/815
  • StA LU, Akt 44/821

Stadtarchiv Luzern:

  • SA LU, B3.05/A 38:5
  • SA LU, F2a/PUBLIKATIONEN/0005
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