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Wauwilermoos: Inbegriff des Schweizer Strafwesens

Ein Straflager, gebaut für Undisziplinierte, Alkoholiker und Arbeitsverweigerer

Wauwilermoos: Aufnahme einer Baracke im Straflager Wauwilermoos, undatiert. (Bild: Daniel Wyss, Regisseur Film «Notlandung».)

Das Wauwilermoos war während des Zweiten Weltkrieges vieles, doch ein reines Straflager für ausländische Soldaten war es nicht von Beginn an. Denn erstellt wurde es zur Isolierung «unbotmässiger und verdächtiger Elemente». Die organisatorischen Änderungen hatten direkte Auswirkungen darauf, wer ins Lager kam und welche Gruppe am häufigsten im luzernischen Egolzwil interniert war.

Aufmerksamen Leserinnen von zentralplus wird das Straflager Wauwilermoos wahrscheinlich ein Begriff sein. Kurz zusammengefasst: Das Wauwilermoos war ein Barackenlager auf dem Gebiet der Luzerner Gemeinde Egolzwil, welches während des Zweiten Weltkrieges als Straflager für internierte ausländische Soldaten diente.  

Zuletzt hat der Dokumentarfilm «Notlandung» vor fünf Jahren für Wirbel gesorgt (zentralplus berichtete). Darin erzählen ehemalige US-Internierte von ihrem Aufenthalt und den schrecklichen Bedingungen im Straflager Wauwilermoos. Dan Culler wurde beispielsweise im Lager von seinen Mitinsassen mehrmals vergewaltigt, stiess aber mit seinen Beschwerden beim Lagerkommandanten André Béguin nur auf taube Ohren. Über die Vergehen von Béguin und die Zustände im Lager wurde schon ausführlich geschrieben (zentralplus berichtete).

Ausgehend von der bestehenden Literatur über das Wauwilermoos – von Peter Kamber, Hilmar Gernet und Dwight Mears – habe ich mir im Rahmen meiner Masterarbeit folgende Fragen gestellt: Von wann bis wann bestand das Straflager Wauwilermoos überhaupt und warum wurde es errichtet? Und wer war dort alles interniert? In diesem Beitrag fasse ich die wichtigsten Ergebnisse meiner Arbeit zusammen.

Internierung in der Schweiz und das Strafwesen

Die Errichtung des Wauwilermoos fand im Kontext der Internierung von über 104'000 fremden Militärangehörigen während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz statt. Seit dem Sommer 1940 waren über 42'000 französische und polnische Soldaten in der Schweiz interniert, die während des deutschen Angriffs auf Frankreich in die Schweiz übergetreten waren, um der deutschen Kriegsgefangenschaft zu entgehen (zentralplus berichtete).

Nicht alle hielten sich jedoch an die Regeln der Internierung, zu deren Einhaltung die Schweiz völkerrechtlich aufgrund des Haager Abkommens von 1907 verpflichtet war. Darin bekräftigte die Schweiz, die auf Schweizer Territorium übergetretenen «Truppen kriegsführender Heere» möglichst fern vom Kriegsschauplatz bis zum Ende des Krieges zu internieren.

Fluchtversuche der Internierten waren aber von Beginn weg an der Tagesordnung. Die zuständige Schweizer Behörde, das Eidgenössische Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung (EKIH), ahndete diese, weil sie einerseits gegen die Pflichten des Haager Abkommens verstiessen und andererseits den grossen Nachbarn im Norden verärgerten. Aus neutralitätspolitischer Sicht waren Fluchtversuche von Franzosen und Polen, den Kriegsgegnern Deutschlands, nämlich ein heisses Eisen.

So wurden in der zweiten Jahreshälfte 1940 Internierte, die bei einem Fluchtversuch erwischt wurden, zunächst in kantonale Strafvollzugsanstalten gesteckt und dann von den Militärgerichten verurteilt. Diese Praxis war langfristig aber kaum durchsetzbar: Die kantonalen Gefängnisse kamen bis im November 1940 an ihre Kapazitätsgrenzen und die Organisation des Schweizer Strafwesens war ungenügend. Oftmals wussten die Behörden nicht einmal, in welcher Strafanstalt sich ein Internierter befand und wie lange er schon dort war. Eine Neuorganisation des fehleranfälligen und improvisierten Strafwesens war deshalb notwendig.

Das Wauwilermoos war kein reines Straflager – zumindest nicht von Anfang an

Ende Januar 1941 wurde der Bundesratsbeschluss über den besonderen Strafvollzug an Internierten erlassen, der die Errichtung von speziellen Straflagern für fremde Militärpersonen ermöglichte. Diejenigen, die für einen Fluchtversuch bestraft wurden, kamen vorerst aber nicht ins neu errichtete Wauwilermoos, sondern in andere Straflager in der ganzen Schweiz. Ursprünglicher Zweck des Wauwilermoos war die «Isolierung unbotmässiger und verdächtiger Elemente». Damit waren Undisziplinierte, Alkoholiker oder Arbeitsverweigerer gemeint.

Mitte 1941 gab es noch eine Reihe anderer Straflager wie beispielsweise Bühlfeld im Kanton Bern, Kalchrain im Kanton Thurgau oder Oberegg im Kanton Appenzell-Innerrhoden. Das Wauwilermoos war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs zum Inbegriff des Schweizer Strafwesens für fremde Militärpersonen geworden. Dieser Wandel erfolgte erst später durch schrittweise organisatorische Änderungen, die das Strafwesen im Wauwilermoos zentralisierten.

Funktionswandel im Wauwilermoos

Zuerst wurden ab August 1941 die «Ausreisser», das heisst Personen, die auf der Flucht geschnappt worden waren, ins Wauwilermoos transferiert. Ab hier taucht auch die Bezeichnung «Straflager Wauwilermoos-Santenberg» auf. Santenberg war diejenige Abteilung im Lager, welche als Militärgefängnis und zur Untersuchungshaft diente. Danach folgten die «schwierigen Elemente» Anfang 1942, Ende des Jahres die Alkoholiker.

Wann immer ein anderes Straflager aufgelöst wurde, wie beispielsweise das Offiziersstraflager Oberegg im Herbst 1942, wurden die verbliebenen Insassen ins Wauwilermoos überführt. Bis Anfang 1943 war der Zentralisierungsschub im Schweizer Strafwesen abgeschlossen und der Funktionswandel des Wauwilermoos abgeschlossen. Alle Formen des Strafvollzugs für fremde Militärpersonen waren nun im Straflager Wauwilermoos konzentriert.

Abgesehen von der Errichtung zweier Straflager für US-Amerikaner Ende 1944 (in Hünenberg und Les Diablerets) blieb diese Stellung bis zum Kriegsende in Europa im Mai 1945 unangefochten. Das letzte Mal taucht das Wauwilermoos Ende Dezember 1945 in den Quellen des Bundesarchivs auf, danach wurden die verbliebenen Insassen nach Hünenberg transferiert und das Lager wurde aufgelöst.

Von den Beständen im Strafwesen zum Wauwilermoos

Wie viele Personen waren nun aber gesamthaft im Wauwilermoos interniert? Welches waren die Höchstbestände? Aus wie vielen Nationen kamen die Insassen und welches war die grösste Gruppe? Für die Beantwortung dieser Fragen konnte ich auf bisher unbearbeitete Quellen im Schweizerischen Bundesarchiv zurückgreifen.

Die erste Frage konnte ich aber nicht klären. Es ist schwierig zu beziffern, wie viele Personen insgesamt zwischen 1941 und 1945 im Straflager Wauwilermoos interniert waren.  Dazu wäre eine Einsicht in die über 100’000 Personaldossiers der Internierten im Bundesarchiv notwendig.

Eingeschränkt werden konnte aber die Anzahl Personen, die ungefähr im Schweizer Strafwesen zirkulierten: Über 6000 Fluchtversuche scheiterten zwischen Juni 1940 und Dezember 1945 und diese Personen landeten mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Schweizer Straflager.

Ob mehrfache Fluchtversuche einzeln oder pro Person einmal gezählt wurden, ist unklar. Der Pole Jerzy Koczy versuchte beispielsweise fünfmal zu flüchten und wurde 1942 zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Dazu kommen andere Delikte wie Diebstahl, Körperverletzung oder Beziehungen zur Zivilbevölkerung, die strengstens untersagt waren. Ungefähr können wir aber damit die Anzahl der Personen im Schweizer Strafwesen für fremde Militärpersonen abschätzen.

Starke Schwankungen in den Interniertenbeständen des Wauwilermoos

Was sich zum Wauwilermoos sagen lässt ist, dass zwischen Anfang 1941 und Ende 1945 im Durchschnitt 222 Personen im Lager interniert waren. Maximal waren es am 20. November 1941 434 Personen. Der Interniertenbestand schwankte stark und passte sich den Trends im gesamtschweizerischen Internierungswesen und den Kriegsereignissen in Europa an.

So stieg die Anzahl der Insassen im Wauwilermoos beispielsweise nach der Ankunft von über 20'000 italienischen Militärflüchtlingen und entwichenen Kriegsgefangenen im September 1943 nach der Kapitulation Italiens stark an. Nach dem Kriegsende in Europa im Mai 1945 und der Heimschaffung der Internierten sank die Anzahl Personen im Wauwilermoos stetig. Insgesamt war der Anteil der Insassen im Wauwilermoos am jeweiligen Schweizer Gesamttotal aber marginal. Im Durchschnitt waren jeweils weniger als zwei Prozent aller fremden Militärpersonen in der Schweiz im Wauwilermoos interniert, maximal waren es knapp vier Prozent.

Bestand im Wauwilermoos 1941-1945. (Darstellung: Philippe Bucher. Quellen: Frontrapporte, Schweizerisches Bundesarchiv.)

Aus wie vielen Staaten kamen die Internierten ins Straflager Wauwilermoos? Und welche waren das? Insgesamt waren Personen aus 14 Staaten im Wauwilermoos interniert. In alphabetischer Reihenfolge waren das: Belgier, Bulgaren, Deutsche, Engländer, Franzosen, Griechen, Italiener, Jugoslawen, Österreicher, Polen, Russen, Türken, Ungaren und US-Amerikaner.

Polen machten den grössten Anteil der Insassen aus

Nicht die US-Amerikaner oder Franzosen waren am häufigsten im Wauwilermoos interniert, sondern die Polen. Zu jedem Zeitpunkt zwischen Anfang 1941 und Ende 1945 befand sich nämlich mindestens ein Pole im Lager. Polen waren nicht nur am häufigsten im Wauwilermoos, sondern sie machten auch den Grossteil der Insassen zu jedem Zeitpunkt aus. Im Durchschnitt waren zwischen 1941 und 1945 immer sieben von zehn Insassen Polen.

Bestand der internierten Polen, Deutschen und Italiener im Wauwilermoos 1941-1945. (Darstellung: Philippe Bucher. Quellen: Frontrapporte, Schweizerisches Bundesarchiv.)

Nebst den polnischen Insassen waren die Italiener ab 1943 und die Deutschen ab 1944 die grössten Insassengruppen im Lager. Die obige Grafik erzählt in Bezug auf die drei Nationalitäten dieselbe Geschichte: Zuerst fand der Übertritt in die Schweiz und die Einquartierung in ein gewöhnliches Internierungslager statt. Erst danach erfolgte der individuelle Straffall und die entsprechende Person wurde ins Straflager Wauwilermoos versetzt.

Schauen wir uns beispielhaft das Verhalten der Italiener an: Zwischen dem 1. und dem 10. September 1943 begann der Massenübertritt der italienischen Militärpersonen in die Schweiz. Drei Wochen danach, am 30. September 1943, wurden im Straflager Wauwilermoos die ersten beiden Italiener registriert. Zwischen Übertritt, Internierung, Vergehen nach Schweizer Recht und Transfer ins Straflager Wauwilermoos verging bei den italienischen Militärflüchtlingen also weniger als ein Monat. Für welches Vergehen die Italiener interniert wurden, wissen wir hingegen nicht.

Hauptsächlich Soldaten und Unteroffiziere im Lager

Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Unteroffiziere und Soldaten während der gesamten Dauer des Bestehens die deutliche Mehrheit im Wauwilermoos stellten. Das liegt daran, dass das Wauwilermoos ursprünglich als Straflager für die unteren Dienstgrade gedacht war, Offiziere sassen ihre Strafe vorerst in anderen Lagern ab.

Erst als das Offiziersstraflager Oberegg im Herbst 1942 aufgelöst wurde und die verbliebenen Insassen nach Egolzwil transferiert wurden, nahm die Anzahl der Offiziere im Lager zu. Durchschnittlich waren über 95 Prozent der Insassen im Wauwilermoos zwischen 1941 und 1945 entweder Soldaten oder Unteroffiziere. Diese ungleiche Verteilung könnte auch daran gelegen haben, dass auch mehr Soldaten und Unteroffiziere in der Schweiz interniert waren als Offiziere, überprüft werden konnte diese Vermutung aber nicht.

Verteilung der Internierten im Straflager Wauwilermoos nach Dienstgraden 1941-1945. (Darstellung: Philippe Bucher. Quellen: Frontrapporte, Schweizerisches Bundesarchiv.)

Ausblick

Was dem jungen US-Amerikaner Dan Culler im Straflager Wauwilermoos zugestossen ist, ist schrecklich. Aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive ist es aber ebenso wichtig, das Leid der anderen Insassen nicht zu vergessen, insbesondere das der polnischen Internierten, die einen Grossteil der Insassen im Wauwilermoos ausmachten. Zukünftig sollte daher nicht nur über die Polenwege oder die Beziehungen der polnischen Militärangehörigen zur Schweizer Bevölkerung diskutiert werden, sondern auch über deren Aufenthalt im Straflager Wauwilermoos und in anderen Schweizer Strafvollzugsanstalten während des Zweiten Weltkriegs.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Hannes Estermann
    Hannes Estermann, 10.04.2021, 17:28 Uhr

    Das Straflager Büren a. d.Aare muss mindestens so schlimm,wenn nicht noch trauriger gewesen sein.
    Finde es sehr gut,diese Zeit wieder einmal In Erinnerung zurufen.
    Leider interessieren sich nur noch die wenigsten, an diese, für die damalige dunkle Zeit der Internierten. Vor allem die Haftbedingungen der Polen war teils skandalös.
    Die Internierten US Amerikaner und Deutschen (!) hatten belegbar, viel mildere Lagerbedingungen ….Gründe sind heute bestens bekannt.
    Besten Dank für den Beitrag !

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    • Profilfoto von philippebucher
      philippebucher, 13.04.2021, 23:11 Uhr

      Herzlichen Dank für Ihr positives Feedback Herr Estermann. Genau, in Büren an der Aare ist auch einiges schief gelaufen. Sonst hätten die zusammengepferchten Insassen nicht kurz nach der Errichtung des Lagers eine «Meuterei» gewagt. Zwar sind die Schweizer Behörden im Sommer 1941 von der «Konzentrationspolitik» abgewichen aber viel angenehmer wurde der Aufenthalt in einem Schweizer Straflager damit auch nicht.

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  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 12.03.2021, 11:53 Uhr

    Und wann kommt das Straflager für Kritiker der Corona-Massnahmen?

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    • Profilfoto von Alex S.
      Alex S., 18.03.2021, 12:14 Uhr

      Behalten sie bitte Ihre Meinung für sich, wenn Sie nichts als unangebrachte und an den Haaren herbeigezogene Analogien zum Thema beitragen können.

      An den Autor des Artikels: Sehr spannend und fundiert. Bravo!

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