Die Erde ist flach – ein Luzerner hat es «bewiesen»
Die Erde ist eine Scheibe. Dies behauptete ein Luzerner vor rund 120 Jahren. Für seine «wissenschaftlichen» Belege bekam er sogar ein Patent und wurde damit zum wohl populärsten Flacherdler der Schweiz – zumindest aus heutiger Sicht.
Dass die Erde rund ist, wusste man in Europa bereits in der Antike. Auch im Mittelalter ging dieses Wissen nicht verloren. Uneinig war man sich damals nur, ob die Erde sich um die Sonne dreht oder umgekehrt. Spätestens aber seit den Fotos der NASA sollte allen klar sein: Die Erde ist rund.
Theorien, dass dies nicht so sei, halten sich trotzdem seit Jahrhunderten hartnäckig. Spätestens seit Corona kriegen die Flacherde-Anhänger mehr Zulauf, als man das bei einer aufgeklärten Gesellschaft erwarten würde. Auch in der Schweiz ist die Überzeugung, die Erde sei keine Kugel, in gewissen Kreisen sehr populär. Dies zeigt sich vor allem auf Social Media.
Vom Pilatus aus den Eiffelturm sehen
Eine moderne Erscheinung ist das hierzulande aber keinesfalls. Denn schon vor über 120 Jahren war der Gedanke, die Erde sei eine Scheibe, in der Schweiz präsent. Das beweist ein Patentantrag, der im September 1902 von Melchior Dönni eingereicht wurde. Der Stadtluzerner war überzeugt, den Beweis für die flache Erde gefunden zu haben.
Seine Herleitung war auf den ersten Blick durchaus sachlicher als diejenige vieler anderer, die sich schon damals auf «den gesunden Menschenverstand» beriefen. Dönni sagte zwar auch, dass man ja nur hinschauen müsse, um zu sehen, dass die Erde flach sei, ging die Sache aber wissenschaftlich an. Über Jahre erarbeitete er eine – in seinen Augen stichhaltige – Theorie, weshalb die Erde keine Kugel sei.
In seiner Schrift, die er dem Patentantrag beilegte, erläuterte er unter anderem:
«Wäre die Sehkraft stark genug, so könnte man von der Spitze des Pilatus bis Paris, sogar über das Meer bis nach Amerika sehen, ohne dass die eingebildete Ründe der Erde oder des Meeres dies hindern könnte.»
Dönni hatte auch eine ganz genaue Vorstellung, wie eine flache Erde aussehen sollte. Dies zeigt ein Relief, das er zusammen mit dem Patentantrag eingereicht hatte. Und tatsächlich war man in Bern scheinbar angetan von der Idee einer flachen Erde: Am 24. September 1902 um 10 Uhr morgens patentierte das Amt für Geistiges Eigentum Dönnis flache Erde unter der Nummer 25'409.
Bekannte Theorien heutiger Flacherdler
Was aus heutiger Sicht ziemlich irrational erscheint, war dazumal gar nicht so abwegig. Der schlichte Grund: Dönnis Antrag erfüllte alle damaligen Voraussetzungen für ein Patent: Die Idee war originell, neu und gewerblich anwendbar. Dass Bern dem Patentantrag stattgab, beflügelte Dönnis Pläne noch weiter. Er war überzeugt, dass sein Relief «Weltall-Relief Nr. 2» den Globus innert kürzester Zeit ablösen wird.
Dabei widerspricht der selbsternannte Forscher auch anderen, bereits etablierten Theorien. Etwa, dass sich die Erde um die Sonne drehe. Seine stichhaltige Begründung: Würde die Erde durchs Weltall rasen, müssten wir das ja spüren.
Auch ansonsten ist Dönni von Ansichten überzeugt, die man auch von heutigen Flacherde-Anhängern kennt. Dazu gehört auch, dass eine Eismauer die Erde umschliesst, was dafür sorgt, dass die Ozeane nicht abfliessen. Der Nordpol bildet dabei das Zentrum der Welt, das Dönni in seinem Relief gleich mal mit einer Schweizer Fahne dekoriert. Hätte Dönni tatsächlich recht gehabt, hätte dies für ihn Wohlstand und Ruhm bedeutet.
Inspiration aus dem Ausland
Von selbst auf die Idee gekommen, die Erde sei flach, ist Dönni höchstwahrscheinlich nicht. Die Theorie, die Erde sei eine Scheibe, hatten im Ausland bereits im 19. Jahrhundert etliche Anhänger. Vor allem im englischsprachigen Raum war die Idee so populär, dass diverse Personen versuchten, zu beweisen, dass die Erde nicht rund ist. So veröffentlichte der britische Erfinder Samuel Rowbotham 1865 ein Buch, in dem er darlegte, dass die Erde eine Scheibe sei – mit dem Nordpol als Mittelpunkt. Im Gegensatz zu Dönni berief sich Rowbotham aber weniger auf den gesunden Menschenverstand, sondern auf die Beweiskraft der Bibel.
Zugutehalten – wenn man so möchte – muss man Dönni, dass er versucht hat, die gängigen Theorien weiterzuentwickeln. Dabei bezog er auch Luzern mit ein. Unter anderem behauptete er, dass die Erde eines Tages an Wassermangel zugrunde gehen werde. Dies, weil die Gletscher und Seen beständig schwinden würden. Als Beweis führte er den Gletschergarten Luzern an, der früher ja auch mal von Eis bedeckt gewesen sei.
Kein Happy End
Dass Dönnis Hoffnungen von Ruhm und Reichtum sich nicht erfüllt haben, zeigt sich daran, dass heutzutage kaum etwas über ihn bekannt ist. Die wenigen Informationen im Stadtarchiv Luzern verraten, dass er 1842 in Luzern geboren wurde. Später besass er an der Stadthofstrasse ein Haus, von dessen Mietertrag er vermutlich gelebt hat. Seinen Beruf wollte Dönni den Behörden nicht preisgeben und so steht in den erhaltenen Infos nur der Hinweis «Privat».
Dass Melchior Dönnis Idee einer flachen Erde aus wissenschaftlicher Sicht Unfug ist, hat man dann wohl auch in Bern bemerkt. Bereits 1903 wurde das Patent wieder gelöscht. Vielleicht hat aber auch ein anderer Flacherdler die Idee eingeklagt und Dönni wurde gezwungen, sein Patent zu löschen.
Egal, was der Grund gewesen sein mag, viel Zeit, seine Theorie zu verfeinern, hatte Dönni danach ohnehin nicht mehr: Bereits 1906 verstarb der selbsternannte Flacherden-Wissenschaftler und nahm all seine weiteren Theorien mit ins Grab.
- Staatsarchiv Luzern
- Schweizerisches Bundesarchiv
- NZZ-Artikel «Eine Scheibe mit dem Nordpol im Zentrum – wie sich der erste Schweizer Flacherdler die Welt vorstellte»