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Perspektivlosigkeit der Ägerer schamlos ausgenutzt

Ausgenutzt und ausgeblutet – wie die Zuger Elite sich bereicherte

1574 liess Johann Nussbaumer-Zurlauben in Oberägeri das Zurlaubenhaus erbauen. Das Gebäude wurde längere Zeit als Werbehaus für Söldner für fremde Kriegsdienste benützt. (Bild: Wikipedia: Roland Zumbuehl)

Zug im 16. Jahrhundert. Der Krieg wütet in Europa. Abertausende Menschen verlieren in kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben. Auch die Eidgenossenschaft ist involviert. Gewissenlos schicken Zuger Eliten ihre Landsleute in den Krieg. Vor allem die Zuger Familie Zurlauben profitiert lange Zeit von den Söldnern, während die Landbevölkerung und das Ägerital ausbluten.

Der Gotthardtunnel. Wer kennt ihn nicht, den sagenhaften Durchgang vom urnerischen Göschenen ins Tessin. Einer der längsten Tunnel der Welt und architektonisches Meisterwerk zugleich. Ein Zeugnis der Schweizer Ingenieurskunst und menschlicher Hartnäckigkeit. Jedoch belastet den sagenumwobenen Tunnel auch eine dunkle Geschichte, die von Brutalität und Ausbeutung geprägt ist. Eine monumentale Wende in der Geschichte der Industrialisierung, errichtet auf den gekrümmten Rücken von unterbezahlten Gastarbeitern. Das Schweizer Jahrhundertprojekt, das mehrheitlich von italienischen Gastarbeitern errichtet wird.

In diesem Verhältnis tritt die Schweiz als Nutzniesserin auf. Doch historisch gesehen, verschwimmen die Seiten zwischen Profiteurin und Ausgebeuteten. Über viele Jahrhunderte nutzen Schweizer ihre eigenen Landsleute schamlos aus. Sie verkaufen die Dienste ihrer Mitmenschen ins Ausland, sodass sich eine kleine Elite bereichern kann. Auch der Kanton Zug macht sich solcher Aktionen schuldig.

Krieg oder Langeweile

Das Gebiet der heutigen Schweiz ist im 16. Jahrhundert nämlich gespickt mit begehrten «Gastarbeitern». Deren Beruf unterscheidet sich jedoch fundamental von den italienischen Mineuren des 19. Jahrhunderts. Es wird nicht errichtet und geschaffen, es wird gekämpft und zerstört. Die Rede ist von Söldnern oder im damaligen Sprachgebrauch: Reisläufern.

Doch es sind mehr Parallelen zwischen den italienischen Mineuren und den «Schweizer» Reisläufern vorhanden, als man denkt. Ursachen für die Eingliederung im ausländischen Arbeitsmarkt lassen sich in den desolaten wirtschaftlichen Bedingungen des Heimatlandes finden.

So sind die Berufsperspektiven für Schweizer Männer in der frühen Neuzeit karg. Ist man keiner reichen Familie angehörig, hat man zwei Möglichkeiten: Für einen fremden Herrscher in den Krieg zu ziehen oder eine perspektivlose Existenz als abhängiger Kleinbauer zu fristen.

Nutzniesser der Reisläuferei

Der Dienst als Söldner lockt mit Anreizen, die den Krieg attraktiv machen. Die ausländischen «Pensionen» sind begehrt, da sie eine verlässliche Einnahmequelle darstellen. Die grössten Profiteure dieser Pensionsgelder sind die Militärunternehmer. Sie werben Soldaten an und gründen Kompanien, die sie bei Kriegszügen leiten. Dadurch gewinnen sie und ihre Familien bedeutenden Reichtum und Einfluss.

Im Kanton Zug ist dies vor allem die Familie Zurlauben. Über drei Jahrhunderte lang verwaltet sie die Pensionsgelder und profitiert vom Verleih von Soldaten. Ihre militärische Dominanz legt auch den Grundstein für ihre politische Einflussnahme in Stadt und Kanton Zug. Voraussetzung für die Besetzung von öffentlichen Ämtern ist oftmals eine erfolgreiche militärische Karriere.

Doch während einige städtische Familien von den Pensionsgeldern profitieren und ihren Machtanspruch zementieren, wird die Landbevölkerung förmlich ausgeblutet. Soldaten müssen rekrutiert werden. Und nirgends geht dies besser als in den peripheren Bergregionen des Kantons Zug. Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit stellt sich als hervorragender Pull-Faktor der Militärunternehmer dar. Sogar der Kriegsdienst mit seinen zahlreichen Risiken wird als gute Alternative zum Bauerleben gesehen. So entsteht ein Teufelskreis, der die Peripherie in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zur Stadt rückt. Junge Männer werden angeworben und den lokalen Beschäftigungsmöglichkeiten entzogen. Zum Nachteil der Gemeinden.

Der Militärunternehmer Jakob Nussbaumer

Von diesen Verhältnissen profitiert auch Jakob Nussbaumer. Er wird in Oberägeri geboren und wächst in der ländlichen Oberschicht auf. Schon sein Vater wirkt in der lokalen Politik mit. Diese Tradition führt er fort. Durch die Eheschliessung mit Barbara Zurlauben öffnet sich für ihn die Tür zur politischen Elite der Stadt Zug. Seine Zugehörigkeit zur Zuger Patrizierfamilie nutzt er gekonnt zu seinem Vorteil. Er steigt ins Familiengeschäft als Militärunternehmer ein.

Wie es scheint mit Erfolg, denn er errichtet in Oberägeri 1574 das Zurlaubenhaus. Dieses Haus ist für die damaligen Verhältnisse ein Prunkbau. Und die Opulenz hat System. Das Haus dient nämlich als Anwerbestelle für die lokalen Reisläufer aus dem Ägerital. Es wird wohl aus repräsentativen Motiven errichtet, als eine gleichsam in Stein gemeisselte Aufstiegsmöglichkeit. Doch wie so oft trügt der Schein.

Ruhm, Ehre und Reichtum werden den armen Bauern bei einer Kriegsteilnahme versprochen. Doch die meisten kehren traumatisiert und mit schweren Kriegsverletzungen zurück – wenn überhaupt. So auch aus der Schlacht von Dreux-Blainville. Im Zuge der französischen Hugenottenkriege beteiligt sich auch Jakob Nussbaumer an den Kämpfen. 1562 zieht er mit einem Kontingent aus Ägerer Söldnern in die Schlacht. Mehrere Tausend Schweizer aus den katholischen Orten der alten Eidgenossenschaft kämpfen mit den katholischen Franzosen gegen die protestantischen Gegner.

Unter den tausenden von Toten befinden sich mindestens zwölf Ägerer. Was sich wie eine «akzeptable» Anzahl von Toten liest, ist im demografischen Kontext allerdings verheerend. Im Ägerer Totenbuch der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind bis zu 25 Prozent aller männlichen Toten auf den Kriegsdienst zurückzuführen.

Ein gewissenloses Geschäft

Dieser Risiken sind sich Militärunternehmer wie Jakob Nussbaumer durchaus bewusst. Dennoch nutzen sie die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der Ägerer schamlos aus. Was die Söldner tatsächlich zur Reisläuferei motiviert, ist bis heute unklar. Doch wird es wohl eine Mischung aus Armut, vermeintlicher Aussicht auf monetären Gewinn und schwer fassbarer Abenteuerlust sein. Motive, die von den Söldnerführern erkannt und instrumentalisiert werden.

Nutzniesser dieser Kampagnen sind die Befehlshaber der verschiedenen Kontingente. Sie sind ohne Ausnahme Stadtzuger. Eine erfolgreiche militärische Auseinandersetzung wird oft mit politischen Ämtern belohnt. Auch Jakob Nussbaumer lässt sich seine militärischen Erfolge so vergüten. Er tritt für die Stadt Zug als Grossrichter, Gesandter zur Tagsatzung und Ammann auf.

Es lässt sich also erkennen, dass die Anreize aufseiten der Hauptleute und Offiziere deutlich vielversprechender als aufseiten der Fusssoldaten sind.

Haben die Söldner Glück, werden sie an der Kriegsbeute beteiligt. Diese Entlöhnung steht allerdings in keinem Verhältnis zum Risiko, das sie eingehen, um für fremde Herrscher, in fremden Ländern zu kämpfen. Ihre Schicksale werden weder dokumentiert noch beschrieben. Sie tauchen bloss in den Statistiken über die Gefallenen auf. Menschen wie Jakob Nussbaumer allerdings werden für ihre moralische Verwerflichkeit belohnt. Auch hier lassen sich Parallelen zu den Gastarbeitern ziehen, die den Gotthardtunnel errichteten. Louis Favres Name ist noch immer bekannt. Für all die falschen Gründe.

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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Peter Faber
    Peter Faber, 03.07.2021, 16:53 Uhr

    Danke für diesen Beitrag. – Als Fortsetzung käme in Frage auch ein Beitrag über die Rolle der Zuger und der Zurlauben als Vögte in den Untertanengebieten der Alten Eidgenossenschaft, z.B. Grafschaft Baden. Ich bin in einem der Dörfer jenes Gebietes aufgewachsen, wo sich neben dem alten Pfarrhaus und den Restaurant neben der Kirche v.a. das Untervogthaus als sehr respektables Haus präsentierte. Das Landvogteischloss in Baden und seine Räumlichkeiten waren natürlich eine Augenweide.

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  • Profilfoto von Rosa Luxemburg
    Rosa Luxemburg, 02.07.2021, 16:54 Uhr

    Und dank unserem Erbrecht, profitieren die Urahnen noch davon.

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