«Auf den zweiten Blick» – Objektgeschichten mal anders erzählt
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Geschichte steht nicht nur in Büchern geschrieben und wird in Archiven, Bibliotheken und Museen aufbewahrt. Nein, sie ist auch in Museumsobjekten verkörpert. Diese sind dazu da, Geschichte erfahrbar, vermittelbar und sichtbar zu machen.
Dabei werden die Objekte in erster Linie als Anschauungs- und Beweis- mittel benutzt. Das Museumsobjekt kann demnach als stiller Zeuge der Geschichte bzw. von Geschichten verstanden werden.
Diese Geschichten müssen sich aber nicht ausschliesslich auf bestimmte historische Ereignisse beschränken, sondern umfassen auch das Museumsobjekt an sich. Wer Museumsobjekte inventarisiert, reinigt, lagert und pflegt, erfährt dabei mehr Geschichtliches, als man denkt. Unter dem Motto «Auf den zweiten Blick» betrachten wir Objekte einmal anders.
Wir richten den Blick auf Objekteigenschaften, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Auf der Suche nach solchen Geschichten haben wir aus der Sammlung des Museums Burg Zug sechs Objekte ausgewählt, bei welchen eine Betrachtung «auf den zweiten Blick» lohnenswert ist. Folgen Sie uns in eine Welt voller Faszination und neuer Entdeckungen.
Objekt 1 und 2: Zwei klassisch gerahmte Fotoporträts
Bei den beiden Porträts von Luise Luthiger-Schön (1899–1983) und ihrem Ehemann Viktor Luthiger-Schön (1897–1983) handelt es sich um Fotografien, welche auf Leinwand aufgezogen und auf klassische Weise gerahmt wurden. Der Goldrahmen weist barockartige Verzierungen in den Ecken und in der Mitte jeder Seite auf.
Die beiden Fotoporträts bzw. Porträtfotografien stehen in der Tradition der Porträtmalerei und sind gleichzeitig Produkte moderner Fototechnik des späten 20. Jahrhunderts. Sie wahren den Schein eines Ölgemäldes, obwohl es sich in Wirklichkeit um gerahmte Fotografien handelt.
Die Bilder müssen zwischen 1965 und 1980 entstanden sein und wurden von Alois Huwyler (1919–1989) und Werner Senn angefertigt. Huwyler war Fotograf und betrieb zusammen mit dem Optiker Senn ab 1944 zuerst ein Fotoatelier, später dann ein Fotogeschäft, an der Vorstadt 4 in Zug. 1960 erfolgte der Umzug an die Bahnhofstrasse.
In unserem Sammlungsdepot stellte sich eine logistische Frage: Bewahren wir die beiden Objekte am Standort der historischen Porträts in Öl oder am Standort der gerahmten Fotografien auf? Gerahmte Fotografien werden nämlich stehend in Gestellen aufbewahrt, ähnlich wie Bücher, während Ölgemälde an Gittern aufgehängt werden, die wie Schiebewände herausgezogen werden können.
Die Wahl fiel schliesslich auf das äusserste Gemäldegitter, welches gegenüber dem Gestell der Fotoporträts steht.
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Objekt 3: Der veredelte Cellokasten
Auf den ersten Blick handelt es sich beim Objekt um einen gewöhnlichen, langweiligen, braunen Holzkoffer, in welchem man das Streichinstrument Violoncello (in der Kurzform sowie umgangssprachlich Cello genannt) aufbewahren und geschützt von A nach B transportieren kann. Der Holzkoffer ist leer, ein Instrument sucht man vergebens.
Wer Musse hat und sich Zeit nehmen mag, stellt fest, dass der Holzkoffer auch ohne sein Herzstück einiges zu bieten hat. Er ist mit Messingbeschlägen versehen und zeigt eine für unser modern geschultes Auge ungewöhnliche Bemalung, eine sogenannte Eichenmaserierung. Bei dieser Malerei handelt es sich um eine fast vergessene mehrschichtige Ölmaltechnik, mit der man unedles Holz veredelte.
Das bemalte Nadelholz erscheint somit im edlen und repräsentativen Eichenholz-Look. Bevor wir hierzulande anfingen, weisse Wände zu bevorzugen, kam eine solche Malerei übrigens auch bei Inneneinrichtungen vor. Nicht nur Holzstrukturen wurden imitiert, sehr beliebt war zum Beispiel auch Marmor, typischerweise in Treppenhäusern.
Ein anderes schönes Beispiel der Imitation findet man beim Bauernhaus aus Ostermundigen im Freilichtmuseum Ballenberg. Dort wurde der gesamte Holzbau grau bemalt und wirkt daher aus der Ferne wie ein vornehmes Bauernhaus aus Stein.
Alle diese Imitationstechniken mögen zunächst dafür entwickelt worden sein, Billiges als Teures zu verkleiden. Zuweilen wurden sie aber so spielerisch und kunstvoll umgesetzt, dass sie als besonderes Kunsthandwerk eine eigenständige Bedeutung bekommen haben.
Datiert ist der Cellokasten übrigens auf die Zeit zwischen 1890 und 1920. Er wurde dem Museum Burg Zug 2001 vom Institut Heiligkreuz in Cham geschenkt.
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Objekt 4: Kochen wie die Grossen will gelernt sein
Viele Gerätschaften und Utensilien sind seit jeher aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, so zum Beispiel auch diverse Bestandteile und Gerätschaften aus der Küche. Viele dieser Alltagsobjekte wurden auch im Kleinformat als Spielsachen für Kinder genutzt.
Dieser Kochherd aus dem späten 19. Jahrhundert mit den Massen 34,5 x 23 x 16,5 cm (B x L x H) wurde im Kleinformat als Spielzeug für Kinder entworfen. Wenn man die eigentliche Objektgrösse nicht kennen würde, so könnte man beinahe annehmen, dass es sich um einen typischen gusseisernen Sparherd aus einer Küche aus dem 19. Jahrhundert handelt. Diese waren die Vorläufer moderner Kochherde und kamen im späten 18. Jahrhundert auf. Bereits wenige Jahrzehnte später waren sie in vielen bürgerlichen Küchen anzutreffen.
Der Spielzeugherd aus Eisenblech hatte einiges an Kochzubehör zu bieten. Neben Wasserkanne, Schnabelkannen, Pfannen und Töpfen gehörten verschiedene dazu passende Deckel zu den Spielutensilien.
Der Herd verfügt vorne über drei Messingtürchen und steht auf vier Messingfüsschen. Oben befinden sich vier runde und eine ovale Öffnung für Kochtöpfe, hinten ein Stotzen zum Aufsetzen eines Rohrs für den Abzug. Es ist schon faszinierend, wie nahe am Original das Spielzeug im Kleinformat gebaut wurde.
Stellen wir uns also vor, wie wohl und erwachsen sich das Kind fühlte, als es an diesem Kochherd auf spielerische Art und Weise den Kochkünsten seiner Mutter nacheifern konnte.
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Objekt 5: Ein Tintengefäss, das ans Meer erinnert
Dieser Eyecatcher wurde dem Museum Burg Zug 2013 als Schenkung übergeben und stammt aus dem Haushalt der Eltern der Donatorin. Auf den ersten Blick entdeckt man Muscheln und Sand, ein buntes, an Strand und Meer erinnerndes Gebilde, das mit einem Anker und Barometer versehen ist. Seinen Zweck gibt dieses Objekt nicht auf Anhieb preis.
Vielmehr erinnert es an ein Kunst- anstelle eines Gebrauchsobjekts. Auf den zweiten Blick sind jedoch links und rechts zwei eingearbeitete Tintengefässe erkennbar. Der Schein trügt: Vom teuren Design- und Kunstobjekt bleiben nicht viel mehr als Erinnerungen, gebündelt in einem Souvenir aus Le Havre, wie eine Inschrift auf einer der Muscheln verrät.
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Objekt 6: Recycling – Entsteht aus einer Prachtrobe ein Kelchvelum?
Das Kelchvelum (Kelchtuch) ist aus einer sehr schönen, wohl französischen Seide (vermutlich aus Lyon) gefertigt und wird auf die Zeit um 1760 datiert. Es war damals Brauch, dass Damen ihre Prachtroben, wenn sie ausser Mode oder abgenutzt waren, den Kirchen schenkten.
Diese wurden anschliessend für den liturgischen Gebrauch umgeändert, zum Beispiel in Messgewänder oder Kelchvela. Die Naht auf dem Tuch (siehe Detailaufnahme) lässt darauf schliessen, dass dieses Objekt ein Produkt eines solchen Recyclings ist.
In unserer Sammlung gibt es noch fünf weitere Objekte, die auf den ersten Blick aus demselben Stoff bestehen: Eine Damenjacke, eine Stola und ein Manipel, der von Klerikern am linken Unterarm getragen wurde, während sie die Messe feierten. Ebenfalls aus dem gleichen Stoff hergestellt, gibt es in der Sammlung ein Messgewand sowie eine Bursa, eine kleine liturgische Tasche, die im Gottesdienst der katholischen Kirche verwendet wird, um darin das Korporale – das quadratische Leinentuch, welches in der Altarmitte ausgebreitet und auf welchem das Brot und der Wein bzw. das Blut und der Leib Christi gestellt werden – aufzubewahren.
Ist wirklich bei allen Objekten derselbe Stoff verwendet worden und könnte man beim Vergleichen der Stücke vielleicht herausfinden, wie diese einst zusammengesetzt waren? Und könnte man möglicherweise nachweisen, aus was für einem Kleidungsstück sie einst genäht wurden?
Die Arbeit mit Objekten in historischen Sammlungen wirft Fragen über Fragen auf, welche uns in der Zukunft beschäftigen werden. Ein dritter, vierter oder fünfter Blick ist dabei lohnenswert und wer weiss, welche Objektgeschichten dabei noch entdeckt und neu erzählt werden können ...
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Die Sammlung des Museums Burg Zug umfasst rund 50’000 historische Objekte. Darin stammen die Ältesten aus dem 10. und 11. Jahrhundert. Der Beginn der Sammlung liegt im 19. Jahrhundert durch den Vorläufer des heutigen Historischen Vereins des Kantons Zug. Zu dieser Zeit wurden hauptsächlich Antiquitäten gesammelt, die man im Rathaus der Stadt Zug ab 1879 präsentierte.
Heute hingegen liegt der Fokus der Sammlung auf Objekten, die die Geschichte des Kantons Zug dokumentieren. Dabei werden gezielt Sammlungslücken geschlossen und den neuesten Entwicklungen der Zuger Geschichte Rechnung getragen. Weitere Informationen zur Sammlung des Museums Burg Zug finden Sie auf der Museumswebseite unter «Sammlung».