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Pferde dürfen Vollzeit arbeiten, Kühe nur 5 Stunden

Als man auf tierische Energie statt auf Öl setzte

Holzfuhr mit Kühen und Ochsen im bündnerischen Strassberg, 1920. (Bild: Schweizerisches Sozialarchiv)

Heutzutage spricht man vor allem über erneuerbare Energiequellen und wie man von fossiler Energie wegkommen kann. Früher gab es vor allem die tierische Energie – Kuh, Ochse und Stier waren unsere Arbeitskameraden. Man ermittelte gar, welche Arbeitspensen den Zugtieren zuzumuten waren.

Die Klimaerwärmung und noch mehr der Krieg in der Ukraine machen deutlich, wie dringend und möglichst schnell wir von fossiler Energie wegkommen müssen. Zur Diskussion steht die Ausweitung erneuerbarer Energiequellen wie Wind, Sonne oder Wasser.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts stand auch eine heute fast vergessene weitere erneuerbare Energiequelle zur Verfügung: das Tier. Zuerst die Kohle, im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend Erdöl und Erdgas trieben Maschinen und Motoren an und ebneten der Konsumgesellschaft erst den Weg.

«Die thierische Maschine»

Die Landwirtschaft hingegen war auf die Arbeitsleistung von Zugtieren angewiesen. Die Feldarbeit war bis vor hundert Jahren schwierig zu motorisieren und noch am Ende des 19. Jahrhunderts ging man davon aus, dass Arbeitstiere auch in Zukunft nicht ersetzbar sein würden. So würdigte sie ein anonymer Autor noch in den 1870er-Jahren:

«Die thierische Maschine ist – wenn sie sonst gesund ist und gefüttert wird – stets zusammengesetzt, geschmiert und geheizt, sie ist jeden Moment bereit, sich selbst die engsten Pfade, die steilsten Berge hinauf zu bewegen, um dort ihre Dienste zu thun.[…] Daher wird die animalische Kraft stets der beste Gelegenheits-Motor sein und bleiben, daher werden trotz der Dampfmaschinen und aller noch später zu erfindenden beweglichen Motoren, das Pferd, der Ochse, das Maulthier u.s.w. stets auch als reine Arbeitsthiere ihre Würdigung finden.»

tierische Energie
Arbeitskameraden: Bauer mit Ochsen beim Pflügen, 1940er-Jahre. (Bild: Schweizerisches Sozialar-chiv)

Die Arbeitskühe

Wer an Arbeitstiere denkt, hat wohl ein Bild mit Kutschen oder Pflügen ziehenden Pferden vor sich. Dieses Bild trügt. Das wichtigste Arbeitstier war weder Pferd noch Ochse oder Stier. Auf den meisten Höfen wurden Kühe zur Arbeit eingespannt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in der Schweiz bis zu einer Viertelmillion Arbeitskühe gezählt! Sie wurden für alle Zugarbeiten eingesetzt, fürs tägliche Eingrasen und Milchabliefern, fürs Pflügen, Eggen und Säen, für die Heu- und Getreideernte und im Winter für den Holztransport, im Berggebiet auch für das Bahnen der eingeschneiten Wege.

Warum gerade die Kühe und nicht die stärkeren Pferde oder Stiere? Letztere sind teurer: Sie fressen, brauchen einen Stallplatz und Pflege, auch wenn sie nicht arbeiten. Die Kuh hingegen zieht den Karren quasi umsonst. Auch wenn sie arbeitsfrei hat, liefert sie Milch und ein Kalb. Negativ zu Buche – oder wortwörtlich in die Milchrechnung – schlägt höchstens der Minderertrag an Milch, wenn die Kuh am Arbeiten ist.

Kummet oder Joch?

Was ist besser: ein Auto mit Diesel- oder mit Benzinantrieb? Darüber scheiden sich die Geister, genauso wie vor bald hundert Jahren sich Experten darüber uneinig waren, ob für Rindvieh das Kummet oder das Joch die geeignete Zugvorrichtung sei.

Bis ins frühe 20. Jahrhundert zogen die Rinder die Arbeitsgeräte hauptsächlich mit einem Joch, einem hölzernen Bogen, der dem Tier über dem Nacken fixiert wird. Das Kummet wird über den Hals gestülpt, sodass die Kraftübertragung über die Schultern von Kuh und Ochse erfolgt.

Die ETH wollte herausfinden, welche Vorrichtung die bessere ist. Beim wichtigsten Merkmal – nämlich der Zugkraft – wurde kein Unterschied festgestellt; sie war bei beiden Zugmethoden dieselbe. Unentschieden also. Ob Kummet oder Joch blieb also Geschmacksache.

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Kraftübertragung: mit Nackenjoch (o.l.), Kummet (u.l.) und Zapfwelle (o.r.). (Bild: Museum Burg Zug)

Tierrechte? Geregelte Arbeitszeiten!

Was darf man Tieren zumuten? Sind sie sogar Rechtspersönlichkeiten? Dürfen wir sie einsperren? Darüber debattieren wir in der heutigen Tierethikdiskussion. In Bezug auf Arbeitstiere wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Fragen zwar anders gestellt, doch im Grunde ging es ums Gleiche: ums Tierwohl.

Man ging davon aus, dass Kühe, Ochsen und Stiere gerne arbeiten, sofern sie gut behandelt und gefüttert werden. Schliesslich waren Tier und Mensch Arbeitskameraden, die gemeinsam eine Ackerfurche ins Feld pflügten. Und unabhängig von der Anzahl Beinen braucht geregelte Arbeitszeiten, wer vor oder hinter dem Pflug seinen Job macht.

In den 1930er-Jahren untersuchte man deshalb, welche Arbeitspensen den Zugtieren zuzumuten sind. Das Ergebnis: Als Teilzeiterin kann eine Kuh während 3 bis 5 Tagen täglich 3 bis 5 Stunden zur Arbeit eingespannt werden. Zudem benötigt sie nach dem Abkalben eine Schonzeit von 50 Tagen. Vollzeitler sind Ochse und Pferd. Sie arbeiten 8 bis 10 Stunden täglich, und dies während 5 bis 6 Tagen pro Woche. Aber am Sonntag haben alle frei.

Das Ende von Gras- und Hafermotoren

Bis in die 1950er-Jahre blieb die regenerierbare tierische Energie in der Landwirtschaft wichtig. Davor war die motorisierte Feldarbeit nur schlecht entwickelt. Traktoren konnten einzig als Zugmaschinen eingesetzt werden.

Angetrieben von Diesel und Benzin, entfesselte Prometheus nun auch die Landwirtschaft: Motoren und Traktoren hielten auf praktisch allen Höfen Einzug. Und der Traktor zog dank der Zapfwelle nicht mehr bloss Pflug und Wagen. Diese rotierende Welle machte es möglich, dass die Energie vom Traktor auf Maschinen und Geräte übertragen wurde. Vom Güllenfass zum Heuladewagen, von der Mähmaschine bis zum Maishäcksler konnten von nun an die Bauern alle Feldarbeiten mit dem Traktor erledigen. Die Zugtiere wurden arbeitslos und verschwanden in kurzer Zeit aus Stall und Feld.

«Milch, Arbeit und Fleisch, von jedem möglichst viel und in guter Qualität.» Was ein Zürcher Bauer 1928 als Zuchtziel des Rindviehs bezeichnete, verlor mit dem Einzug der effizienteren fossilen Energie seine Gültigkeit.

Das Zuchtziel «Arbeit» fiel weg, fortan richteten die Viehzüchter ihre Zucht einseitig auf Milch- oder Fleischleistung aus. Und sie verloren Kuh, Ochse und Stier als Arbeitskameraden.

Nix Natur, alles Kultur.

Dies ist der Untertitel der Ausstellung BRAUN. VIEH. ZUCHT., die noch bis zum 4. Dezember im Museum Burg Zug zu sehen ist. Sie geht der Kulturtechnik des Züchtens nach, zeigt, wie von der Fellfarbe nach und nach auf Arbeitsleistung, Milch- und Fleischertrag gezüchtet wurde, und fragt, wie es in Zukunft mit der Rinder- und allgemeiner mit der Nutztierhaltung weitergehen soll.

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Blick in die Sonderausstellung BRAUN. VIEH. ZUCHT. Nix Natur, alles Kultur. (Bild: Museum Burg Zug)

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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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