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Das autonome Jugendzentrum in den 1980er-Jahren

Als es in Zug zu Besetzungen und Hungerstreiks kam

Jugendunruhen in Zug in den 1980ern. Die Teestube «Zjt» befand sich in diesem Pavillon, damals Industriestrasse 2. Sie diente seit 1976 als provisorischer Treffpunkt für die Jugendbewegung. (Foto: Bruno Bollinger)

Jugendunruhen und die Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum hielten anfangs der 1980er-Jahre auch Zug in Atem. Lange reagierte die Politik nur zögerlich, eine Übergangslösung war ungenügend. Rund 20 Zuger Jugendliche traten in einen Hungerstreik, es kam zur Besetzung der Kaserne. Erst ein Kompromiss entschärfte den Konflikt, wie der Blog von Regula Hauser zeigt.

Anlässlich des Opernhauskrawalls in Zürich vom 30. Mai 1980 entstanden schweizweit Jugendbewegungen. So auch in Zug, wo sich junge Menschen für Freiräume sowie für bezahlbaren Wohnraum stark machten. Der Wunsch der Jugendlichen nach Autonomie war für jene Zeit prägend. Sie wollten ihre Freizeit in autonomen Jugendhäusern selber gestalten und forderten kulturellen Freiraum. Zudem kritisierten sie die starren Regeln der Politik im Zusammenhang mit der Bewilligung von Festen.

Jugendzentrum vs. autonomes Jugendhaus

Darüber, wie ein zukünftiger Treffpunkt für junge Menschen organisiert sein sollte, herrschte keine Einigkeit. Als provisorische Lösung betrieb der Verein Zuger Jugend Treffpunkte V-ZJT seit 1976 eine Teestube mit dem Namen «Zjt». Diese befand sich in einem leerstehenden Kinderhort an der Industriestrasse und stand unter fachmännischer Leitung.

Der Vereinsvorstand war auf der Suche nach einer definitiven Lösung für ein Jugendzentrum. Nach einigem politischen Hin und Her fiel die Standort-Wahl auf das Gelände hinter dem alten Schlachthaus an der Industriestrasse. Ab 1979 beschäftigte sich die Arbeitsgruppe Jugendzentrum Zug (AGJZ) mit der Planung des Jugendzentrums und betrieb Öffentlichkeitsarbeit. Ende September 1980 bewilligte das Zuger Stimmvolk mit einem Ja von über 75 Prozent den Baukredit für das Jugendzentrum an der Industriestrasse.

Am 27. Juni 1980 organisierte die Jugendgruppe Maulwurf der Revolutionären Marxistischen Liga (RML) im Burgbachkeller eine Filmvorführung zu den Zürcher Opernhauskrawallen. Aus dieser Filmvorführung entstand die selbsternannte «Zuger Jugendbewegung», die ungefähr 300 Mitglieder umfasste. Ihre Forderung war ein autonomes Jugendhaus.

Tauziehen um ein autonomes Jugendhaus

Der Stadtrat hatte mit der Zuger Jugendbewegung vereinbart, nach erfolgter Abstimmung über den Baukredit für das Jugendzentrum auf ihr Gesuch einzugehen. In einem Brief vom 2. Oktober 1980 forderte Stadtpräsident Walter A. Hegglin die Jugendlichen dazu auf, eine kompetente Delegation aus der Stadt Zug zu bestimmen, um mit Vertretern des Stadtrates ein Gespräch zu führen. «Dessen Zweck wäre es, sich über den Begriff «Autonom» zu einigen und gleichzeitig verschiedene Aspekte wie Öffnungszeiten, Dauer der Zurverfügungstellung eines Lokals und Verantwortlichkeit festzulegen.»[1]

Um den sechs Delegierten den Rücken zu stärken, wurde eine Demonstration beschlossen, zu der im Maulwurf Nr. 9 aufgerufen wurde.

Maulwurf Nr. 9, Zeitung des Maulwurf Jugendkreises Zug vom Oktober 1980. Aufruf zur Demonstration auf dem Zuger Landsgemeindeplatz am Samstag, 4. Oktober 1980. (Dokument: Stadtarchiv Zug)

Die Jugendlichen waren der Ansicht, dass genügend Räumlichkeiten vorhanden wären, «wo innert kürzester Frist ein Jugendhaus eingerichtet werden könnte […] (z. B. alte Kaserne).»[2] Auch das Bürgerasyl an der Chamerstrasse sowie der Pulverturm standen zur Diskussion.

Im Oktober 1980 schien eine Übergangslösung in Form eines autonomen Jugendhauses bis zur Eröffnung des Jugendzentrums an der Industriestrasse in greifbarer Nähe. Doch als nichts dergleichen geschah, richtete die Aktionsgruppe «Übergangslösung» am 27. Oktober ein Gesuch an den Stadtrat mit der Forderung einer Übergangslösung in Form eines Saals für bis zu 200 Jugendliche, zur Nutzung an jedem zweiten Samstag. Erst an seiner Sitzung vom 2. Dezember 1980 beschloss der Stadtrat, den Jugendlichen an drei Samstagen im Dezember den Theorieraum des Kantonnements (Truppenunterkunft) Allmend als Versammlungs- und Freizeitlokal zur Verfügung zu stellen.

20 Jugendliche traten in den Hungerstreik

Am 7. Dezember 1980 folgte von der Verhandlungsdelegation der Zuger Jugendbewegung postwendend ein Schreiben an den Zuger Stadtrat: Der Raum im Kantonnement sei als Übergangslösung völlig ungenügend, da ein einziger Raum nicht ausreiche. Zudem verfügte er über keine Toilette und die Übergangslösung sollte jeden Abend offen sein. Sollte der Stadtrat bis Weihnachten nicht auf die Forderungen eingehen, wollte die Bewegung einen Hungerstreik nicht ausschliessen.

Da im Jahr 1980 keine Verhandlungen mehr stattfanden, traten rund 20 Zuger Jugendliche Anfang Januar 1981 in einen Hungerstreik, um gegen die ihrer Ansicht nach unnachgiebige Haltung der Zuger Behörden zu protestieren. Im März 1981 besetzten 70 Jugendliche während drei Tagen Räume der Kaserne. Sie beugten sich schlussendlich dem polizeilichen Ultimatum und verliessen das Gebäude.

Die Kaserne an der St.-Oswalds-Gasse in Zug, ca. 1984. (Bild: Stadtarchiv Zug)

In dieser Phase griff der Verein Zuger Jugendtreffpunkte V-ZJT vermittelnd ein und erzielte einen Kompromiss, der die Nutzung des 1. Stocks der alten Kaserne zu definierten Öffnungszeiten beinhaltete. Die Vollversammlung der Zuger Jugendbewegung erklärte sich im April 1981 bereit, den V-ZJT als Trägerschaft für eine Übergangslösung in der alten Kaserne anzuerkennen.

Kulturkaserne als Zwischenlösung

Am 5. Dezember 1981 wurde die Kulturkaserne an der St.-Oswalds-Gasse dann endlich eröffnet. Von Donnerstag bis Sonntagabend hatten junge Erwachsene nun einen neuen Treffpunkt.

Blick in die Räumlichkeiten des autonomen Jugendhauses in der Kaserne, vermutlich Anfang 1983. (Fotos: Stadtarchiv Zug)

Die Kaserne war ein Ort, der Jugendliche anzog. Das Gebäude war zwar abbruchreif und die Räumlichkeiten schmuddelig, doch indem die Jungen das autonome Jugendhaus besuchten, konnten sie die Erwachsenen provozieren. Der Vertrag für den Betrieb des autonomen Jugendhauses war von Anfang an bis Ende April 1983 befristet. Wegen mehrerer polizeilicher Interventionen, unter anderem wegen Nachtruhestörung und misslicher Betriebsführung, wurde das Jugendhaus Anfang 1983 vorübergehend geschlossen. Nach Vertragsablauf drangen im Mai 33 Jugendliche gewaltsam in die geschlossene Kaserne ein, worauf Beamte der Stadt- und der Kantonspolizei das Haus räumten.

Obschon ein Gesuch betreffend Betriebsverlängerung eingereicht wurde, entschied sich die Politik für die Schliessung. Die Kaserne wird deshalb oft mit diesen Ausschreitungen gleichgesetzt. Dabei tritt in den Hintergrund, dass das Jugendhaus ein wichtiger Treffpunkt für rund 500 Jugendliche war. Viele von ihnen fanden in der Stadt Zug keine Wohnung und die kaum vorhandenen Wohngemeinschaften boten nicht genügend Raum für Treffen.

Zudem war das Jugendzentrum an der Industriestrasse, das im Herbst 1982 den Betrieb aufgenommen hatte, oft überfüllt. Die Selbstverwaltung in diesen abbruchreifen Räumlichkeiten bot den Jugendlichen zudem die Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln, was andernorts nicht möglich gewesen wäre.

Freiraum für Jugendkultur bis heute

Am 3. September 1982 wurde an der Industriestrasse das Jugendzentrum eröffnet. Das Programm enthielt attraktive Veranstaltungen für die unterschiedlichsten Interessen: Konzerte, Filme, Disco sowie Möglichkeiten für stille Aktivitäten wie Basteln oder Sitzungen. In den 1980er-Jahren traten im Jugendzentrum sogar Bands wie Element of Crime oder The Specials auf. Die industrie45 (i45) hat bis heute Bestand als städtisches Jugendkultur-Zentrum und bietet Jugendlichen aus dem ganzen Kanton Zug die Möglichkeit, ihre Freizeit kreativ zu gestalten.

Veranstaltungsprogramm des Jugendzentrums vom Oktober 1983. (Dokument: Stadtarchiv Zug)

[1] Brief von Stadtpräsident Walter A. Hegglin an Herrn Huber, Mitglied der Zuger Jugendbewegung, 2. Oktober 1980. (Dokument: Stadtarchiv Zug)

[2] Zeitung des Maulwurf Jugendkreises Zug, Nr. 9, Oktober 1980. (Dokument: Stadtarchiv Zug)

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