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Quarantäne und Isolation gegen Mittelalter-Pandemie

Als die Pest zuletzt in der Zentralschweiz wütete

Durch Isolation und Quarantäne versuchte man, die Pest einzudämmen und aus Luzern fernzuhalten. Ausserdem sollten religiöse Praktiken vor dem Schwarzen Tod bewahren. (Bild: Luigi Sabatelli / Wikimedia Commons)

Luzern wurde im Herbst des Jahres 1627 durch Willisau informiert, dass die Pest wieder ausgebrochen war. Nur 15 Jahre nach der letzten Pestwelle war die Krankheit schon wieder in der Zentralschweiz angekommen. Mit rigorosen Massnahmen und Quarantäne gelang es den Patrizierfamilien in der Stadt Luzern, die Bevölkerung weit besser zu schützen als auf dem Land. In Willisau beispielsweise fiel fast jeder zweite der Pandemie zum Opfer.

Die Pest hat in Europa und rund um das Mittelmeer, seit der Mitte des 14. Jahrhunderts bis in das 20. Jahrhundert hinein, wohl ähnlich viele Menschenleben gekostet wie die unzähligen Blutbäder, Kriege und Schlachten der europäischen Geschichte. Die bakterielle Infektionskrankheit, die vor allem durch Nagetiere auf Flöhe und Menschen übertragen wurde, suchte die Zentralschweiz in regelmässigen Abständen von 10 bis 20 Jahren heim und forderte jedes Mal aufs Neue tausende Menschenleben.

Nichts Neues in Luzern

In der Pestwelle von 1627 bis 1629 litten die ländlichen Gegenden rund um Luzern besonders stark unter der Seuche. Nach Dutzenden verheerenden Pestwellen, die viele Luzerner Leben gekostet hatten, würde diese Welle die Luzerner innerhalb der Stadtmauern verschonen.

Schon 1598 und 1611 hatte die Pest in der Zentralschweiz gewütet. Während diesen beiden Wellen kämpfte der berühmte Luzerner Chronist, Renward Cysat, an vorderster Front gegen die Krankheit. Er war damals für die gesundheitspolizeilichen Aufgaben in Luzern verantwortlich. Er soll die erste «Pestordnung» der Schweiz geschrieben haben, in welcher er Rezepte zur Pestheilung, Massnahmen und Berichte zur Bekämpfung der Krankheit festhielt. Zusammen mit Lorenz Hager, dem Stadtarzt Luzerns, hinterliess er enorm viel Wissen über die Pest in Luzern und wie man sie bekämpfen konnte.

Dieses Mal nicht

Während die Menschen auf dem Land rund um Luzern, wie bei jeder Pestwelle, massenweise starben, verzeichnete die Stadt Luzern während der Welle von 1627 bis 1629 kaum Tote. In Sursee fielen ihr fast 400 der knapp 1000 Einwohner und in Kriens 200 der 500 Einwohnerinnen zum Opfer. Aus der Stadt Luzern sind aber nur ein halbes Dutzend Tote bekannt. Wie schafften es die Oberhäupter Luzerns, die Pest ausserhalb der Stadtmauern zu behalten?

Die Patrizier, die die Stadt Luzern befehligten, hatten eine sehr hohe Befehlsgewalt und konnten ihre Anweisungen innerhalb der Stadtmauern gut durchsetzen. Während sie Luzern also zuverlässig kontrollierten, war ihr Einfluss auf die ländlichen Orte und Dörfer nicht so gross. Da sie selbst nie in den Dörfern anwesend waren, delegierten sie ihre Macht häufig an die jeweiligen Untervögte, Weibel oder Ammänner vor Ort weiter. So konnten die Luzerner oft nur durch Briefe und Botschafter Einfluss auf diese Orte nehmen. Obwohl sich die Luzerner Oberhäupter als väterlich, mitfühlend und fürsorglich bezeichneten, setzen sie die oft sehr strikten und harten Massnahmen gegen die Pest mit eiserner Hand durch.

Isolation und Quarantäne

Um die Pest nicht nach Luzern kommen zu lassen, wurden viele Messen und Märkte, wie zum Beispiel der Wochenmarkt am Dienstag, welcher normalerweise in Luzern stattfand, an andere Orte vergeben, oder einfach ausserhalb der Stadtmauern abgehalten. So auch der vierteljährliche Jahrmarkt, der auf überregionales Interesse stiess. Die Jahrmärkte wurden oftmals auch ganz abgesagt. Wie schon seit hunderten von Jahren waren der Handel und die Märkte nicht nur die Lebensgrundlage vieler Menschen, sondern gleichzeitig auch der Hauptgrund für die schnelle und immer wiederkehrende Verbreitung der Pest.

Wer aus einem Ort kam, der von der Pest befallen war, wurde nicht in die Stadt gelassen und wieder nach Hause geschickt. Die rigorose Durchsetzung dieser Massnahme zeigt folgendes Beispiel: Als die Pest in Uri wütete, wurde drei Abgeordneten aus Uri die Aufgabe zugetragen, jeweils wöchentlich zu dritt den Markt in Luzern zu besuchen, um für die gesamte Urner Bevölkerung einzukaufen. Die Waren brachten sie dann mit dem Schiff wieder zurück und verteilten sie an die Urner.

Zudem gab es viele religiöse Bräuche, die dazu dienen sollten, die Pest zu bekämpfen. Zum Beispiel hielten die Luzerner spezifische Gottesdienste, um «Gottes Zorn» zu lindern. Ausserdem sprach man spezielle Gebete und trug Pestabwehrkreuze um den Hals oder hatte Zettel mit Segenssprüchen in den Taschen.

Die wichtigsten Massnahmen waren aber nicht die religiösen, sondern die weltlichen. Zum einen wurde die Mobilität der Bewohner und der Einreisenden streng bewacht und pestbefallene Häuser wurden sofort isoliert. Weil die Menschen schon damals sehr mobil waren, kämpften die Luzerner aber nicht nur mit den umliegenden Orten und Bewohnern, sondern auch mit solchen, die von weiter entfernten Orten kamen.

Der Handel bringt die Pest nach Luzern

Durch die strategisch günstige Lage Luzerns, verkehrten hier auch viele Händler. Entweder wollten sie an den Luzerner Markt oder weiter, vom Norden Europas, durch die Alpen, in den warmen italienischen Süden. Dafür mussten sie stets einen langen und mühseligen Weg auf sich nehmen. Oft pausierten sie am Vierwaldstättersee, bevor die Reise über die Alpen weiterging. Viele Händler wollten ihre Waren nach Norditalien bringen, um sie dort, in Mailand, oder in den grossen Handelsstädten am Meer, wie Venedig oder Genua, zu verkaufen.

Die wichtigste Ware der Eidgenossen war ihr Vieh. Sie waren darauf angewiesen, dieses in Norditalien verkaufen zu können, um Geld für die täglichen Bedürfnisse zu erwirtschaften. Nebst dem Viehexport war das zweitwichtigste Gut der Schweizer Käse, welcher schon damals sehr beliebt war. Durch den regen Handel und die daraus resultierenden Bewegungen, schien die Verbreitung der Pest kaum aufhaltbar.

Kein Weg ging an Mailands Regeln vorbei

Im Gegensatz zu den kleinen Städten der Eidgenossenschaft, deren gesundheitlichen Angelegenheiten jeweils von einzelnen Stadtärzten mit wenigen Gehilfen geregelt wurden, hatte die Stadt Mailand ein eigenes Sanitätstribunal, ein sogenanntes «Pestgremium», welchem sieben erfahrene Ärzte mit juristischem Hintergrund angehörig waren. Diese hatten zur einzigen Aufgabe, die Pest rund um Mailand und nördlich des Gotthards an der Verbreitung zu hindern. Durch die Kompetenz und Vormachtstellung Mailands in der Eidgenossenschaft wurde ein Abkommen mit den Luzernern verhandelt, in dem geregelt wurde, dass die Mailänder, in Zeiten der Pest, Massnahmen von Mailand bis in die Innerschweiz erlassen dürften.

Wie schon für die letzte Pestwelle im Jahr 1611 installierten die Mailänder auch in dieser letzten Pestwelle wieder einen eigenen Mittelsmann, welcher für den Gotthardtransit zuständig war. Dieser Mann war Commisario Giovanni Antonio Gritti. Weil er die gleiche Aufgabe übernahm wie schon 15 Jahre zuvor, wusste er genau, was er zu tun hatte. In den folgenden zwei Jahren war er entsprechend mit zahlreichen eidgenössischen Regionen – von Willisau über Uri bis nach Basel – in regem Briefkontakt. Der Briefverkehr zwischen ihm und den Luzernern ist im Staatsarchiv nachzulesen und besteht aus ungefähr 75 Briefen, welche in den Jahren 1627 bis 1629 verschickt wurden. Die Innerschweiz, die bei jeder Welle verheerende Verluste durch die Pest beklagen musste, galt als besonders anfällig und nicht fähig, gegen die Pest anzukämpfen.

Die Mailänder wachten nicht mit Adleraugen über Luzern

Im Herbst 1628 wurde in der Stadt bekannt, dass in einem Haus in Luzern drei Menschen starben. Dieses Haus wurde sofort verschlossen und bewacht, sodass es niemand betreten konnte. Es ist der einzig bekannte Pestfall in dieser Welle innerhalb der Stadt Luzern. Dennoch ist es möglich, dass es mehr Tote gab. Obwohl eine Informationspflicht bei Pestfällen galt, versuchte die Obrigkeit in Luzern jeden Pestfall so gut wie möglich zu verheimlichen, um nicht mit dem Bann der Mailänder belegt zu werden (siehe Infoblock unten).

Da die Mailänder aber ein grosses Interesse an einer guten Beziehung zu Luzern hatten, wurden solche Verheimlichungen nicht übelgenommen, falls sie dennoch auffielen. In einem Brief schrieben die Mailänder explizit, dass man die Luzerner, und auch den Rest der Eidgenossenschaft, schon längst mit einem Bann belegt hätte, wenn den Mailändern die Beziehung zu ihnen nicht so wichtig wäre.

Der Grund, wieso Luzern weitgehend verschont wurde, ist wohl die sehr frühe Übernahme des Mailänder Systems und dessen Massnahmen. Luzern, das in den letzten Jahrhunderten so viele Pesttote erleiden musste, blieb in dieser letzten Welle also weitgehend das grosse Leid erspart und wurde in den folgenden Jahrhunderten nie mehr Opfer einer grösseren Pestwelle.

Massnahmen der Mailänder zur Bekämpfung der Pest

Die Mailänder setzten viele Massnahmen durch, um die Pest zu bekämpfen. Schon zu dieser Zeit war die Quarantäne ein bewährtes Mittel, um die Pest an der Verbreitung zu hindern. Um die Pest einzudämmen, wollten die Mailänder die Bewegung und Mobilität der Bevölkerung so stark wie möglich einschränken. Auf Befehl von Giovanni Gritti wurde der Gotthardpass im Jahr 1628 zum Beispiel zweimal für mehrere Tage gesperrt. Zudem wurde häufig ein sogenannter Bann über einer ganzen Stadt ausgesprochen. Wenn Mailand eine Stadt mit einem Bann belegte, musste jeglicher Verkehr zu diesem Ort unterbrochen werden.

Falls keine erwiesene Pestfälle, sondern lediglich Verdachtsfälle vorlagen, sprachen die Mailänder eine sogenannte Suspension aus. Wer aus einem Ort mit einer Suspension ausreiste, musste zuerst eine 14-tägige Quarantäne einlegen, bevor er oder sie weiter in den Süden Richtung Mailand reisen durfte. Während dieser Quarantäne mussten die Händler und Reisenden nicht nur die Zeit abwarten, sie wurden auch durch eine Purgation gereinigt. Das heisst, sie wurden wortwörtlich ausgeräuchert, bevor sie ihre Reise über den Gotthard fortsetzen durften.

Zusätzlich zu diesen Massnahmen wurden sogenannte Gesundheitspässe eingeführt. Diese Pässe dienten als Beweis dafür, dass die Ortschaft, aus der die reisenden Personen kamen, pestfrei war. Wie bei der Suspension durften Reisende ohne Gesundheitspass nur über den Gotthard, nachdem sie in den 14 Tagen Quarantäne ausgeräuchert und gereinigt wurden. Diese Massnahmen waren für die auf den Handel angewiesenen Bauern natürlich ein grosses Problem. Da Not aber bekannterweise erfinderisch macht, hinderten diese Massnahmen natürlich kaum jemanden daran, in den Süden zu reisen, um Geld zum Überleben zu erwirtschaften.

So umgingen die Luzerner Händler solche Quarantänemassnahmen oder Sperrungen kurzerhand und gingen den längeren Umweg über den Splügenpass und nahmen diesen Massnahmen die Effektivität. Während die Obrigkeiten in Luzern und in Mailand also das grössere Bild im Blick hatten und versuchten, die Pest so gut wie möglich fernzuhalten, war das für die einfachen Untertanen und Bauern leichter gesagt als getan. Sie neigten oft dazu, die Befehle und Verordnungen zu missachten, um schlicht ihr eigenes Überleben zu sichern.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Yann-Alexander
    Yann-Alexander, 06.10.2021, 13:25 Uhr

    Hochinteressant, danke für diesen Beitrag!

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  • Profilfoto von ccc
    ccc, 26.09.2021, 06:32 Uhr

    Guter Bericht

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  • Profilfoto von hegard
    hegard, 24.09.2021, 13:01 Uhr

    Interessant dieser Bericht von der Pest.
    Ähnlich wie heute, nur medizinisch sieht’s heute besser aus, ausser die Städter müssen mehr aufpassen und die Patrizier nehmen wieder zu.
    Den Teufel austreiben nützt heute noch nichts? Wird aber leider immer noch praktiziert.

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