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Morgen schreib ich dann weiter

Mit zwanzig dicken Meisterwerken verschanze ich mich. (Bild: Jocelyne Iten)

Der Kopf ist längst in den Ferien, die Motivation flügge und das Wetter grandios. Wieso bloss muss ich jetzt diese Arbeit schreiben? Ein Einblick in den Ablauf und die Schwierigkeit beim Verfassen einer Seminararbeit.

«Was, ihr habt keine Semesterprüfung? Arbeit schreiben ist ja voll chillig», höre ich nicht selten von gestressten Jus-Studenten. Tatsächlich müssen wir Kulturwissenschaftsstudenten an der Uni Luzern oft lediglich zu Beginn und am Ende unserer universitären Karriere Prüfungen absolvieren. Chillig haben wir es, entgegen bissig-charmanter Äusserungen wie obiger, dennoch nicht. Auch wir sind verpflichtet unsere Leistungen nachzuweisen. Dies tun wir insofern, als bis zum Bachelorabschluss nicht eine, nicht zwei, nein, sieben Seminararbeiten exklusiv der Bachelorarbeit verfasst werden sollen. Das Rätsel warum sieben in sechs Semestern zu schreiben sind, konnte bis anhin nicht gelöst werden. Womöglich ist es darauf zurückzuführen, dass dieser Ziffer in verschiedenen Kulturkreisen eine magische Bedeutung beigemessen wird. In welcher Weise dieser anziehende Zauber auf die Kulturwissenschaftsstudierenden abfärbt, bleibt gleichwohl ein Mysterium.

Immer der gleiche Prozess

Idealerweise mache ich mir schon während des Semesters Gedanken über ein Thema, welches sich zu einem besuchten Seminar behandeln lässt. Die grobe Eingrenzung des anvisierten Themenfeldes geht meist schnell vonstatten. «Ich möchte etwas zum Online-Dating schreiben», kommt es über meine Lippen. Ein Stirnrunzeln seitens der Dozentin und ich weiss, dass ich spezifischer werden muss. Es folgt ein intensives Brainstorming mit Aktualitätsbezügen, zu psychologischen Analysen und schliesslich kanalisieren sich meine geistigen Gedankensprünge auf noch zu definierende Aspekte der Selbstrepräsentation und Selbstoffenbarung beim Online-Dating. Das Thema ist akzeptiert, und der Startschuss abgefeuert.

Mit zwanzig dicken soziologischen Meisterwerken verschanze ich mich in der schon um neun Uhr morgens sehr gut bevölkerten Bibliothek und beginne zu lesen. Auf die anfängliche Euphorie folgt vier Stunden, eine bis zum Rand bekritzelte A4 Seite und circa fünfzig mit Schlagwörtern versehenen Post-Its später die erste Ernüchterung. Ein langes Gesicht deshalb, da sich eine passende Fragestellung noch längst nicht herauszukristallisieren scheint. Ich starte somit einen neuen Anlauf und versuche irgendwelche brauchbaren Hinweise zu vernetzen.

Das Einlesen ist meines Erachtens das Schwierigste und zugleich Wichtigste im Arbeitsprozess. Die Zeit vergeht wie im Flug und niedergeschrieben wird trotzdem nicht viel. Nach einer weiteren dürftig konzentrierten Stunde – von Facebook zurück ins Papierene – zurück zur Online-Ausgabe des Neon – zurück zu Kommunikationstheorien in der digitalen Welt, klappe ich sämtliche Bücher zu.

Ein Katzensprung in Richtung Ziellinie

«Ok für heute reichts, ich mach dann morgen weiter!». Die Thesenfindung läuft bei mir gewohntermassen harzig, da es passieren kann, dass diese im Verlauf der Lektürearbeit angepasst werden muss. Ärgerlich, gehört aber zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu. Habe ich dann letzten Endes eine Passende gefunden, geht der Spass erst richtig los. Die gelesene Literatur darf jetzt auf die Fragestellung hin durchforscht und angewendet werden. In dieser Etappe stellt sich heraus, ob die Idee kompatibel ist und wirklich zwanzig Seiten darüber geschrieben werden können. Der Schreibprozess an sich ist daraufhin nur noch ein Katzensprung in Richtung Ziellinie.

Es mangelt oft an der fehlenden Konzentration und Motivation.

Finde ich die nötige Menge an Zeit (und dies ist mit geschickter Planung durchaus möglich), mangelt es oft an der fehlenden Konzentration und Motivation. Wer will schon beim schönsten Sommerwetter in der Bibliothek sitzen und etwas übers Online-Dating schreiben, wenn man stattdessen gleich vor Ort in der «Ufschötti» jemanden aufreissen könnte? Meine Selbstdisziplin sitzt dann jeweils im nächsten Flieger in die Karibik.

Beschäftige ich mich wochenlang mit demselben Thema, frage ich mich derweil: «Was zum Geier habe ich geschrieben?» und lamentiere: «Das macht doch gar keinen Sinn!». Erleichterung überragt dieses Gefühl erst, wenn die Seminararbeit abgefasst ist, ich auf den «Senden»- Button geklickt habe und sie ab jetzt nicht mehr in meinem Verfügungsbereich liegt. Freude und ein «Sich-auf-die-Schulter-klopfen» folgen, wenn ich einige Wochen später positive Resonanz erhalte. Die Mühe war also nicht vergebens.

Die Gefahr des Keine-Deadline haben

Kulturwissenschaftsstudierende verfügen selbstständig über den Zeitraum, wann eine Seminararbeit verfasst oder eben nicht verfasst werden kann. Genau bei diesem «oder eben nicht» zeigt sich die Crux. Diese endlose Freiheit hat bedrohlichen Charakter. Während die Jus-StudentInnen eine fixe Prüfungszeit haben, auf die gesetzten Daten hinarbeiten und danach an der Sonne brutzeln können, sitzt einer Kulturwissenschaftsstudierenden womöglich die ganzen Semesterferien hindurch die Seminararbeit im Nacken. Das Studium der Kulturwissenschaften mag wohl «nur» aus Seminararbeiten bestehen die, von Aussen betrachtet, «voll chillig» sind, doch genau dies fordert enorme Selbstdisziplin und Planung seitens der StudentInnen.

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Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
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