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Sommerzeit ist im zugerischen Oberwil Chriesi-Zeit

Ein Tag auf dem Hof Bröchli von Franz und Andrea Iten

Sommerzeit ist auf dem Hof von Franz und Andrea Iten «Chriesi-Zeit». Daher brauchen sie viele helfende Hände zum Sortieren der Kirschen. (Bild: zvg)

Während der drei bis vier Wochen Kirschenernte dreht sich auf dem Hof Bröchli alles um die süsse Steinfrucht. Auch dass Andrea Iten am «Chriesi-Sturm» verkleidet durch die Stadt Zug rennt, gehört dazu. Daneben versorgen sie die Kühe, die bei den hohen Temperaturen nachts auf die Weide dürfen.

Der diesjährige Frühling war wohlwollend mit unseren Obstbäumen und verschonte sie vor Frostnächten. Und so stehen die Sterne nun gut für eine ertragreiche Kirschenernte!

Hier in Oberwil im Kanton Zug haben wir ein mildes Klima, eingebettet zwischen Zugersee und Zugerberg an einer leichten Hanglage herrschen sehr gute Bedingungen für den Obstbau, und so starten wir dieses Jahr optimistisch in die Kirschenernte. Letztes Jahr hatten wir wegen Frost und Hagel weniger Glück, und darum freut es uns nun umso mehr, dass heuer alles gut aussieht.

Zuerst kommen die Kühe

Die «Chriesizyt» ist die strengste Zeit bei uns: Der Tag beginnt um 5:45 Uhr. Mein Mann Franz und unser Lernender Dominik holen die Kühe von der Nachtweide in den Stall. In den heissen Sommermonaten weiden sie meistens nachts, da die Temperaturen für die Kühe dann angenehmer sind und Fliegen und Bremsen sie weniger belästigen.

Nachdem sie ihren Platz im Stall eingenommen haben, kümmert sich Dominik, der seinen Lehrabschluss nun in der Tasche hat, selbstständig um die Kühe. Da sie die ganze Nacht Gras fressen konnten, gibt es nun im Stall noch eine Ration Mais, Mineralstoff und Eiweisskonzentrat. Nach dem Füttern beginnt er mit Melken und nach dem Frühstück erledigt er die Arbeiten bei den Kleintieren, sprich: bei den Hühnern, Ziegen, Enten und Hasen.

«Die Guten ins Krättchen»

Franz bindet sich den ersten «Chriesichratten» um und startet in der Kirschenanlage mit dem Ernten. Heute ist unser erster Chriesi-Tag. Die ersten Helfenden kommen um 7 Uhr hinzu, es sind Verwandte oder pensionierte Nachbarn vom Dorf oder Freunde aus der Umgebung, die seit Jahren tatkräftig mithelfen! Wir sind dafür enorm dankbar, denn ohne ihre Unterstützung würde es nicht gehen! Wir füllen Chratten um Chratten. Dabei pflücken wir nur die reifsten Kirschen, die kleineren und röteren lassen wir noch hängen und ernten sie in einem zweiten Durchgang.

Beim «Chriesi-Sturm» mitrennen

An diesem Morgen richte ich alles für das «Verläse» ein: Ich stelle die Tische und die Stühle auf, hole die Verpackungen hervor, richte Waage und Kasse ein, mache Tee für alle und bereite zudem das Mittagessen vor. Der Kirschenstart ist immer ein spezieller Tag. Heute sowieso, denn nach zwei Jahren Unterbruch findet genau heute auch wieder der «Chriesi-Sturm» in der Altstadt von Zug statt (zentralplus berichtete).

Dem schnellsten gehörten die Kirschen eines ganzen Baumes

Dieser alte Brauch wurde 2008 wiederbelebt: Um Punkt 12 Uhr, wenn die «Chriesigloggen» ertönen, springen Männer und Kinder mit grossen oder kleinen Leitern durch die Altstadt, wir Frauen tun dies mit Hutten (Rückenkörben). Es ist eine Anlehnung an den Startschuss der Kirschenernte von früher (1886): Als die Chriesiglogge ertönte, konnten alle losrennen zur Allmend, wo Hunderte Kirschbäume standen (mittlerweile ist alles überbaut). Wer zuerst an einem Kirschbaum war, dem gehörten die Chriesi dieses Baumes.

Als Vertreterin der Chriesi-Bauern darf ich auch an den Start! Doch da ich nicht unbedingt eine Sprinterin bin, wähle ich immer einen besonderen Look! Gekleidet wie früher mit langem Rock und Bluse oder mit Kasak-Schürze und Chriesi-Kopftuch agiere ich deshalb als Farbtupfer unter all den Sportlern.

Der „Chriesi-Sturm“ erinnert an den Startschuss der Kirschenernte früher: Wenn die „Chriesi-Glogge“ ertönte, rannten alle auf die Allmend, um sich einen Kirschbaum zu sichern. Wer zuerst an einem Baum war, dem gehörten die Kirschen, die dieser trug.
Der «Chriesi-Sturm» erinnert an den Startschuss der Kirschenernte früher: Wenn die «Chriesiglogge» ertönte, rannten alle auf die Allmend, um sich einen Kirschbaum zu sichern. Wer zuerst an einem Baum war, dem gehörten die Kirschen, die dieser trug. (Bild: zvg)

Das grosse Sortieren

Um 8 Uhr kommen dann auch die Kirschenverleser und leeren die ersten Chratten auf dem Tisch aus. Jetzt startet das grosse Sortieren: die ganz Schönen in die 1.-Klasse-Schachtel, solche mit kleinem Makel in die 2. Klasse. Das sind dann die Kirschen für Konfitüre oder Kuchen. Dann gibt es noch eine 3. Klasse fürs Fass. Daraus lassen wir unseren Schnaps brennen. Die Faulen kommen in den Kübel für den Mist.

Meistens sind es vier Pflücker und vier bis fünf Personen, die sortieren. Sie haben am Mittag alle Hunger und werden von uns am grossen Familientisch verpflegt. Ich mag es, wenn der Tisch voll ist und ich in den grossen Töpfen kochen kann. Es ist immer sehr familiär und gesellig! Aber heute bin ich, wie vorher schon beschrieben, nicht beim Mittagessen dabei, sondern renne beim Chriesi-Sturm!

Drei bis vier Wochen Kirschenerntezeit

Nach dem Mittag bin ich zurück und kann mich nun um Kundenbestellungen und den Verkauf kümmern. Auch beim Sortieren helfe ich mit. Von morgens bis abends geht es in diesen Tagen nur ums Chriesi. Das mag eintönig erscheinen, ist es aber nicht. Die Tage vergehen schnell. Da wir die Kirschen alle ab Hof verkaufen, kommt immer wieder Kundschaft und da gehört auch mal ein Schwatz dazu. Eine gute Ernte dauert so drei bis vier Wochen, manchmal auch mit Reifepausen dazwischen.

Betriebsdaten

Franz und Andrea Iten
Bröchli 5
6317 Oberwil bei Zug
Betriebsgrösse: knapp 17 Hektar
Betriebszweige: Milchwirtschaft, Obstbau, Direktvermarktung
Tiere: Braunviehkühe und Kälber, Hühner, Ziegen, Enten, Hasen, Hofkatze Filu
Kulturen: Kunst- und Naturwiesen, Silomais, 150 Hochstammbäume aller Art, Kirschen- und Apfel Niederstammanlagen, Zwetschgen, Birnen, Pfirsiche, Pflaumen, Feigen, Trauben, Edelkastanien, Indianerbananen …
Arbeitskräfte: Betriebsleiterpaar mit Lehrling. In der Chriesi-Zeit: Erntehelfer aus der Familie und Nachbarschaft

Die Kirschessigfliege macht die Kirschen ungeniessbar

Was in diesem Jahr aber klar wird: Die Kirschessigfliege ist sehr aktiv! Unsere Hochstammbäume wurden mit den erlaubten Pflanzenschutzmitteln behandelt, können aber dem grossen Druck des 2011 importierten winzigen Schädlings kaum standhalten. Praktisch alle Kirschen sind «verstochen». Die Kirschessigfliege sticht in die reife Frucht, legt das Ei ab und wenige Tage später ist ein kleiner Wurm sichtbar und macht die Kirsche ungeniessbar.

Einfach gruusig! Für uns ist klar, dass wir uns nun auf die 30 Aren grosse Kirschenanlage konzentrieren. Sie ist eingenetzt und damit besser geschützt. Dieser Schutz ist aber nicht 100-prozentig, denn wir müssen das Netz beim Betreten und Verlassen der Anlage anheben. Das reicht dem Schädling, um sich auch Zugang zu verschaffen. Wir müssen ständig auf der Hut sein, um die Qualität zu sichern.

Lange Tage während der Kirschenernte

Um 16:30 Uhr kommen die Pflücker aus der Anlage und wir machen eine kleine Pause mit einer wohlverdienten Glace oder einem kühlen Bier. Für uns Verleser geht es dann noch weiter, denn alle Chratten wollen geleert sein. Franz und Dominik gehen in den Stall, um zu melken und später die Kühe wieder auf die Nachtweide zu lassen. Es ist 18:15 Uhr, als wir mit den Kirschen fertig sind. Ich gehe in die Küche, um das Nachtessen vorzubereiten. Unsere lieben Helfer verabschieden sich für heute.

Ist das Nachtessen weggeräumt und das Menü für den anderen Tag festgelegt, liegen vor mir noch fünf Kilo Kirschen, welche ich entsteinen und einfrieren will, damit ich in ruhigeren Zeiten Konfitüre für den Hofladen machen kann. Und so geht der erste Chriesi-Tag dann langsam, aber sicher zu Ende.

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Neben dem Handel mit Rohstoffen oder Tourismus sind Luzern und Zug auch für landwirtschaftliche Produkte bekannt. Doch wie geht es den Bauern hier, welche Sorgen und Hoffnungen haben sie? Monatlich erzählt hier ein anderer Bauer aus seinem Alltag.
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