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Endstation Absinth

(Bild: cf)

Der Barkeeper über grüne Feen, Piraten und vermeintlich trinkfeste Halbasiaten.

Die Wellen brechen sanft und monoton vor den Türen des Storchens. Die Gäste liegen in Hängematten und schlürfen ihre exotischen Cocktails aus überdimensionierten Strohhalmen. Schlangen, Papageien und andere Kreaturen haben sich unters Volk gemischt. Ein lieblicher, schläfriger Dunst liegt über der Altstadt. Noch ahnt niemand das drohende Ungemach. Später am Tage wird dem herrschenden Frieden abrupt der Riegel geschoben. Piraten mit schweren Ohrringen, mit Goldschmuck beladen, unrasiert und mit furchteinflössendem Antlitz werfen den Anker vor Luzern und erschüttern mit ihrem diabolischen Gelächter die Grundfesten der Leuchtenstadt…

Dies ist eine Passage aus dem Tagebuch eines Absinth trinkenden Luzerners aus dem 19. Jahrhundert, dessen Werk ich auf dem Flohmarkt erstanden haben… Nein, natürlich nicht. Aber in etwa so stelle ich mir die verworrene Wahrnehmung bei übermässigem Absinth-Konsum zu dieser Zeit vor.

Der Absinth hat sich seit seiner Re-Legalisierung im Jahre 2005 (1915 wurde er wegen der anscheinend schädlichen Wirkung verboten) zu einem wahren Kult-Getränkt gemausert und schon so manchen starken Mann in die Knie gezwungen. (Ein vermeintlich trinkfester Halb-Asiate schlief nach seinem sechsten Glas einst gute zwei Stunden auf dem WC des Storchen.) Ich schreibe bewusst Mann, da ich seit meiner Tätigkeit an der Bar noch keiner Dame eine grüne Fee ausgeschenkt habe. Schade eigentlich.

Der Absinth ist durch und durch eine Schweizer Erfindung und wurde erstmals historisch belegt im 18. Jahrhundert im Val de Travers (Kanton Neuenburg) als Heilelixier hergestellt. Hauptzutaten sind Anis, Fenchel, Zitronenmelisse, Ysop und pontischer Wermut. Aufgrund des psychoaktiven Inhaltsstoffes Thujon war der Absinth damals gerade bei Künstlern und Literaten hoch im Kurs. Zu den bedeutendsten Trinkern gehörten untern anderen Vincent van Gogh, Ernest Hemingway (wobei der eigentlich alles trank), Arthur Rimbaud, Edgar Allan Poe oder auch Oscar Wilde.

Doch nun genug der Information. Auf die Idee, Absinth zu bestellen, kommen die Menschen in der heutigen Zeit komischerweise erst spät am Abend (im 19. Jahrhundert war er als Nachmittagsgetränk populär – könnte mal endlich einer diese Zeitmaschine erfinden!?), wenn der Pegel ansonsten schon Hochwasseralarm auslösen würde. Es scheint fast, als müsse man sich den nötigen Mut antrinken, um die Hürde Absinth zu überspringen. Zu recht! Denn dieses finale Anis-Gesöff endet meist in einem fatalen Fiasko. So erlebt auch von meiner Wenigkeit vor Wochenfrist.

Leider sah ich dabei keine Feen. Grüne schon gar nicht. Nur ein um Jahre gealterter Mann im Spiegel, für den gar Treppensteigen zur existenziellen Erfahrung wurde. (Da soll mir einer sagen, er freue sich aufs älter werden.) Das psychoaktive Element des Absinth-Trips blieb mir jedoch vorenthalten.
Als ich mich aber am nächsten Morgen zur Arbeit aufmachte, standen die Schlangen bereits am Tresen, die Papageien quatschten um die Wette und vor der Tür sass ein glatzköpfiger Pirat mit schweren Ohrringen am Tischchen und grinste in die Welt hinaus.     

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Über Bars und Restaurants wurde schon viel geschrieben. Doch stets aus der Perspektive des Gastes. Dieser Blog ist anders. Gänzlich aus der Optik des Barkeepers verfasst, eröffnet er den Lesenden einen bunten Einblick in das Leben zwischen Zapfsäule und Kaffeemaschine. Ein Leben in der Schnittmenge von flüssigem Glück und seelischen Abgründen.
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