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Bei Hochhausprojekten in Wien sind Luzerner Architekten als Experten gefragt

Wien zeigt, was bald schon auf Luzern zukommen könnte

Von Friedrich Achleitner 1964 als eine Masse ohne Mass bezeichnet: Das Hotel Intercontinental in Wien.

(Bild: Gerold Kunz)

Die Debatte um ein Hochhaus am Heumarkt in Wien hat Kritiker und auch die Unesco auf den Plan gerufen. Architekt Christoph Luchsinger vom Luzerner Büro Bosshard & Luchsinger Architekten AG erzählt über seine Rolle in diesem hochemotionalen Prozess.

Neue Hochhäuser sind Sprengstoff in der Diskussion um Städtebau. Gegen sie lässt sich eine breite Bevölkerung mobilisieren. Einmal gebaut, verlieren sie oft die ihnen attestierte Bedeutung. Sei es, dass bei uns Hochhäuser selten an exponierten Lagen entstehen oder dass ihre Grösse der Bezeichnung nicht wirklich gerecht wird. Im Stadtbild können Hochhäuser dennoch einen Auftritt haben. In den kommenden Jahren wird in Luzern der Ersatzneubau für das Spital zu reden geben, wenn die Betreiber an den Plänen für ein Hochhaus festhalten. Ein Blick nach Wien zeigt, was vielleicht schon bald auf Luzern zukommen könnte.

Als eine «Masse ohne Mass» bezeichnete 1964 Friedrich Achleitner, der bedeutendste Wiener Architekturkritiker unserer Zeit, abschätzig den Neubau des Hotels Intercontinental im Herzen der Stadt Wien. Nun rufen besorgte Wiener zum Widerstand gegen den Neubau eines Hochhauses auf, das auf eben diesem Heumarktareal entstehen soll und die Höhe des «Interconti» (45 m) um 21 m übertreffen soll. Offenbar hat Achleitners Kritik der Städtebaupolitik auch fünfzig Jahre später nichts an Aktualität eingebüsst. Dem Ringstrassenareal drohe eine Öffnung für spekulative Neubauten, schreiben die Kritiker in der Online-Petition, die auch von Achleitner unterzeichnet wurde.

Neue Hochhäuser sind Sprengstoff in der Diskussion um Städtebau.

Der Luzerner Architekt Christoph Luchsinger ist mit der Fragestellung vertraut. Er hat mit dem Ableger von Bosshard & Luchsinger in Wien und in seiner Funktion als Professor an der TU Wien aktiv Einblick in den Prozess erhalten. Im Interview erzählt er über seine Rolle in diesem hochemotionalen Prozess.

Gerold Kunz: Sie sind Gutachter in Sachen Hochhausneubau beim Heumarkt in Wien. Was ist Ihre Aufgabe?

Christoph Luchsinger: Ich bin im vorliegenden Fall nicht Gutachter, sondern Vermittler. Ich war erstmals 2012 im kooperativen Verfahren in einem von drei Teams mit dabei. Das Verfahren war sehr aufwendig, insbesondere waren viele Experten versammelt. Es entstanden geschätzte 80–100 Varianten für eine städtebauliche Lösung. Ziel war es, Grundlagen für einen Realisierungswettbewerb zu erarbeiten.

Aus dem Verfahren gingen keine Sieger, sondern Inputs hervor, die dann in ein städtebauliches Leitbild überführt wurden, aufgrund dessen ein Projektwettbewerb stattfand. Sieger war der brasilianische Architekt Isay Weinfeld. In der Folge, seit 2014, wurde das Projekt in Abstimmung mit der Stadt Wien weiterbearbeitet.

Nachdem die verantwortliche Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Frühjahr 2016 aufgrund wachsenden Widerstands seitens der Basis ihrer Grünen Partei und vor allem auch aus Fachkreisen eine «Nachdenkpause» verordnete, wurde unser Wiener Büro damit beauftragt, zusammen mit Christof Schremmer vom Österreichischen Institut für Raumplanung einen Vermittlungsprozess zu leiten.

Dieses Mandat ging auch darum an uns, weil wir das Hochhauskonzept für die Stadt Wien – ein Fachkonzept im Rahmen des Stadtentwicklungsplans 2025 (STEP 2025) – erarbeitet hatten, übrigens zeitlich parallel zum Projekt am Heumarkt.

Kunz: War das ein freies Mandat oder hatte es mit Ihrer Professur an der TU Wien zu tun?

Luchsinger: Es lässt sich schwer zwischen freiem Mandat und Professur an der TU Wien unterscheiden – der Vermittlungsauftrag lief über das Büro, aber logischerweise hat meine Funktion als Professor die Wirkung einer wissenschaftlichen Abstützung.

Kunz: Gegen das Hochhaus wird Stimmung gemacht. Es wurden Podien veranstaltet. Eine Petition wurde lanciert. Sind Sie in diese Debatte involviert?

Luchsinger: Das Projekt hat tatsächlich ein enormes Echo ausgelöst und ist nach wie vor Gegenstand heftigen Gezerres, täglich, in allen möglichen Formaten. Es gab selten so viele Beiträge in den Medien wie bei diesem Projekt. Selbstverständlich bin ich in diesen Debatten involviert. Weil ich als Moderator funktionierte, habe ich mich jedoch immer aus einer Bewertung des Projektes herausgehalten und werde das auch weiterhin tun.

Die Gründe für die Auseinandersetzung sind sehr vielschichtig, es würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, sie abzubilden. Aus meiner Sicht treffen sehr unterschiedliche politische Interessen in der Diskussion aufeinander.

«Teile der Fachöffentlichkeit und der Kulturszene reagieren ablehnend, weil sie sich unfreiwillig im Spiegel ihres stadtpolitischen Versagens wiedererkennen.»

Verschiedene Öffentlichkeiten benutzen das Projekt für eine Investorenschelte, weil sie mit dem rasanten Wachstum der Stadt Wien und den damit verbundenen Ungleichheiten nicht zurechtkommen. Partikularinteressen spielen dabei überall hinein.

Kunz: Der Standort wird als ungeeignet betrachtet, da die Perspektive vom Belvedere auf die Stadt beeinträchtigt werde. Wie sehen Sie das?

Luchsinger: Natürlich wird die Perspektive vom Belvedere aus auf die Stadt verändert. Aber was heisst hier Beeinträchtigung? Das ist eine Frage städtebaulicher und stadtentwicklungsrelevanter Einschätzungen und ist deshalb Gegenstand von Abwägungen. Die Gegner reden und schreiben ähnlich wie die frühen Romantiker, die sich gegen die sich abzeichnende Industrialisierung zur Wehr setzten nach dem Motto: Früher war alles besser.

Kunz: Die UNESCO macht die Sache zur Schicksalsfrage. Sie droht Wien den UNESCO-Welterbe-Status abzusprechen. Ist diese Haltung gerechtfertigt?

Luchsinger: Diese Frage muss die UNESCO selber beantworten und begründen. Die bisherigen Argumentationen waren dürftig – es geht bei der UNESCO bzw. ICOMOS (International Council on Monuments and Sites, der die UNESCO fachlich berät) allein um die Höhenentwicklung und leider nie um die Aufwertung des Areals. Das ist aus meiner Sicht schon sehr problematisch.

«Auch die Welterbe-Organisation der UNESCO sieht sich in Gefahr, weil ihr die Felle davonschwimmen.»

Wenn einerseits grossartige Denkmäler wie Palmyra mutwillig zerstört werden, andere grossartige Denkmäler in Italien Erdbeben zum Opfer fallen oder schlicht so vernachlässigt werden, dass sie abgehen, ist es selbstverständlich ein Risiko, den «Kulturpolizisten» gegenüber einer Stadt wie Wien zu spielen, einer Stadt, die wie kaum eine andere für höchste kulturelle Qualität steht. Das weiss auch die UNESCO, und sie reagiert entsprechend nervös und schulmeisterlich.

Die Haltung, Wien den Welterbe-Status abzusprechen, ist aus meiner Sicht überhaupt nicht gerechtfertigt, zumal gerade ICOMOS als Vor-Ort-Experte im Auftrag der UNESCO nie zu einer offenen Diskussion bereit war. Die UNESCO muss das Verhalten des ICOMOS kritisch hinterfragen, sowohl das der Landesgruppe als auch das der gesamten Organisation bzw. der Organisation an sich.

Kunz: Wien ist eine Weltstadt. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Hat der Entscheid negative Folgen für den Tourismus?

Luchsinger: Der Tourismus ist nicht abhängig vom UNESCO-Status, das wird von allen Tourismusexperten und -verantwortlichen unterstrichen und in Dresden, wo der Status abgesprochen wurde, bereits vorgeführt. 

Kunz: Wirkt die Hochhausdebatte über die Stadt hinaus oder sind vorwiegend lokale Akteure involviert?

Luchsinger: Die Hochhausdebatte geht insofern über die Stadt Wien hinaus, als sie die Bundespolitik beeinflusst, das hat aber vor allem mit dem gegenwärtigen Zustand der Parteienlandschaft zu tun.

Ich bin als Gutachter auch für ein Hochhausprojekt in Linz tätig. Dort laufen die Diskussionen vollkommen anders als in Wien – also auf der Ebene des Städtevergleichs spielt die Wiener Hochhausdiskussion eine eher untergeordnete Rolle. Hingegen dürfte die UNESCO-Debatte durch das Wiener Heumarktprojekt national und international an Fahrt aufnehmen; immerhin stehen von insgesamt 1’052 Welterbestätten 55 auf der ominösen Roten Liste. Als nächste könnten Venedig, Liverpool und eben Wien auf diese Liste geraten, nicht gerade kulturelle Leichtgewichte.

Kunz: Das Projekt hat Veränderungen erfahren. Haben diese das Projekt auch verbessert oder sind es Konzessionen, um den Widerstand zu mindern?

Luchsinger: Klar hat sich das Projekt verbessert, in verschiedener Hinsicht. Im Fachkonzept Hochhaus haben wir für den Bereich der konsolidierten Stadt die Möglichkeit von Hochhausentwicklungen immer unter dem Aspekt einer moderaten Akzentuierung spezifischer Situationen empfohlen, d.h. verhältnismässige Höhenentwicklungen in Abstimmung mit den baulichen und freiräumlichen Konfigurationen. Diesbezüglich hat das Projekt sehr viel gewonnen, ebenso auf der Ebene der öffentlichen Mehrwerte, der kulturellen Nutzungen und weiterer Aspekte.

Insgesamt hat das Projekt die Wiener Stadtentwicklungsdiskussion und die Diskussion um qualitativen Städtebau extrem befeuert. Ich bin dankbar, mitten in diese Auseinandersetzung geraten zu sein. Es geht um sehr grundsätzliche Richtungsentscheide, wer in Wien in welcher Form in Zukunft Städtebau beeinflusst und steuert, wobei wohl nach traditioneller Wiener Manier am Ende kein eindeutiger Befund herauskommt, sondern eher so etwas wie «schaun wir mal».

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