Links oder rechts?

Was für die Politik gilt, macht auch vor der Stadt nicht halt. Städte lassen sich in links und rechts unterteilen. Die Bedeutung Berlins gründet bis heute in der Unterscheidung zwischen West- und Ostberlin. Die zunehmende Faszination Istanbuls liegt in der Zugehörigkeit zweier Kontinente, Europa und Asien. Und in Paris ordnen wir der «rive gauche» den Intellekt und der «rive droite» die Geschäftstüchtigkeit zu.

Auch Luzern lässt sich in eine rechte und eine linke Seite unterteilen. Die Fliessrichtung der Reuss gibt die Zuordnung vor. Diese Zuteilung hat auch im Stadtgrundriss ihre Spuren hinterlassen. Wichtige Stadterneuerungsprojekte stehen auf der linken Seite an. Was mit dem Bau des KKL Luzern und dem Siedlungsprojekt «Wohnen im Tribschen» einen Anfang nahm, wird mit aktuellen Projekten an der Industriestrasse, beim Hallenbad und bei der ZHB fortgesetzt.

Die Intensität der Debatten hat sich in den letzten Jahren eindeutig auf die linke Stadtseite verlagert, während die rechte Seite als ruhender Pol wirkt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war dem nicht so. Ende der 1950er Jahre protestierten Stadtkritiker gegen den Abbruch des Lessinskihauses an der Kramgasse, in den 1970er Jahren engagierten sich fortschrittliche Architekten für die Gestaltung der öffentlichen Räume in der Altstadt und noch in den 1990er Jahren für den Erhalt der Zeugheersäle beim Schweizerhof.

Die politische Agenda wird gegenwärtig besetzt mit Themen, die das linke Ufer von Luzern betreffen: Boa, Südpol, Tieferlegung des Bahntrassees, Allmendhochhäuser, Zukunft der ZHB, Industriestrassenareal, Hallenbadzwischennutzung, Langsamverkehrsache, Südzubringer etc. etc. Die Bilanz für das rechte Ufer ist hingegen mager.

Noch hält uns die Entwicklung auf der linken Seite in Atem. Die Verlagerung des Nachtlebens und innovativer Kleingeschäfte ins Hirschmattquartier haben zu einer Belebung des vor hundert Jahren angelegten Stadtquartiers beigetragen. Vielen ist die Neustadt der Inbegriff des Urbanen. Sie wünschen sich Stadterweiterungen nach dem Vorbild der Neustadt. Dieser Wertewandel führt zu neuen Begehrlichkeiten, weshalb das linksufrige Luzern zum umkämpften Gebiet wird.

Mit der Vorlage der Tourismuszone beginnen sich nun aber die Gemüter rechts der Reuss zu regen. Ein Vorbote anstehender städtebaulicher Veränderungen? Angesichts der Heftigkeit des Widerstands gegen die Tourismuszone stehen die Eigentümer im Verdacht. Ein Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre zeigt ein sich stark wandelndes Gebiet entlang der Haldenstrasse. Einfamilienhäuser weichen städtisch dimensionierten Gebäudekörpern. Auch hier ist ein Stadtumbau im Gang. Es werden Verdichtungsprojekte realisiert, scheinbar ohne grosse Kontroversen auszulösen.

Den Entwicklungen gemeinsam ist: Alle wollen sich lieber in der Kernstadt einnisten als zum Beispiel in Luzern Süd, eines im Werden begriffenen Stadtquartiers. Vielen Akteuren ist nicht bewusst, dass gerade sie einen wichtigen Beitrag zur qualitätsvollen Entwicklung dieses Stadtquartiers leisten können. Das gesellschaftspolitische Kräftemessen wird leider regelmässig auf dem Buckel der historischen Stadt ausgetragen. Die Aufgabe der Stadtplanung hat hier mit Mediation zu tun. Ziel muss sein, den Prozess als Umbewertung der Stadt zu erkennen und die Protagonisten an ihre Verantwortung zu erinnern, die sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung inne haben.