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Gerold Kunz in Chicago

Auf der Naturspur

Aqua Tower

(Bild: Gerold Kunz)

Das Erbe der Baukultur kann in Chicago auch belastend wirken. Wie es sich aus dem Schatten der grossen Architektennamen treten lässt, macht das Studio «Gang» vor. Mit ihrem aktuellen Projekt der University of Chicago Campus North Residence Hall lassen sich Ähnlichkeiten zum Unihauptgebäude in Luzern erkennen.

Das Studio Gang versteht sich als ein Architekturbetrieb mit unterschiedlichen Akteuren. Dennoch ist in den Arbeiten ein gemeinsames Interesse an Naturformen zu erkennen. Damit tritt das Büro in die Nachfolge Louis Sullivans, der schon den jungen Frank Lloyd Wright mit seinen virtuosen Ornamenten in den Bann gezogen hatte.

Auf das «urban re-newal» der Nachkriegsjahre folge in Chicago ein «urban re-rural», sagt die engagierte und erfolgreiche Architektin Jeanne Gang, Gründerin des Studio Gang, auf einem Rundgang durch ihr Büro, das sie in einem stillgelegten Bankgebäude eingerichtet hat.

Sie erklärt am Projekt der Academy for Global Citizenship, was sie darunter versteht: Die von ihrem Büro geplante Schule ist gleichzeitig ein Hof, auf welchem Gemüse angebaut und Tiere gehalten werden. Die Architektur ist so ausgelegt, dass die Dächer für Sonnenenergiegewinnung genutzt werden können. Aus den zweigeschossigen Bauten schweift der Blick über die Gemüsegärten, in welchen die Kinder unterrichtet werden, mit dem Ziel, die vielgestaltigen Formen der Beziehung zwischen Mensch und Natur zu erkennen.

Natur als Vorlage

Auch die Architektur des Studio Gang folgt dieser Recherche. Der Natur entnommene Formen geben ihren Gebäuden Kontur. Grosses Aufsehen hafte die Architektin 2010 mit der von ihr gestalteten Fassade des 82-geschossigen Aqua Towers in Chicago erhalten. Die umlaufenden Betonplatten sind frei verformt und erinnern beim Blick von unten an eine unberührte Landschaft. Das Gebäude kann als ein erstes sichtbares Zeichen für ihre Idee des «urban re-rural» gelten, in der Zwischenzeit sind weitere Gebäude entstanden, die mit der Formensprache der Natur spielen.

Im Lincoln Park hat das Büro einen Weg um einen Teich neu ausgelegt und mit einem Pavillon verbunden. Der aus Holz bestehende Unterstand besticht durch die Wellenform der Konstruktionselemente. Die Linien formen sich zu einem Schildkrötenpanzer, unterstützt von den Kunststoffkuppeln, die zwischen die Aussparungen gesetzt wurden. Und in Glencoe, nördlich von Chicago, hat das Büro das Writers Theatre gebaut, einen aus mehreren Gebäudevolumina gebildeten Gebäudekomplex, dessen äussere Erscheinung von einem filigranen Holzstabwerk geprägt wird.

«Die North Residence Hall kommt im Gestaltungskonzept der Fassade der Universität Luzern nahe.»

Im Hyde Park, dem Sitz der Chicagoer Universität, stehen gleich zwei grosse Überbauungen vor der Vollendung: Der Gebäudekomplex City Hyde Park und die University of Chicago Campus North Residence Hall, die als Eingangstor zum Universitätsgelände ausgelegt wurde. Insbesondere bei der North Residence Hall, die im Gestaltungskonzept der Fassade der Universität Luzern nahekommt, zeichnen feine, im Bogen ausgelegte Linien die Fassade. Bei diesem Bau scheint die Verwandtschaft zu Sullivans Ornamenten nicht nur gesucht, sondern auf eine neue Ebene übertragen worden zu sein. Die geschwungenen Linien geben dem 15-geschossigen Gebäude eine sanfte Erscheinung und einen menschlichen Massstab.

Impulsgeber

Einen wichtigen Impuls hat das Studio Gang vom McCormick Tribune Campus Center am IIT bekommen. Das Büro fungierte als das lokale Kontaktbüro für Rem Koolhaas/OMA, bei dem Jeanne Gang gearbeitet hatte. Während in den aktuellen Arbeiten wenig vom Einfluss von OMA zu spüren ist, lassen sich Bauten wie das Columbia College Chicago Production Media Center von 2010 stark vom Koolhaas-Gebäude herleiten.

In den jüngsten Bauten hat das Studio seine eigene Handschrift gefunden. Das Interesse an gesamtgesellschaftlichen Aspekten teilt Jeanne Gang weiterhin in ihrer Arbeit mit OMA. Das Projekt «Polis Station», für die Chicago Architecture Biennial 2015 entworfen, macht die gesellschaftspolitische Haltung des Büros sichtbar.

Angesichts der anhaltenden Unzufriedenheit mit der Chicagoer Polizei schlägt Studio Gang vor, aus den Polizeistützpunkten Orte des Vertrauens zu machen, indem daran weitere öffentliche Einrichtungen angedockt werden. Der Vorschlag sieht sich nicht nur als Idee zu einem Biennale-Beitrag, sondern fokussiert nationale Politik und soll weit über Chicago hinaus zur Inspiration anregen. So wird aus dem Impulsnehmer ein Impulsgeber.

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