Architektur in Gefahr?
Vorurteile gegenüber Nachkriegsbauten sind schnell zur Hand, wenn die Suche nach Lösungen schwierig und arbeitsintensiv ist. Die noch junge IG Baukultur der Moderne Zentralschweiz debattiert nun mit Behörden und Fachleuten über deren Umgang. Aktuelle Fallbeispiele gibt es genügend.
Die IG Baukultur Zentralschweiz hat die öffentliche Diskussion über den Umgang mit Bauzeugen aus der Moderne eröffnet. In einem Faltblatt präsentiert sie hundert Bauten, die zwingend zum kollektiven Gedächtnis zählen müssen. Überschrieben mit dem etwas irreführenden Titel «Baukultur in Gefahr» sind im Verzeichnis auch einige geschützte und vorbildlich renovierte Bauten dieser Epoche aufgeführt, darunter auch die ZHB Luzern, die nach langem Ringen nun endlich umgebaut wird. Die angekündigten Abbrüche des Gewerbegebäudes Tribschen, des Schulhauses Grenzhof, beide in Luzern, und des Altersheims Grossfeld in Kriens vor Augen, macht der Schlachtruf dennoch Sinn: Gefahr droht diesen Bauten insbesondere wegen ungenügender Wertschätzung, was die IG Baukultur nun öffentlich diskutieren will.
Das rasante Tempos des Stadtumbaus und die erhöhten Ansprüche an energetische Optimierung setzen die Bauten der Moderne unter Druck. Wegen ihrem Innovationsgehalt sind diese Zeugen oft Pionierbauten, an denen neue Techniken erprobt oder neue Gestaltungskonzepte in den Raum Zentralschweiz eingeführt wurden. Das Gewerbegebäude von 1933 beispielsweise folgt den fünf Punkten Le Corbusiers, die er wenige Jahre zuvor in Paris entwickelte. Das Grenzhofschulhaus von 1967 führt die in Chicago von Mies van der Rohe entwickelten Gestaltungsprinzipien der 1950er Jahre früh in Luzern ein. Und im Altersheim Grossfeld von 1968 findet der von England geprägte Brutalismus eine frühe Ausprägung, zu einer Zeit, als sich dieser Baustil allmählich als globale Architektursprache etablierte.
Mit Stolz kann die Zentralschweiz auf die Bauten ihrer Pioniere zurückblicken. Sie demonstrieren Offenheit gegenüber neuen Gestaltungen und ein Bewusstsein für Aktualität. Offenbar waren die Zentralschweizer Architekten der damaligen Zeit über die Bauentwicklung in Europa und in den USA gut informiert. Ihre Bauten haben wenig mit einer bodenständigen und sich auf nationale Traditionen berufende Zentralschweizer Kultur zu tun, weshalb sie gut in die heutige Zeit passen. Denn die Anforderungen an das Bauen haben sich kaum verändert.
Hier setzt die IG Baukultur der Moderne an. Sie schafft ein Forum, in welchem der Stellenwert der Moderne für das gesellschaftliche Selbstverständnis zur Diskussion gestellt wird. Ihre Auswahl mag mit vielen Fragezeichen versehen werden, als Diskussionsgrundlage ist sie wichtig. Dass sich Architektinnen und Architekten aus den Berufsverbänden BSA, SIA und SWB und aus dem Heimatschutz zu dieser Initiative zusammenschlossen, ist ihnen hoch anzurechnen.
Zu hoffen ist, dass sich die Botschaft nicht nur an die breite Öffentlichkeit richtet, denn auch unter Berufsleuten gilt es zu diskutieren. Vorurteile gegenüber Nachkriegsbauten sind schnell zur Hand, wenn die Suche nach Lösungen schwierig und arbeitsintensiv ist. Auch hallen aus den Boomjahren viele teilweise unqualifizierte Vorurteile zur zeitgenössischen Architektur der Epoche nach. Damals galt es, die Stadt vor der Agglomerisierung zu retten.
Das Geschäftshaus am Kapellplatz in der Altstadt von Luzern, gegenwärtig im Abbruch, trägt sogar das Prädikat eines störenden Objekts, ein heute problematischer Begriff. Es teilt diese unschmeichelhafte Auszeichnung mit weiteren, mittlerweile zeugenhaften Bauten. Die Grabenpost oder das Concordia Gebäude am Bundesplatz zählen hier dazu. Ein Parkhaus Kesselturm, ebenfalls ein sogenanntes störendes Objekt, vermag vielleicht wegen seiner Nutzung und dem Standort am Rande der Kleinstadt noch heute zu polarisieren. Wer den Zweckbau hingegen vom Hirschgraben aus betrachtet, kann an dieser Architektur schon jetzt städtebauliche Qualitäten erkennen.
Die Veranstaltung findet statt am 20. September 2018 um 18.30 Uhr im Roten Haus auf dem ewl-Areal Luzern.