Sanierung von Schiessanlagen kommt nicht voran

Bitte keine Erde essen

Die Sanierung der Anlage Neuenkirch-Hellbühl im Mai 2014 (Bild: uwe)

Über hundert Schiessanlagen im Kanton Luzern müssen saniert werden. Bei einigen besteht sogar höchste Dringlichkeit. Doch verschiedene Gemeinden lassen die Fristen des Kantons schon seit Jahren verstreichen, selbst wenn dabei das Grundwasser gefährdet wird.

400 Tonnen Blei werden derzeit aus den alten Schiessanlagen der Luzerner Allmend entfernt. Verursacht durch fast 150 Jahre Schiessbetrieb. 550 Lastwagen mit verseuchter Erde müssen dabei abtransportiert werden. Diese Arbeiten sind jedoch nur der Anfang, wenn man sich vor Augen führt, wie viele sanierungsbedürftige Schiessanlagen im Kanton noch bestehen.

Insgesamt gibt es im Kanton Luzern über hundert 300 Meter-Schiessanlagen und 45 Kurzdistanz-Anlagen. Wie Recherchen von zentral+ zeigen, sind bei den 300 Meter-Anlagen  82 noch sanierungsbedürftig. Bei der Kurzdistanz harren noch 36 einer Anpassung an die gesetzlichen Vorschriften. Gerade einmal 22 Anlagen wurden bis dato saniert.

Schwammige Vorgaben des Bundes

Das Bundesamt für Umwelt schreibt vor: Wenn Grundwasser, Gewässer oder Boden gefährdet sind, muss der Standort saniert werden. Bei Grundwasser und Gewässer gibt der Bund klare Zeitvorgaben für die Sanierung vor. Aber: «Die Vorgaben in Bezug auf stillgelegte Anlagen ohne Gewässergefährdung sind hingegen relativ schwammig», so Andy Lancini, Verantwortlicher Deponiebetrieb und -nachsorge beim Amt für Umwelt und Energie des Kantons Luzern. Bei einer Sanierung wird der Boden hinter und rund um die Scheiben abgetragen und gereinigt.

«In Hitzkirch verlangen wir bereits seit 2012 ein Sanierungsprojekt.»
Andy Lancini, Veranwortlicher Deponiebetrieb und -nachsorge

«Der Kanton legt die Sanierungsfrist anhand der Dringlichkeit fest.» Danach sei die Stadt, beziehungsweise die Gemeinde für die Planung und die Realisation zuständig, erklärt Stefan Herfort, Projektleiter der Sanierungen auf der Allmend.

Gemeinden ignorieren Gefährdung

Lancini bestätigt dies. «Bei Anlagen mit einer möglichen Gewässergefährdung können wir zwar Abklärungen verlangen, jedoch nicht direkt eine Sanierung.» Es ist daher für den Kanton kaum möglich die Gemeinden für eine Sanierung unter Druck zu setzen. Ein Fakt, welcher sich bei uneinsichtigen Gemeinden schwierig gestaltet: «In Hitzkirch verlangen wir bereits seit 2012 ein Sanierungsprojekt. Die Anlage Müswangen hat derzeit höchste Priorität. Es handelt sich um eine Schutzzone mit einer Quelle und damit eventuell um eine Grundwassergefährdung», erklärt Lancini.

Bisher zeige die Gemeinde jedoch keine Anstalten, diese Sanierungen in Angriff zu nehmen. Man sei aber zuversichtlich, dass es bald zu einer Lösung komme.

Bis 200’000 Franken pro Anlage

Problematisch könnte bei Hitzkirch die Finanzierung der Sanierungsarbeiten sein, nach der Fusion mit sechs anderen Gemeinden im Jahr 2009. David Widmer, Fachleiter Boden weiss: «Eine Sanierung kostet bei 300 Meter-Anlagen ungefähr 20’000 bis 25’000 Franken pro Scheibe.» Eine Anlage habe durchschnittlich acht Scheiben. Damit komme man pro Anlage auf 160’000 bis 200’000 Franken für eine Sanierung, rechnet Lancini vor und ergänzt: «Dieser Betrag pro Scheibe beinhaltet alle Kosten, von der Abklärung bis zum Bagger.»

Jährlich mehr Blei

In der Schweiz gibt es rund 4'000 Schiessanlagen. Diese Anlagen enthalten insgesamt mehrere zehntausend Tonnen Blei und andere Schwermetalle aus dem Schiessbetrieb. Jedes Jahr gelangen zudem etwa 200 Tonnen zusätzliches Blei in die Kugelfänge. Das Schiessen verursacht somit heutzutage den grössten Eintrag von Blei in die Schweizer Umwelt, mehr als doppelt so viel wie Verkehr, Industrie und Gewerbe zusammen, schreibt das Bundesamt für Umwelt auf seiner Website.

Die Kosten müssen vor Beginn der Sanierung von Stadt oder Gemeinde vorgeschossen werden. Herfort: «Erst nach Abschluss des Kostentragungsverfahrens kommt es zum Zahlungsausgleich. Das heisst die verschiedenen Verursacher bezahlen ihre Anteile und die entsprechenden Mittel fliessen an die Gemeinde zurück.» Das Kostentragungsverfahren wird dabei ganz bewusst nach der Sanierung eröffnet. Sonst würde man durch die Verhandlungen über die Kostenverteilung gar nie mit einer Sanierung beginnen können.

Planmässige Sanierung der Allmend

Bei der alten Schiessanlage Allmend soll die Sanierung vier Millionen Franken kosten. Seit März 2013 laufen die Sanierungsarbeiten. Eine 6’500 Quadratmeter grosse Waldfläche des Bireggwaldes muss komplett gerodet werden. Teilweise muss dabei nicht nur Blei entfernt, sondern auch der ganze Boden gereinigt werden. Projektleiter Herfort ist trotzdem guter Dinge: «Die Hälfte ist bereits geschafft. Wir liegen damit gut im Zeitplan und werden die Sanierung wie vorgesehen bis Ende Jahr abschliessen können.» Die neue Indoor-Anlage für die Schützen wurde bereits eröffnet.

«Auf den ehemaligen Schiessplätzen der Allmend waren die Oberflächengewässer von Schadstoffeinträgen betroffen», erklärt Herfort. Dies könne gefährlich werden: «Wenn Schwermetalle in die Bäche gelangen, kann dies beispielsweise zu negativen Auswirkungen auf Wasserorganismen führen.»

Bitte keine Erde essen

«Auf einzelnen Teilflächen der ehemaligen Schiessplätze Allmend, die vor allem im Wald liegen, werden auch nach der Sanierung die heute geltenden Betretungsverbote aufrecht erhalten werden müssen. Es handelt sich um eine Sicherheitsmassnahme damit beispielsweise spielende Kleinkinder, die Erde essen, nicht gefährdet werden», so Herfort.

Die Sanierung der Anlage Neuenkirch-Hellbühl im Mai 2014

Die Sanierung der Anlage Neuenkirch-Hellbühl im Mai 2014

(Bild: uwe)

Tonnenweise Blei

Pro Jahr sollen im Kanton Luzern zukünftig ungefähr fünf Schiessanlagen saniert werden. Bei 118 Anlagen wären das noch mindestens 23 Jahre, bis alle Anlagen dekontaminiert sein werden. Bei der Sanierung einer durchschnittlichen Anlage mit acht Scheiben und ungefähr 80 Jahren Betrieb werden bis zu 10 Tonnen Blei entfernt. Hier gibt es jedoch grosse Unterschiede. «Eine Anlage wie die Allmend mit 400 Tonnen Blei ist natürlich nicht vergleichbar mit einer Anlage, in welcher ein kleiner Sportschützenverein ein paar Jahrzehnte geschossen hat», so Lancini.

Herfort merkt an, dass vor allem bei alten, mehrfach umgebauten Schiessanlagen die Gefahr bestehe, dass bei den Dekontaminationsarbeiten mehr Material entsorgt werden muss als ursprünglich gedacht. Auch in der Allmend war dies der Fall. «In der Vertikalen mussten wir stellenweise tiefer graben als gedacht.»

Stillegung abwarten

Sanierungsprojekte sind äusserst aufwändig. Die Sanierung könne zwar durchaus in einigen Tagen abgeschlossen sein. «Das ganze Sanierungsverfahren, inklusive Verteilung der Kosten, kann jedoch mehrere Jahre dauern», erklärt Widmer. Oftmals würden Anlagen dann erst nach der Stilllegung saniert. Lancini: «Ist nur das Schutzgut Boden betroffen und keine Gewässergefährdung vorhanden, können wir erst nach einer Stillegung von der Gemeinde eine Sanierung verlangen.»

Wo besteht Handlungsbedarf?

Doch jeder Fall muss erstmal einzeln beurteilt werden. Um einen sehr komplexen und aussergewöhnlichen Fall handle es sich bei Pfaffnau. Da ein grosser Teil der Anlage im Wald liegt und kein Gewässer gefährdet ist, wurde nach den Abklärungen 2009 nur für einen kleinen Teil ein Sanierungsbedarf festgestellt. «Da nun jedoch eine private Quelle für eine Käserei genutzt werden soll, würde ein Teil des Gebietes zur Grundwasser-Schutzzone und müsste dementsprechend saniert werden. Nun müssen Gemeinde und Käserei diesen Punkt ausdiskutieren», erklärt Lancini. Entweder die Gemeinde lässt die Anlage sanieren, oder die Käserei nutzt die Quelle nicht.

Die Anlagen Altishofen und Malters müssen hingegen nur überwacht werden. «Es müssen regelmässige Kontrollen des Wassers durchgeführt und an uns gemeldet werden.» In Langnau bei Reiden dagegen wurde der Schiessbetrieb bereits eingestellt. Lancini erklärt: «Diese Sanierung muss jetzt angegangen werden.»

Wie das Beispiel Hitzkirch jedoch zeigt, braucht es manchmal mehr als nur eine Aufforderung – sogar bei einer Gefährdung der Umwelt. Lancini: «Die Gemeinden sind nun am Zug.»

Warum wird’s gefährlich?

Bei den Schadstoffen handelt es sich im Wesentlichen um Blei und Antimon. Der Anteil an Antimon ist dabei viel geringer als derjenige an Blei. Nur zwei bis fünf Prozent der Gesamtlegierung bestehen daraus. Antimon ist aber giftiger und löslicher als Blei.

Die Belastungen von Schiessanlagen können das Grundwasser gefährden. Antimon ist sehr mobil und bereits geringe Gehalte im Trinkwasser sind für den Menschen gesundheitsgefährdend. Eine sofortige Sanierung ist dann angezeigt, wenn der Kugelfang in einer Grundwasserschutzzone liegt und die Trinkwassernutzung damit akut gefährdet ist. Neben dem Grundwasser kann in speziellen Fällen auch das Oberflächengewässer gefährdet sein.

Noch 23 Jahre bis zum Abschluss der Bleisanierungen. Genügen die Bemühungen? Diskutieren Sie jetzt mit.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon