Ex-Freundin wollte keinen Sex

Beschuldigter vor dem Kriminalgericht Luzern: «Für mich ist das keine Vergewaltigung»

Der Mann hat seine Ex-Freundin so lange gewürgt, bis sie ohnmächtig wurde. (Bild: Pixabay)

Ein Luzerner hat seine Freundin bei einem Streit fast getötet und dann gegen ihren Willen Sex mit ihr gehabt. Nachdem der 30-Jährige zunächst ein Geständnis ablegte, zeigt sich vor Kriminalgericht: Er ist weder einsichtig, noch versteht er, was er angerichtet hat.

Es ist eine Nacht im April 2018, die das Leben zweier Menschen für immer verändert. Die Mutter einer kleinen Tochter kommt nach Hause und findet ihren Ex-Freund in ihrer Wohnung vor. Er schläft in ihrem Bett und ist betrunken.

In dem Moment vibriert ihr Handy. Es ist ihr neuer Freund, der sie erreichen will. Der Betrunkene erwacht. Und ist rasend vor Eifersucht. Es kommt zum Streit. Plötzlich packt der Luzerner seine Ex-Freundin am Hals und drückt mit aller Kraft zu.

Die junge Frau bekommt keine Luft mehr. Ihr wird schwindlig, sie kann nichts mehr sehen. Als sie sich zu wehren versucht, würgt er sie noch stärker. Nach wenigen Sekunden wird sie ohnmächtig, bricht zusammen und nässt sich ein. Er lässt sie liegen – ohne Wiederbelebungsversuche zu unternehmen oder den Rettungsdienst zu verständigen.

Sag niemandem, was passiert ist

Als sie wieder aufwacht, beugt er sich über sie. Sie kann nicht mehr richtig schlucken, fragt ihn krächzend, ob er sie umbringen wolle. «Nein, nein», versichert er. Er habe doch nur gewollt, dass sie ruhig ist. Es tue ihm leid. Sie dürfe niemandem davon erzählen.

Die junge Mutter putzt den mit Urin verunreinigten Boden mit Papiertüchern. Als der Streit weitergeht, versucht sie, die Wohnung zu verlassen. Doch der Luzerner hat laut der Frau den Schlüssel von der Wohnungstür abgezogen, ihr das Handy abgenommen und so eine Flucht verhindert. Als sie schreit, geht er ihr wieder an den Hals und fordert, dass sie nun endlich still sein soll.  

Als er ins Bett geht, weiss sie schon, was kommen wird. Er küsst sie am Hals, fasst ihr zwischen die Beine, will Sex haben. Sie sagt, dass sie das nicht will und dass er aufhören soll. Doch er lässt nicht von ihr ab und dringt trotzdem in sie ein.

Zu Beginn macht er einen vernünftigen Eindruck

Das alles gibt der Mann gegenüber der Staatsanwaltschaft zu. Und auch in der Verhandlung diesen Dienstagnachmittag vor dem Kriminalgericht Luzern gibt er sich reumütig. Er schildert zunächst detailliert, was an jenem Abend passiert ist. Schritt für Schritt, wie er es in der Therapie gelernt hat.

Im Moment des Würgens habe eine «innere Stimme» ihm gesagt, dass etwas nicht stimme. Da habe er von seiner Ex-Freundin abgelassen. Erst da habe er realisiert, was er getan habe – und es sofort bereut. «Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. So jemanden würde ich nicht töten wollen», sagt er. Es habe ihm so leidgetan, dass er es «wieder gutmachen» wollte. Er habe ihre Nähe gesucht, deshalb hätten sie sich zusammen ins Bett gelegt.

«Die Zeiten, in denen einer vergewaltigten Frau eine Mitverantwortung vorgeworfen wurde, wenn sie Mini-Rock trug, sind vorbei.»

Staatsanwalt

Zu Beginn der Befragung wirkt der Mann sprachlich zwar etwas ruppig, aber sehr einsichtig, offen und transparent. Als die Fragen des Gerichts kritischer und hartnäckiger werden, verliert er zunehmend die Nerven. Die Stimme wird lauter.

Auf die psychiatrischen Gutachten angesprochen, die ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen attestieren, reagiert er aggressiv. Die Fachleute hätten keine Ahnung, sagt er. Er sieht nicht ein, dass nicht allein der Alkohol am Geschehenen schuld ist.

«Wenn ich an dem Abend nicht gesoffen hätte, wäre ich heute ein freier Mann», ist er überzeugt. Die Gutachten besagten jedoch unisono, er müsse sich im stationären Vollzug einer Therapie unterziehen – wo er sich heute bereits befindet. «Ich bin in diesem Setting völlig falsch. Ich lebe mein Leben. Und da kommt irgendein Experte drei Stunden vorbei und meint, er weiss mehr als ich.»

Besitzansprüche auf die Frau drücken durch

Während er das Würgen bis zum Schluss der Befragung einräumt, tut er sich mit seinen Aussagen betreffend die mutmassliche Vergewaltigung keinen Gefallen. Auf die Frage, ob er diese zugibt, sagt er: «Sie ist meine Frau, ich kann mir Sex nehmen, wenn ich will. Umgekehrt kann sie das ja auch. Für mich ist das keine Vergewaltigung. Wenn es so wäre, müssten noch viel mehr Männer im Gefängnis sein.» Er habe sie in dem Moment einfach «spüren wollen, für mich». Irgendwann habe sie schliesslich «aufgegeben» und mit ihm geschlafen.

«Ich muss ihnen ganz klar sagen: Sie haben kein Monster vor sich.»

Verteidiger

Für die Staatsanwaltschaft ist klar: «Aufgrund ihres klaren Neins musste er wissen, dass sie keinen Sex mit ihm haben wollte. Er setzte sie aber dermassen unter Druck, dass sie keinen Ausweg mehr sah, ausser den Geschlechtsverkehr über sich ergehen zu lassen. Das ist eine Vergewaltigung.»

Die Verteidigung hingegen findet, die «Beziehungsdynamik» müsse berücksichtigt werden. «Massstab muss sein, was die beiden über Jahre als üblich empfunden haben.» Streit sei in dieser Beziehung regelmässig mit «Versöhnungssex» beigelegt worden. So sei es wohl auch in jener Nacht im April gewesen. «Sie verfielen in ihr übliches Verhaltensmuster: schneller Sex nach heftigem Streit. Da ist nicht von einer Vergewaltigung auszugehen», findet der Verteidiger.

Hat er den Tod seiner Ex in Kauf genommen?

Er geht davon aus, dass sich sein Mandant zudem nur der «Gefährdung des Lebens» schuldig gemacht hat. Er habe sein Opfer zwar in Lebensgefahr gebracht, dessen Tod aber nicht gewollt. Die Staatsanwaltschaft hingegen ist davon überzeugt, dass der Luzerner in Kauf genommen hat, dass seine Ex-Freundin stirbt.

Aus Sicht der Anklagebehörde handelt es sich um eine versuchte vorsätzliche Tötung, weshalb insgesamt eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren angemessen sei. Zudem soll die stationäre Therapie angeordnet werden, die vor dem Vollzug der Strafe absolviert werden soll.

Letzterem stimmt die Verteidigung zu – auch wenn sich der Beschuldigte in der Befragung «trotzig» verhalten habe. «Heute ist er nicht gut rübergekommen. Er war mit der Befragung überfordert», sagt der Verteidiger. «Ich bin ein erfahrener Strafverteidiger und lasse mich nicht so leicht täuschen. Und ich muss ihnen ganz klar sagen: Sie haben kein Monster vor sich.»

Er mache nicht auf Mitleid, sondern wolle die Verantwortung übernehmen. «Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Resozialisierung.» Der Verteidiger hält eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für angemessen – was die Staatsanwaltschaft als «geradezu lächerlich» bezeichnet. «Die Zeiten, in denen einer vergewaltigten Frau eine Mitverantwortung vorgeworfen wurde, wenn sie Mini-Rock trug, sind vorbei. Nein heisst nein.»

Das Urteil steht noch aus.

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