Sind Zugs Pläne für die Kinderbetreuung realistisch?
Garantierte Plätze in der Kita – das will der Kanton Zug schon in wenigen Jahren anbieten können. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)
Garantierte Plätze, günstigeres Angebot: Der Kanton Zug will die Kinderbetreuung ausbauen. 40 Millionen Franken jährlich will er dafür in die Hand nehmen. Umsetzen sollen es die Gemeinden – nicht alle sind begeistert.
Zuger Eltern sollen für ihre Kinder einen garantierten Platz bei einer Kita oder einer Tagesfamilie haben. Damit das gelingt, will der Kanton Zug jährlich 40 Millionen Franken in die Hand nehmen. Das gab die Regierung vor anderthalb Jahren bekannt (zentralplus berichtete). Die Pläne sind ambitioniert. Und dürften wohl bei so manchen verzweifelten Eltern, deren Kinder derzeit auf Wartelisten für Kitaplätze stehen, für Erleichterung sorgen. Doch sind diese Pläne nicht etwas zu gut, um wahr zu sein?
Konkret will der Kanton Zug eine Art Recht auf Kinderbetreuung im Gesetz verankern. Im Bericht und Antrag heisst es hierzu: «Die Einwohnergemeinden stellen in ihrer Gemeinde ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesstätten und/oder Tagesfamilien für Kinder ab Ende des Mutterschaftsurlaubs bis zum Eintritt in den Kindergarten sicher.» Zudem müssten die Gemeinden an ihren Primarschulen von 7 bis 18 Uhr «bedarfsgerechte» Betreuung anbieten, wie die vorberatende Kommission nun fordert. Auch müssten sie in acht Ferienwochen Betreuung anbieten, wobei sie hier mit anderen Gemeinden zusammenarbeiten könnten.
Im Vorfeld der kantonsrätlichen Debatte am Donnerstag hat sich zentralplus bei den Gemeinden umgehört, wie sie zu den Plänen stehen. Eines zeigt sich: Nicht alle sind gleich begeistert.
Unterschiedliche Angebote
Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es im Kanton grosse Unterschiede zwischen den bestehenden Angeboten gibt. Vorreiter unter den Gemeinden ist die Stadt Zug. Sie bietet schon heute schulergänzende Betreuung (SEB) von morgens bis abends an, dies auch während zehn Ferienwochen. Zudem schaffe die Stadt Zug jährlich etwa zehn Prozent mehr Plätze in der SEB, wie Bildungsdirektor Etienne Schumpf (FDP) auf Anfrage schreibt. Insgesamt gibt Zug etwa sechs Millionen Franken jährlich für die Schul- und Ferienbetreuung aus.
In Risch hingegen hängt das Angebot vom Schulstandort ab, wie Rektor Nikolaus Jud auf Anfrage ausführt. Während Rotkreuz bereits verschiedene Betreuungsmodule über den Tag verteilt anbietet, ist das Angebot in Risch derzeit noch begrenzt. Holzhäusern wiederum hat gar kein Betreuungsangebot. Die Gemeinde Risch wolle das Angebot in den nächsten Jahren jedoch «bedarfsgerecht» ausbauen, so Jud. Die Gemeinde gebe für die rund 130 Tagesplätze gut 1,1 Millionen Franken aus.
In Hünenberg hingegen gibt es zwar Betreuung von mittags bis abends, jedoch noch kein Angebot morgens, wie Sozialvorsteherin Claudia Benninger (FDP) schreibt. Mit den geplanten Gesetzesänderungen müsste die Gemeinde also morgens weitere Angebote schaffen und zwei weitere Ferienwochen abdecken, schreibt Benninger. Auch Steinhausen müsste seine Ferienbetreuung um zwei Wochen strecken, wie Kommunikationschefin Monika Burri auf Anfrage schreibt.
Ist Angebot für nur zwei Kinder sinnvoll?
Die entsprechenden Pläne umzusetzen, ist deshalb auch je nach Gemeinde schwieriger. Und auch nicht überall gleich sinnvoll, wie etwa der Walchwiler Bildungsvorsteher Manuel Studer (Mitte) auf Anfrage schreibt. «Die Gemeinden müssen das autonom entscheiden und entwickeln können. Walchwil jedenfalls will vorderhand kein tagesschulähnliches Angebot einführen.» Denn dafür habe die Gemeinde schlicht zu wenig Nachfrage.
Morgens betreut die Gemeinde jeweils nur zwischen zwei und sechs Kindern. Nachmittags sind es zwischen 8 und 36 Kinder, je nach Tag und Uhrzeit. Auch für die Ferienbetreuung – derzeit drei Wochen im Jahr – bestehe eine «überraschend tiefe Nachfrage», so Studer. Die Gemeinde arbeite aber daran, das Angebot an die Bedürfnisse der Eltern anzupassen. Nur: Regeln will das die Gemeinde selbst. «Wir sind überzeugt, dass wir in unserer übersichtlichen Gemeindestruktur mit den kurzen Wegen sehr gut mitbekommen, was die Bedürfnisse von Eltern mit Kindern sind.»
Die Hünenberger Sozialvorsteherin Claudia Benninger findet ein umfassendes Angebot ebenfalls nicht überall gleich sinnvoll: «Für die Betreuung von 1 bis 3 Kindern in einer Betreuungseinheit kann wohl aus Sicht der Eltern ein Bedarf bestehen, aber diese Betreuungssequenzen sind nicht immer im Interesse des Kindes.» Gemäss dem Oberägerer Gemeindepräsidenten Marcel Güntert (FDP) ist das auch eine Kostenfrage: «Für uns als kleine Gemeinde wird es sicher eine Herausforderung, dass die weniger frequentierten Module eine ausreichende Auslastung erfahren, um auch nur annähernd kostendeckend betrieben werden zu können.»
Gemeinden suchen Räume
Was jedoch bei allen Gemeinden ein Thema ist, ist der Platzbedarf. Um die Hausaufgabenhilfe und den Mittagstisch der Schule unterzubringen, müssen alle angefragten Gemeinden zusätzliche Räume suchen oder bauen. Im Falle von Walchwil auch für eine Kita, da die Gemeinde derzeit noch keine hat.
So schreibt etwa der Neuheimer Rektor Pascal Niederberger, dass Neuheim bereits jetzt für den Mittagstisch ein Restaurant samt Küche miete. Bei ihnen sei die Kapazitätsgrenze in der SEB erreicht. An der kommenden Gemeindeversammlung stimmt die Neuheimer Stimmbevölkerung deshalb über den Neubau eines Schulgebäudes samt Platz für die schulergänzende Betreuung ab. Auch die Gemeinde Steinhausen legt ihrer Stimmbevölkerung bald ein Projekt für die schulergänzende Betreuung vor. Gemäss Kommunikationschefin Monika Burri will die Gemeinde auf dem Schulareal Sunnegrund Platz schaffen.
Der Rischer Rektor Nikolaus Jud gibt auch zu bedenken, dass ein solch massgeblicher Ausbau des Angebots auch sorgfältig geplant werden müsse, was Zeit benötige. Für Risch sei es zudem schwierig, den künftigen Bedarf abzuschätzen: «Es muss genügend Raum geschaffen werden, es muss aber auch verhindert werden, dass Überkapazitäten entstehen.» Auch bei der Gemeinde Cham heisst es auf Anfrage: «Innert kurzer Zeit genügend und zweckmässige Räumlichkeiten bereitzustellen bei sehr engen Verhältnissen in den Schulhäusern ist nicht einfach.» Cham benötige dafür eine Übergangsfrist von fünf Jahren.
Reichen zwei Jahre für Ausbau?
Selbst für die Stadt Zug werde der Ausbau der benötigten Infrastruktur «herausfordernd», so Bildungsdirektor und FDP-Kantonsrat Etienne Schumpf. Auch die von der Regierung vorgeschlagene Frist von zwei Jahren, bis die Gemeinden Plätze in Kitas und Tagesfamilien anbieten können müssen, sei je nach Standort «zu ambitioniert». Das hat auch die vorberatende Kommission erkannt und beantragt, die Frist auf vier Jahre zu verlängern.
Nebst mehr Raum benötigen die Gemeinden auch mehr Personal. Was nicht immer einfach ist. «Es ist schwierig, qualifiziertes Personal mit entsprechender Ausbildung zu finden», hält der Neuheimer Rektor Pascal Niederberger fest. «Es ist hervorzuheben, dass bereits im Kita-Bereich ein Fachkräftemangel spürbar ist und die Rekrutierung im Bereich SEB ebenfalls Zeit in Anspruch nehmen könnte», fügt der Unterägerer Rektor Daniel Honegger an. Ein Problem, das auch beim Luzerner Ausbau der Tagesschule zum Thema wurde (zentralplus berichtete).
Schlupfloch für Notfall
Aber: Sollte der Kita- und Schulbetreuungsausbau nicht wie gewünscht gelingen, plant der Kanton Zug, ein rechtliches Schlupfloch einzubauen. Die Zuger Gemeinden sollen zwar einen Kitaplatz sicherstellen, aber in der geplanten Gesetzesänderung heisst es ebenfalls: «Nach diesem Gesetz besteht kein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz.» Sprich: Eltern sollen zwar nach Gesetz einen garantierten Betreuungsplatz für ihr Kind haben. Klappt das aber nicht, sollen sie diesen nicht einklagen können.
Wie die Zuger Regierung gegenüber der Kommission ausführt, könnten Eltern künftig einzig die Aufsichtsbehörde informieren oder eine Aufsichtsbeschwerde einreichen. Der Rechtsweg ergibt aus Sicht der Regierung in dieser Situation nicht viel Sinn. Brauchen Eltern einen Kitaplatz, brauchen sie den in der Regel zeitnah. Diesen über die Gerichte zu erkämpfen, würde hingegen mehrere Monate, wenn nicht Jahre beanspruchen.
Zudem: Zwar müssen Gemeinden Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Sie dürfen dafür aber mit anderen Gemeinden zusammenarbeiten und es besteht kein Anspruch auf einen spezifischen Tag. Sprich: Allenfalls wird Menzinger Eltern einen Platz am Mittagstisch oder einer Kita an einem für sie unpassenden Tag angeboten, für den sie zuerst eine Autofahrt nach Oberägeri oder Zug auf sich nehmen müssen.
Noch sind diese Pläne aber nicht in trockenen Tüchern. Erst wird sich der Zuger Kantonsrat mit der Vorlage befassen. Am Donnerstag bespricht er die Pläne ein erstes Mal.
Hinweis: zentralplus hat alle Zuger Gemeinden zu den geplanten Gesetzesänderungen befragt, jedoch unter anderem wegen personellen Abwesenheiten nicht von allen Gemeinden bis Redaktionsschluss eine Stellungnahme erhalten.Baar verzichtete auf eine Stellungnahme, bevor der Kantonsrat die Änderungen verabschiedet hat.Der Artikel ist nachträglich um die Stellungnahme der Gemeinde Steinhausen, Unterägeri und Cham ergänzt worden.
Schreibt über alles, was Luzern und Zug aktuell beschäftigt. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Nach einem Studium in Medienwissenschaften und Englisch ist sie seit September 2021 bei zentralplus. Nebenbei absolviert sie derzeit die Diplomausbildung Journalismus am MAZ.