Lehrermangel in Luzern: Kanton bittet Pensionäre zurück
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Über 140 Lehrerinnen sucht der Kanton Luzern derzeit. Bis zum neuen Schuljahr haben die Schulen nur noch rund drei Monate Zeit, um diese unbesetzten Stellen zu füllen. Im Kampf gegen den Lehrermangel greift der Kanton nun zu aussergewöhnlichen Methoden.
Bei der Schule läuten die Glocken. Für einmal ist es jedoch nicht der Pausengong, der die Schüler aus der Pause zurückbeordert, sondern die Alarmglocken. Im Kanton Luzern herrscht akuter Lehrermangel. Per 19. Mai werden im Kanton Luzern 146 Lehrerinnen gesucht. 69 davon in einem 50- bis 100-Prozent-Pensum, 77 davon für ein 10- bis 49-Prozent-Pensum, wie Katrin Birchler, Leiterin der Dienststelle Volksschulbildung (DVS) ad interim, auf Anfrage schreibt.
Mit Schreiben Pensionäre zurück ins Schulzimmer holen
Das Befüllen der offenen Stellen stellt sich jedoch als sehr harzig heraus. Auf ausgeschriebene Stellen erhalten Schulen nur wenige Bewerbungen (zentralplus berichtete). Wegen des akuten Lehrermangels in Luzern haben einige kleinere Schulen bereits Klassen geschlossen (zentralplus berichtete).
Die Dienststelle Volksschulbildung Luzern greift deshalb zu ungewöhnlichen Mitteln: In einem Schreiben, das zentralplus vorliegt, bittet sie alle Lehrpersonen, die in den letzten zwei Jahren in Pension gegangen sind, zur Schule zurückzukehren.
Fast schon entschuldigend schreibt die Dienststelle: «Es ist uns bewusst, dass Sie nach vielen Jahren im Lehrerberuf ein Anrecht auf Ihre Pension haben und die neu gewonnenen Freiheiten geniessen.» Sollte es die Pensionärin «gluschten», ein Jahr lang auszuhelfen, könne man sich unverbindlich beim kantonalen Stellenportal umsehen.
PH-Abgänger reichen nicht aus
Dass der Kanton Luzern zu solch drastischen Massnahmen greift, begründet die DVS mit dem schweizweit ausgetrockneten Stellenmarkt für Lehrpersonen. Hinzu komme, dass in den letzten Jahren zahlreiche Lehrerinnen der Babyboomergeneration vor dem ordentlichen Rentenalter in Pension gegangen seien. Der Kanton hoffe nun, dass einige von ihnen mit dem Schreiben dazu motiviert werden, befristet auszuhelfen.
Abgesehen von der Pensionärmassnahme hat die DVS noch andere Ideen im Köcher. Zusammen mit dem Verband Luzerner Schulleitungen werden derzeit Themen wie die Anpassungen der Anstellungsbedingungen, ein neues Jobportal oder attraktivere Weiterbildungsmöglichkeiten diskutiert. Zudem wirft der Kanton ab nächster Woche seine Angel auch über die Ländergrenzen hinaus aus. Es seien Stelleninserate in Süddeutschland und im österreichischen Vorarlberg geplant, so Birchler.
«Es ist ja fast ironisch, pensionierte Lehrpersonen aus einer systemischen Not heraus für ihr Engagement anzufragen, wo sie doch über Jahrzehnte Gratisarbeit verrichtet haben.»
Alex Messerli, Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands
Um den Lehrermangel anzugehen, fischt der Kanton Luzern auch fleissig im Pool der angehenden Lehrer. So versucht die DVS PH-Abgängerinnen mit Video und per E-Mail zu einer Bewerbung in Luzern zu animieren. Zudem haben PH-Studierende die Möglichkeit, bereits neben dem Studium 20 Prozent zu arbeiten.
Bald schliessen wieder Hunderte PH-Studenten ihr Studium ab – reichen diese nicht für die leeren Plätze in den Lehrerzimmern? Birchler verneint: «75 Prozent der PH-Abgänger und -Abgängerinnen des Primarstudiengangs haben bereits eine Stelle angenommen. Selbst wenn die restlichen 25 Prozent alle im Kanton Luzern eine Stelle annehmen würden, würde es nicht ganz reichen.»
Luzerner Lehrer wollen bessere Rahmenbedingungen
Der Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband (LLV), Alex Messerli, freut sich, dass der Kanton den Ernst der Lage erkannt hat. Jedoch warnt er davor, dass die Anfrage der Pensionärinnen nur eine kurzfristige Lösung sei: «Es ist schön, wenn sich so Lehrpersonen finden lassen, noch besser ist es jedoch, wenn möglichst viele Lehrpersonen, möglichst lange arbeiten (können).»
Gemäss Messerli müsse der Kanton den Hebel bei den Rahmenbedingungen ansetzen. Denn: Der Lehrermangel sei ein systemisches Problem. Um dieses nachhaltig zu lösen, müsse der Kanton Bedingungen schaffen, damit Lehrerinnen möglichst lange ihren Beruf ausüben können. Gerade im Lehrerberuf werde beispielsweise viel Überzeit geleistet. «Es ist ja fast ironisch, pensionierte Lehrpersonen aus einer systemischen Not heraus für ihr Engagement anzufragen, wo sie doch über Jahrzehnte Gratisarbeit verrichtet haben.»
Auch die Altersentlastung sei ein Thema. Denn im Zuge der kantonalen Sparprogramme seien diese zusätzlichen Ferientage reduziert worden. «Diese muss nun auf das damalige Niveau gebracht werden, denn im Moment ist es keine Entlastung.» Immerhin: Die DVS hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich des Themas Lehrermangel in Luzern annehmen will. Jedoch ohne Vertretungen des LLV, wie Messerli bedauert: «Es braucht Leute aus der Praxis, welche mitdenken können, wenn es Veränderungen braucht.»
Angesichts der vielen offenen Stellen scheinen Veränderungen allemal angezeigt. Bei einem Defizit von 140 Personen braucht man keinen Sechser in Mathematik, um zu erkennen, dass so manche Schule ab Sommer in der Bredouille steckt.
- Schreiben der Dienststelle Volksschulbildung vom 18. Mai
- Schriftlicher Austausch mit Katrin Birchler, Leiterin der Dienststelle Volksschulbildung Luzern
- Schriftlicher Austausch mit Alex Messerli, Präsident Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband LLV