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Zu wenig Personal, zu viele Kinder, zu tiefe Löhne – der Alltag in der Kinderbetreuung ist geprägt von Stress und Überlastung. Eine Luzerner Kinderbetreuerin warnt: Ohne bessere Bedingungen wird sich die Krise weiter zuspitzen.
«Einfach mal kurz in eine Ecke weinen gehen, weil man überlastet ist und nicht allen Kindern und Eltern gerecht werden kann – das ist keine Seltenheit.»
Das sagt Angela Trutmann aus Luzern. Die gelernte Fachfrau Betreuung ist seit 13 Jahren in Kitas tätig. Sie hat sich, gemeinsam mit anderen Betreuerinnen und Eltern, zur Interessengemeinschaft «Vorwärts in der Kinderbetreuung» formiert.
Diese macht sich stark für eine bessere Kinderbetreuung in der Zentralschweiz. Zum Gegenvorschlag der Luzerner Regierung zur Kita-Initiative der SP, den sie kürzlich präsentiert hat, hat sie eine klare Meinung (zentralplus berichtete): Es sei ein «wichtiger Schritt in die richtige Richtung» für ein kantonales Kinderbetreuungsgesetz. Doch der Entwurf reiche «bei Weitem nicht aus, um die drängenden Herausforderungen in der Kinderbetreuung nachhaltig zu bewältigen».
Überlastet im Alltag
«Im Gegenvorschlag der Regierung ist eigentlich der momentane Istzustand festgeschrieben», sagt Angela Trutmann. Stattdessen fordert die IG klarere und verbindlichere Qualitätsrichtlinien, einen besseren Betreuungsschlüssel, faire Löhne und bezahlbare Kitas für alle Familien.
Es sei schlicht zu wenig Personal für zu viele Kinder verantwortlich. Trutmann erzählt, wie sie sich zugleich um drei Monate alte Babys und sechsjährige Kinder kümmern müsse. Derzeit gelte ein Betreuungsschlüssel von einer Betreuerin auf fünf Kinder, wobei Säuglinge stärker ins Gewicht fallen würden als Kindergärtler.
Morgens bestreicht sie Brötchen mit Konfi, doch ein Kind verlangt nach Honig. In der Garderobe sitzen zwei Kinder, die sich nicht von ihren Eltern lösen können und die volle Aufmerksamkeit von ihr verlangen, und dann muss auch noch die Lernende angeleitet werden. «In drei Stücke teilen kann ich mich ja schlecht», sagt Trutmann.
Das Kind, das nach Honig fragt, muss warten und geht dann womöglich unter respektive isst halt das Brot mit Konfi. Die Eltern müssen in der Garderobe warten, und die Kinderbetreuerin versucht, Kind für Kind in die Gruppe zu integrieren. Viele Bedürfnisse kommen gleichzeitig zusammen. Unmöglich, auf alle situationsgerecht einzugehen.
Das will die Regierung, das die SP
Die Luzerner SP lancierte die Kita-Initiative 2022 mit vier zentralen Forderungen: Eltern sollen höchstens 30 Prozent der Kosten tragen, Betreuungspersonal soll bessere Arbeitsbedingungen erhalten und Unternehmen sowie Gemeinden sollen sich an der Finanzierung beteiligen (zentralplus berichtete).
Der Regierung geht das zu weit. Sie hat kürzlich ihren überarbeiteten Gegenentwurf präsentiert. Sie will nicht alle Familien entlasten, sondern nur jene mit tiefen und mittleren Einkommen – das betrifft 76 Prozent aller Haushalte mit Vorschulkindern. Für diese soll ein einheitlich kantonales System mit Betreuungsgutscheinen eingeführt werden. In den Kitas sollen «Mindestqualitätsvorgaben» gelten, dazu gehören unter anderem der Betreuungsschlüssel sowie die Qualifikation des Personals (zentralplus berichtete). Der Luzerner Kantonsrat wird noch über beide Geschäfte beraten.
Kinder würden viel wegstecken, doch für die Betreuerinnen sei die Dauerbelastung zermürbend, sagt Trutmann. Hinzu komme, dass in den Kitas Lärmdämmung und Rückzugsorte fehlen würden. Angestellte kämen trotz Krankheit zur Arbeit. Weil sie sehen würden, wie das Team am Limit sei.
Kita-Fachpersonen würden im Schnitt nach der Ausbildung zwar 4200 Franken verdienen – doch mehr liege auch nach Jahren kaum drin. «Nach fünf Jahren sind es dann vielleicht 4500 Franken. Nach zehn Jahren klettert der Lohn kaum höher – ein Umstand, den viele als frustrierend empfinden.»
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Auch sie spielte mit dem Gedanken, auszusteigen
«Das alles belastet mich sehr», sagt Trutmann. Der Fachkräftemangel habe sich in den vergangenen Jahren zugespitzt, viele Betreuerinnen wandern ab – auch in Heime oder Horte, wo sie für ihre Arbeit mehr Lohn kriegen. «Die Stimmung ist sehr angeschlagen. Viele sind am Ende, fühlen sich überhört und ausgebeutet.»
«Wir waren immer die Braven, haben unsere Forderungen lange zu leise gestellt.»
Angela Trutmann
Gemäss dem Verband Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) liegt die Austrittsquote bei 30 Prozent. Auch Trutmann hat sich bereits überlegt, den Beruf zu wechseln. «Ganz oft schon», wie sie anmerkt. Es gebe jene Tage, wo sie sich wünschen würde, einen Bürojob zu haben, vor sich auf dem Pult einen Stapel Dokumente, den sie in ihrem eigenen Tempo und in Ruhe abarbeiten könne. «Aber dafür liebe ich meinen Job als Kinderbetreuerin viel zu sehr», sagt Trutmann.
Für sie ist klar, dass es nun aber endlich vorwärtsgehen müsse. «Viele Kita-Angestellte sagen, sie würden ihre eigenen Kinder nie in eine Kita bringen, weil sie täglich erleben, dass Betreuerinnen ihnen nicht gerecht werden können.» Eine bittere Aussage. Würden die zentralen Forderungen der IG nicht umgesetzt, sieht sie die Betreuungsqualität in Zukunft noch stärker gefährdet und eine noch höhere Abwanderung von Fachkräften.
Forderungen zu leise gestellt
Trutmann wünscht sich, von Politikern und Regierungsrätinnen gehört zu werden. «Wir waren immer die Braven, haben unsere Forderungen lange zu leise gestellt», sagt sie. «Wenn Eltern abends ihre Kinder von der Kita abholen, so blicken sie nie in das Gesicht einer sichtlich überlasteten Kinderbetreuerin oder sehen, dass es im Hintergrund brennt. Wir setzen immer ein Lächeln auf und geben unser Bestes.»
- Telefonat mit Angela Trutmann
- Medienmitteilung der IG «Vorwärts in der Kinderbetreuung»
- Medienmitteilung von Kibesuisse