Französisch unter Beschuss – drei Zuger Lehrer reagieren überaschend
Nuria Notter unterrichtet seit Jahren Französisch an der Kanti Zug. Sie plädiert dafür, die Sprache auf Primarstufe beizubehalten. (Bild: mik)
Mehr Deutsch und Mathematik auf Kosten von Frühfranzösisch und -englisch: Das fordern derzeit Zuger Politiker. Wir haben mit Französischlehrpersonen gesprochen und gefragt: Eine gute Idee?
Und die Zeit bleibt einfach stehen Ich wünscht', ich könnte dich verstehen Je ne parle pas français Aber bitte red' weiter
Das Lied der deutschen Sängerin Namika lief 2018 rauf und runter. Wohl, weil so einige mit dem lyrischen Ich im Lied mitfühlen können. Mitten in Paris, man lernt eine interessante Person kennen – und irgendwie scheinen sich die zig Jahre Französischunterricht ins Nichts aufgelöst zu haben. Stattdessen druckst man ein paar Worte herum und hilft sich mit Übersetzungsapps, Händen und Füssen.
Doch aus den «zig Jahren Französischunterricht» könnten bald weniger werden.
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wie sehr sich der Französischunterricht gewandelt hat
welche Probleme Zuger Lehrpersonen in der Abschaffung von Frühfranzösisch sehen
Neu ist die Debatte nicht. Bereits im Jahr 2006 haben die Zugerinnen darüber abgestimmt, ob nur noch eine Fremdsprache in der Primarstufe gelehrt werden soll – und haben diese deutlich abgelehnt. Ähnliche Initiativen gab es über die Jahre auch in Schaffhausen, Thurgau, Graubünden, zweimal in Zürich, Luzern – auch hier: abgelehnt (zentralplus berichtete).
Freisinnige entfachen Debatte von neuem
Doch die nationale FDP brachte im Juni 2024 ein neues Positionspapier heraus, mit der sie die Diskussionen abermals entfachte. Darin heisst es: Zweit- oder Fremdsprachen werden erst unterrichtet, wenn sie die Erstsprache nicht beeinträchtigen. In der Folge trudelten in mehreren Kantonen, etwa St. Gallen, Thurgau, Appenzell Ausserhoden und Zürich Vorstösse ein, die weniger Fremdsprachen auf Primarstufe forderten. Oder direkt Französisch verschieben wollten. Auch in Zug wollen Freisinnige dem Fremdsprachenunterricht in der Primarstufe an den Kragen.
Sie wollen Frühenglisch und -französisch streichen und die freiwerdenden Lektionen in den Deutsch-, Mathe- und Werkunterricht investieren. Ihrer Meinung nach geht der Fremdsprachenunterricht auf Kosten dieser Fächer. Besonders Werk- und Handarbeitsunterricht solle stattdessen gefördert werden, um Begeisterung für handwerkliche Berufe zu entfachen.
Eine Antwort der Regierung liegt vor: Der Regierungsrat lehnt die Streichung ab, da die Fremdsprachen eben nicht zulasten der Kernfächer gingen. Rektorinnen sowie der Zuger Bildungsrat seien dagegen. Zudem seien insbesondere Englisch, aber auch Französisch für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt von Bedeutung. Ganz abklemmen möchte die Regierung die Diskussion jedoch nicht:
«Der Regierungsrat möchte beim Abbau der frühen Fremdsprachen keine Vorreiterrolle spielen. Er wird aber die Entwicklung aufmerksam weiterverfolgen.»
Nicht abwerten, sondern aufwerten
Was der Rest der Zuger Politiker davon hält, wird sich frühestens an der Sitzung vom 22. Mai zeigen, wenn der Vorstoss traktandiert ist. Doch was sagen diejenigen dazu, die diese Änderung umsetzen müssten? Wir haben uns bei Zuger Französischlehrpersonen umgehört.
Im Lehrerzimmer der Kantonsschule Zug findet Nuria Notter deutliche Worte: «Ich finde es inakzeptabel, dass man eine Landessprache dermassen abwertet.» Sie unterrichtet Französisch seit 22 Jahren, an der Kanti Zug lehrt sie seit 2007. Erneut steht Französisch auf dem politischen Schafott. «Als ich jung war, hat mich das traurig gestimmt. Jetzt macht mich das wahnsinnig wütend», hält die 52-Jährige fest.
Die Idee, den dualen Bildungsweg und die Lehre zu stärken, könne sie durchaus nachvollziehen. «Aber das können wir nicht tun, indem wir die Ausbildung abwerten und Lernende einfach mehr ins Werken schicken.» Stattdessen sollte die Ausbildung aufgewertet werden. Als Idee schlägt sie etwa vor, den Handwerksunterricht auf Englisch oder Französisch durchzuführen.
Eltern geben «Franzhass» den Kindern weiter
Sie stelle zudem fest, dass viele Eltern eine veraltete und sehr negative Vorstellung des Französischunterrichts hätten. Kein Wunder, wie Notter sagt. «Wir haben noch wahnsinnig mühsam Französisch gelernt. Sehr trocken, sehr abstrakt.» Diese negative Einstellung gegenüber Französisch geben Eltern ihren Kindern weiter – obwohl sich der Unterricht stark gewandelt habe.
Dass Schüler gemäss Studien in Lesen, Mathe, aber auch Französisch immer schlechter abschnitten, liege nicht an den Frühfremdsprachen, findet Notter. Ihrer Meinung nach hätten Schülerinnen und Schüler das Auswendiglernen verlernt. «Ohne Voci ist das Lernen einer Sprache nicht möglich.» Wenn nicht mehr penibel auswendig gelernt werde, fehlen beim Sprechen die Wörter, beim Schreiben sind sie falsch geschrieben.
Komplett verschliessen will sich Notter der Debatte nicht. Französisch kippen würde sie aber nur, wenn dadurch Primarlehrpersonen entlastet würden. Und – was ihr in der Debatte fehlt –, die Stunden müssten auf Sekstufe aufgestockt werden. «Wenn sie den Vorlauf in der Primarschule nicht haben, wird es für Lernende sonst nur noch schwieriger, das gewünschte Französischniveau zu erreichen.»
Primarjahre schaffen Verständnis für Sprache
Gleiche Stufe, anderes Schulhaus. Simone Lindt unterrichtet seit 16 Jahren Französisch an Zuger Kantis. Seit sechs Jahren an der Kanti Menzingen, davor 10 Jahre an der Kanti Zug. Zudem ist sie Teil der kantonalen Fachgruppe Fremdsprachen. Auch sie betont, dass bei der Debatte die Primarlehrpersonen gehört werden sollten. Ob sie Schwierigkeiten beim Unterrichten der beiden Sprachen haben und ob sie Reformbedarf sehen.
Zum eingereichten Vorstoss meint die 46-Jährige: «Die Lektionen von Frühfranzösisch und Frühenglisch gingen nie auf Kosten von Deutsch oder Mathe.» Zudem sei sie als Kantilehrerin froh, wenn die Schüler in der Sek bereits Kenntnisse mitbringen.
In der Zürcher Debatte monierten Kantonsräte, darunter auch der GLP-Kantonsrat und Seklehrer Christoph Ziegler, dass Lehrpersonen in der Oberstufe «fast bei null» anfangen müssten. Eine Beobachtung, die Lindt nicht teilt. «Sie bringen ein Grundverständnis fürs Französisch mit.»
Die Erstklässler können einfache Konversationen führen, Verben konjugieren, sie wissen, dass Wörter nicht gleich ausgesprochen werden, wie sie geschrieben sind. Lindt könne bereits ab der 1. Klasse mit ihren Klassen Französisch sprechen. Zwar falle es einigen anfangs noch etwas schwerer, das komme aber «mega schnell».
Was bringts?
Lindt bestätigt ebenfalls, dass der Unterricht und das Lernen sich stark gewandelt hätten. «Heute ist so viel Wissen zugänglich. Das macht etwas mit der Motivation der Lernenden im Unterricht und erfordert neue Lernmethoden.» Schüler hinterfragten viel mehr, wieso sie etwas können müssten und was sie wirklich brauchten. Auch der Fokus der Schülerinnen sei kleiner und die Aufmerksamkeitsspanne kürzer.
Eine Herausforderung für ein Fach wie Französisch, bei dem viel Repetieren halt dazugehöre, so Lindt. Entsprechend müssten Lehrpersonen sich anpassen, Brücken zum Alltag der Jugendlichen schlagen und neue Lernmethoden finden. Sie hält aber auch fest: «Schule kann nicht nur Spass machen. Schule muss auch Herausforderungen stellen. Es ist kein Hobby, Anstrengung gehört dazu.»
Mit dem Projekt «Weiterentwicklung der Gymnasialen Maturität» (WEGM) stehe zudem bereits der nächste grosse Wandel an. Fächer werden weniger isoliert betrachtet, überfachliche Kompetenzen werden wichtiger. «Schule verändert sich. Aber weil alle mal in der Schule waren und das Bildungssystem durchgemacht haben, haben alle eine Meinung dazu.»
Falls, dann Englisch kippen
Gleiche Fragen, dieses Mal im Klassenzimmer von Denis Krasnici, Primarlehrer für die 5. und 6. Klasse an der Schule Hünenberg. Der gebürtige Baarer unterrichtet inzwischen seine siebte Klasse, unter anderem in Französisch. Gleich zu Beginn hält Krasnici fest: «Französisch ist keine Fremdsprache, sondern eine Landessprache.» Die Fremdsprache an der Primarstufe sei Englisch, auch wenn es im Alltag der Kinder durch Videos und die sozialen Medien viel präsenter ist.
Falls eine Sprache aus dem Lehrplan der Primarstufe gestrichen würde, dann Englisch. Denn diese Sprache könnten viele Kinder bereits gut. In der 3. Klasse müssten Lehrpersonen längst nicht mehr bei «Adam und Eva» anfangen. Viele seien «Somegas», also Kinder, die die Sprache durch Soziale Medien oder Games gelernt hätten.
Bei Französisch hingegen starten die Kinder bei null. Was diese wiederum schätzen, so der 32-Jährige. Bei Elterngesprächen beschwerten sich die Lernenden nie über Französisch. Alle anderen Fächer lernen sie schon eine Weile, sie werden immer schwieriger. Bei Französisch hingegen starten alle – egal, ob leistungsstark oder nicht – neu. Gerade lernschwachen Kindern mache das deswegen Spass und es gebe ihnen Motivation und Mut, so Krasnici.
Was ist Nebel?
Dass trotzdem viele Kinder Schwierigkeiten mit Französisch haben, hänge unter anderem mit der Erstsprache zusammen, so Krasnici. Wer daheim seine erste Sprache nicht «sauber» lerne, habe Mühe, neue zu lernen. «Wenn du zu Hause das Wort ‹tauchen› oder ‹Nebel› nie gelernt hast, kannst du dieses auch nicht mit einer neuen Sprache verknüpfen.» Eltern sollten deshalb wieder mehr mit ihren Kindern sprechen, vorlesen oder sie in ihren Alltag einbinden, plädiert der Primarlehrer.
Zudem helfen Schulpartnerschaften, Gspändli oder Brieffreundschaften. Etwas, was der Kanton Zug auch im Rahmen des Programms «Zug+» fördert. «Wenn da ein Mensch ist, mit dem die Kinder sprechen wollen.» Als Krasnici in seiner Klasse ein ukrainisches Mädchen hatte, hätten die Kindern von sich aus angefangen, Ukrainisch zu lernen, da sie mit ihr sprechen wollten. «Wenn ihnen ein Bezug fehlt, wieso sie etwas lernen müssen, haben sie auch keine Motivation, die Sprache zu lernen.»
Aus seiner Sicht sollten auf Primarstufe aber keine Sprachen gestrichen werden. Auch nicht, um ihm das Leben als Lehrer zu erleichtern. «Aus wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und pädagogischer Sicht steht es nicht zur Diskussion, ihnen diese Chance zu nehmen.»
Mit Französisch punkten
Beispielsweise sei Französisch für den nationalen Zusammenhalt wichtig. «Ich war im Militär. Da versuchen Deutschsprachige mit Romands Englisch zu sprechen. Das ist doch absurd. Man spricht eine Fremdsprache, um mit jemandem aus demselben Land zu sprechen.» Zudem sei jede Sprache, die jemand lerne, eine weitere Kompetenz, mit der man in der Wirtschaft und bei Bewerbungen punkten könne.
Und: In jungen Jahren seien Kinder besonders aufnahmefähig und einfacher zu motivieren. Studien zeigten, dass Kinder, die eine Sprache früher lernten, langfristig eine bessere Sprachkompetenz hätten. Diese Phase sollte deshalb optimal genutzt werden, findet Krasnici.
Schlussendlich beweise die Debatte vor allem, dass wenig Lehrpersonen in der Zuger Politik seien. Trotzdem mischten sich Politiker immer wieder in der Bildung ein, ärgert sich Krasnici. «Niemand mischt sich im Baudepartement ein, das ist für viele zu komplex. Aber bei der Bildung denken alle: ‹Ich bin auch mal zur Schule gegangen, ich weiss, wie das läuft›.»
Schreibt über Politik, Kurioses und wühlt gern in Unterlagen. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Hat ein abgeschlossenes Studium in Medienwissenschaften und Englisch, und die Diplomausbildung Journalismus beim MAZ absolviert. Sie schreibt seit September 2021 bei zentralplus.
Zum Thema Romands: Wir wollen nicht Französisch mit ihnen sprechen und sie nicht Deutsch mit uns. Es bleibt Englisch als Alternative. Zum Thema Frühfranzösisch: Ich kenne Niemanden in der Verwandtschaft/Bekanntschaft welcher from Frühfranzösisch in der Mittelschule dann profitiert hätte.