«Dass man Kinder ohne Not so plagt, verstehen wir nicht»
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Wenn es nach dem Zuger Regierungsrat geht, müssen Schüler schon bald eine Aufnahmeprüfung für das Langzeitgymnasium machen. Ein Initiativkomitee will das verhindern. Die Zuger CSP-Kantonsrätin Vroni Straub erklärt, weshalb.
Der Zuger Regierungsrat will eine Aufnahmeprüfung für das Langzeitgymi einführen (zentralplus berichtete). Gegen diese Pläne gibt es nun Widerstand: Ein Komitee wehrt sich mit einer Initiative gegen die Pläne, wie am Mittwoch bekannt wurde. Die Zuger CSP-Kantonsrätin und ehemalige Stadtzuger Bildungsvorsteherin Vroni Straub kämpft an vorderster Front gegen eine Aufnahmeprüfung.
zentralplus: Vroni Straub, die Nachbarkantone Zürich und Schwyz kennen eine Aufnahmeprüfung für das Langzeitgymnasium. Weshalb soll für Zug falsch sein, was für diese Kantone funktioniert?
Vroni Straub: Wir haben im Kanton Zug ein sehr bewährtes Übertrittsverfahren. Wir sehen nicht ein, weshalb ein solch gutes Instrument torpediert werden soll. Im Kanton Schwyz ist die Ausgangslage zudem anders, er kennt das Langzeitgymnasium bei den öffentlichen Schulen nicht. Nur bei den privaten Gymnasien wird es angeboten. Man kann die Situation also nicht vergleichen. Im Kanton Zürich hingegen gibt es die Aufnahmeprüfung. Dort ist vor allem etwas interessant: Die Quote von Schülerinnen und Schülern, die das Gymnasium abbrechen, ist vier- bis fünfmal höher als bei uns. Das zeigt uns, dass im Kanton Zug die Kinder mit dem heutigen System grösstenteils am richtigen Ort sind. Der andere Punkt ist, dass Zuger Maturandinnen und Maturanden eine sehr hohe Studienerfolgsquote haben. Es gibt also keinen Grund, etwas an unserem System zu ändern.
zentralplus: Die Befürworter einer neuen Aufnahmeprüfung argumentieren, die Maturitätsquote nehme laufend zu, der gymnasiale Ausbildungsweg sei zu attraktiv.
Straub: Ich bin völlig einverstanden damit, dass wir die Berufsbildung stärken und die Sekundarstufe I stärken müssen. Dass man dazu aber das Gymi schwächen soll, ist falsch. Man kann nicht etwas stärken, indem man etwas anderes schwächt. Sämtliche Wege müssen attraktiv sein. Denn wir brauchen Fachkräfte auf allen Stufen, auch auf der akademischen.
zentralplus: Sie sehen den dualen Bildungsweg nicht in Gefahr?
Straub: Nein, denn wir haben immer noch rund 80 Prozent Schüler, die nicht ins Gymnasium gehen. Bei unseren Expats braucht es jedoch mehr Aufklärungsarbeit und Gespräche, dass einem Kind dank unseres dualen Bildungswegs noch alle Türen offen stehen – auch wenn es in die Sek I geht oder später eine Lehre macht.
zentralplus: Auch Sie finden, die Lehre gehört gestärkt. Einfach mit anderen Massnahmen. Zum Beispiel?
Straub: Die Zuger Regierung hat für die Sek I erste gute Schritte eingeführt. Eine Stärkung ist dort vorhanden. Und auch die Berufsschauen im Kanton sind ein gutes Werbefenster. Aber ich finde, die Berufe für Lehrlinge müssen von den Verantwortlichen noch in ein besseres Licht gestellt werden. Es braucht zudem attraktive Löhne für Lehrlinge, aber auch gut ausgebildete Lehrlingsbetreuende.
zentralplus: Zug hat gemäss dem Bundesamt für Statistik (Zahlen von 2021) eine Maturitätsquote von 25,6 Prozent. Das ist der höchste Wert sämtlicher Deutschschweizer Kantone. Ist dieser Wert nicht zu hoch?
Straub: Das ist keine wahnsinnig hohe Quote. Zudem variiert sie je nach Jahr. Meiner Meinung nach sollte man nicht zu stark auf solche Quoten schauen. Viel eher sollte man analysieren, ob die Kinder am richtigen Ort sind. Und die Drop-out-Quote, also wie oft Schüler das Gymi abbrechen, zeigt wie erwähnt, dass wir im Kanton Zug gut unterwegs sind. Wir haben also keinen Druck, an unserem System etwas zu ändern.
zentralplus: Ihr Initiativkomitee sagt, eine Aufnahmeprüfung würde eine sogenannte Nachhilfeindustrie fördern.
Straub: Das kann man im Kanton Zürich beobachten. Die Lehrpersonen der Mittelstufe 2 müssen obligatorisch Prüfungsvorbereitungsunterricht geben. Die Kinder, deren Eltern es sich leisten können, gehen in der Freizeit oder nach der Schule in weitere Prüfungsvorbereitungskurse. Diese Nachhilfeschulen sind ein Wirtschaftszweig. Vor allem vermögende Eltern können sich das erlauben. Ein weiteres Problem: Die Kinder und Eltern sind über eine längere Zeit einem grossen Druck und Stress ausgesetzt, den man sich fast nicht vorstellen kann. Wir in Zug haben ein wunderbar durchlässiges System. Dass man Kinder und Eltern mit einer Prüfung ohne Not so plagt, verstehen wir nicht.
zentralplus: Sie sagen auch, Aufnahmeprüfungen seien nicht fair.
Straub: Ja, denn die Aufnahmeprüfung ist nur eine Momentaufnahme. Was, wenn man einen schlechten Tag erwischt?
zentralplus: Die Noten der Aufnahmeprüfung sind ja nicht das einzige Kriterium. Auch der Notendurchschnitt der Schule fliesst in die Bewertung mit ein.
Straub: Das mag sein, trotzdem ist der Druck auf die Schüler immens. Ein Problem ist zudem, dass die Chancengleichheit abnimmt. Wenn ein Kind die Prüfung nicht bestanden hat, werden Eltern, die genug Geld haben, es am nächsten Tag gleich an einem privaten Gymnasium anmelden. Die Zuger Privatschulen würden sich also die Hände reiben ob der neuen Aufnahmeprüfung. Und dem berechtigten Anliegen, die Berufsbildung zu stärken, ist nicht geholfen.
zentralplus: Was wäre Ihr Idealmodell? Der Status quo?
Straub: Ja. Wir brauchen schlicht keine Änderung. Da haben sich vor uns schon viele Leute Gedanken gemacht. Unsere Lehrpersonen sind geschult auf das Übertrittsverfahren. Wir haben jetzt so wenig Fehlzuweisungen und fehlende Einigungen mit den Eltern, dass wir keine Not haben, eine Prüfung einzuführen.
- Gespräch mit Vroni Straub, CSP-Kantonsrätin und ehemalige Stadtzuger Bildungsvorsteherin
- Zahlen Bundesamt für Statistik
- Motion sowie Bericht und Antrag der Regierung