Personalsuche reicht bis Österreich

Lehrermangel in Luzern: Kanton bittet Pensionäre zurück

Alex Messerli, Präsident des Luzerner Lehrerinnen und Lehrerverbands, freut sich, dass der Kanton Luzern das Problem des Lehrermangels an die Hand nehmen will. (Bild: Lustat/ Dany Schulthess/zvg)

Über 140 Lehrerinnen sucht der Kanton Luzern derzeit. Bis zum neuen Schuljahr haben die Schulen nur noch rund drei Monate Zeit, um diese unbesetzten Stellen zu füllen. Im Kampf gegen den Lehrermangel greift der Kanton nun zu aussergewöhnlichen Methoden.

Bei der Schule läuten die Glocken. Für einmal ist es jedoch nicht der Pausengong, der die Schüler aus der Pause zurückbeordert, sondern die Alarmglocken. Im Kanton Luzern herrscht akuter Lehrermangel. Per 19. Mai werden im Kanton Luzern 146 Lehrerinnen gesucht. 69 davon in einem 50- bis 100-Prozent-Pensum, 77 davon für ein 10- bis 49-Prozent-Pensum, wie Katrin Birchler, Leiterin der Dienststelle Volksschulbildung (DVS) ad interim, auf Anfrage schreibt.

Mit Schreiben Pensionäre zurück ins Schulzimmer holen

Das Befüllen der offenen Stellen stellt sich jedoch als sehr harzig heraus. Auf ausgeschriebene Stellen erhalten Schulen nur wenige Bewerbungen (zentralplus berichtete). Wegen des akuten Lehrermangels in Luzern haben einige kleinere Schulen bereits Klassen geschlossen (zentralplus berichtete).

Die Dienststelle Volksschulbildung Luzern greift deshalb zu ungewöhnlichen Mitteln: In einem Schreiben, das zentralplus vorliegt, bittet sie alle Lehrpersonen, die in den letzten zwei Jahren in Pension gegangen sind, zur Schule zurückzukehren.

Fast schon entschuldigend schreibt die Dienststelle: «Es ist uns bewusst, dass Sie nach vielen Jahren im Lehrerberuf ein Anrecht auf Ihre Pension haben und die neu gewonnenen Freiheiten geniessen.» Sollte es die Pensionärin «gluschten», ein Jahr lang auszuhelfen, könne man sich unverbindlich beim kantonalen Stellenportal umsehen.

PH-Abgänger reichen nicht aus

Dass der Kanton Luzern zu solch drastischen Massnahmen greift, begründet die DVS mit dem schweizweit ausgetrockneten Stellenmarkt für Lehrpersonen. Hinzu komme, dass in den letzten Jahren zahlreiche Lehrerinnen der Babyboomergeneration vor dem ordentlichen Rentenalter in Pension gegangen seien. Der Kanton hoffe nun, dass einige von ihnen mit dem Schreiben dazu motiviert werden, befristet auszuhelfen.

Abgesehen von der Pensionärmassnahme hat die DVS noch andere Ideen im Köcher. Zusammen mit dem Verband Luzerner Schulleitungen werden derzeit Themen wie die Anpassungen der Anstellungsbedingungen, ein neues Jobportal oder attraktivere Weiterbildungsmöglichkeiten diskutiert. Zudem wirft der Kanton ab nächster Woche seine Angel auch über die Ländergrenzen hinaus aus. Es seien Stelleninserate in Süddeutschland und im österreichischen Vorarlberg geplant, so Birchler.

«Es ist ja fast ironisch, pensionierte Lehrpersonen aus einer systemischen Not heraus für ihr Engagement anzufragen, wo sie doch über Jahrzehnte Gratisarbeit verrichtet haben.»

Alex Messerli, Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands

Um den Lehrermangel anzugehen, fischt der Kanton Luzern auch fleissig im Pool der angehenden Lehrer. So versucht die DVS PH-Abgängerinnen mit Video und per E-Mail zu einer Bewerbung in Luzern zu animieren. Zudem haben PH-Studierende die Möglichkeit, bereits neben dem Studium 20 Prozent zu arbeiten.

Bald schliessen wieder Hunderte PH-Studenten ihr Studium ab – reichen diese nicht für die leeren Plätze in den Lehrerzimmern? Birchler verneint: «75 Prozent der PH-Abgänger und -Abgängerinnen des Primarstudiengangs haben bereits eine Stelle angenommen. Selbst wenn die restlichen 25 Prozent alle im Kanton Luzern eine Stelle annehmen würden, würde es nicht ganz reichen.»

Luzerner Lehrer wollen bessere Rahmenbedingungen

Der Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband (LLV), Alex Messerli, freut sich, dass der Kanton den Ernst der Lage erkannt hat. Jedoch warnt er davor, dass die Anfrage der Pensionärinnen nur eine kurzfristige Lösung sei: «Es ist schön, wenn sich so Lehrpersonen finden lassen, noch besser ist es jedoch, wenn möglichst viele Lehrpersonen, möglichst lange arbeiten (können).»

Gemäss Messerli müsse der Kanton den Hebel bei den Rahmenbedingungen ansetzen. Denn: Der Lehrermangel sei ein systemisches Problem. Um dieses nachhaltig zu lösen, müsse der Kanton Bedingungen schaffen, damit Lehrerinnen möglichst lange ihren Beruf ausüben können. Gerade im Lehrerberuf werde beispielsweise viel Überzeit geleistet. «Es ist ja fast ironisch, pensionierte Lehrpersonen aus einer systemischen Not heraus für ihr Engagement anzufragen, wo sie doch über Jahrzehnte Gratisarbeit verrichtet haben.»

Auch die Altersentlastung sei ein Thema. Denn im Zuge der kantonalen Sparprogramme seien diese zusätzlichen Ferientage reduziert worden. «Diese muss nun auf das damalige Niveau gebracht werden, denn im Moment ist es keine Entlastung.» Immerhin: Die DVS hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich des Themas Lehrermangel in Luzern annehmen will. Jedoch ohne Vertretungen des LLV, wie Messerli bedauert: «Es braucht Leute aus der Praxis, welche mitdenken können, wenn es Veränderungen braucht.»

Angesichts der vielen offenen Stellen scheinen Veränderungen allemal angezeigt. Bei einem Defizit von 140 Personen braucht man keinen Sechser in Mathematik, um zu erkennen, dass so manche Schule ab Sommer in der Bredouille steckt.

Verwendete Quellen
  • Schreiben der Dienststelle Volksschulbildung vom 18. Mai
  • Schriftlicher Austausch mit Katrin Birchler, Leiterin der Dienststelle Volksschulbildung Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Alex Messerli, Präsident Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband LLV
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


10 Kommentare
  • Profilfoto von Karl-Heinz Rubin
    Karl-Heinz Rubin, 26.05.2022, 09:55 Uhr

    Lehrer sind auch nur Menschen.
    Es liegt an erster Stelle nur an der Ausbildung.
    Wenn man den Lehrer wieder Ihren innigsten Traum erfüllen würde, «die Anerkennung»,dass sie was besonderes wären, würden viele den Beruf länger ausüben.
    Aber nach der PH kommt das böse erwachen, zu merken, dass Lehrer einfach nur Menschen sind.
    Etwas zu lernen, weiterzugeben, dass von den Schülern nicht nachhaltig im Kopf bleibt und nachher im Berufsleben grösstenteils nicht mehr gebraucht wird, ist sicher ein Zeichen dafür, endlich das gesamte Schulsystem zu hinterfragen.
    Die Schulen ( Kasernen) sollten so schnell wie möglich umstrukturierung werden.
    Lasst Lehrer Menschen sein und Schüler Kinder.
    Beide könnten sich entwickeln auch ohne das Wissen jeder Hauptstadt dieser Welt.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 26.05.2022, 13:34 Uhr

      Ich kenne keinen einzigen Lehrer, dessen innigster Traum nicht das Einfamilienhäuschen im Speckgürtel wäre.

      👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
  • Profilfoto von Ennetsee
    Ennetsee, 25.05.2022, 23:21 Uhr

    Das Corona nicht mal in diesem Artikel erwähnt wird zeigt doch dass die Probleme nicht verstanden werden.
    Dont Look Up!

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
    • Profilfoto von Alain
      Alain, 26.05.2022, 06:54 Uhr

      Amen

      Ebenfalls bei Berichten aus anderen Branchen. Die Englische Nationalbank hat es erkannt, sonst niemand.

      👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 25.05.2022, 11:38 Uhr

    Angesichts der Ansichten pseudoelitärer Eltern erstaunt es überhaupt nicht dass der Lehrerberuf nicht mehr gefragt ist als er sollte. Wer es verpasst seinen Kindern Werte wie Respekt und Demut beizubringen muss sich echt nicht wundern…

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Rashid Dostum
    Rashid Dostum, 25.05.2022, 10:31 Uhr

    Warum überhaupt noch Lehrer?
    Seit Jahren wird doch mit Nachdruck die Entwicklung forciert, die Volksschule ganz nach kapitalistischem US-Vorbild umzugestalten. Multinationale Konzerne finanzieren die Lehrmittel usw. Die Indoktrination ist grenzenlos. Dazu die zweifelhafte Digitalisierung, die ohne Umschau, in krasser Negierung der Erkenntnisse der Hirnforschung, gegen das Kindeswohl, gegen die natürlichen Voraussetzungen des Lernens und der Bildung im Allgemeinen und ohne Rücksicht auf Verluste vorangetrieben wird. Cui bono? Eine Reform, ja eine Revolution der Pädagogik ist unumgänglich.

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔1Nachdenklich👎1Daumen runter
  • Profilfoto von Party Sahne
    Party Sahne, 25.05.2022, 07:03 Uhr

    Aus meiner Sicht das Hauptproblem, welches nun endlich undogmatisch und sofort in den Fokus rücken muss: Viele PH-AbsolventInnen hängen den LehrerInnen-Beruf bereits nach 2-3 Jahren wieder für alle Ewigkeit an den Nagel. Ein nicht unerheblicher Anteil arbeitet gar nie im angestammten Beruf, sondern nutzt nur den allgemeinen Benefit der teuren Tertiär-Ausbildung als Sprungbrett komplett woanders hin. Die Verantwortlichen müssten diesen Zustand nüchtern und vorurteilsfrei analysieren und entsprechende Massnahmen einleiten. Und mit Massnahmen meine ich hier nicht in erster Linie die Entlöhnung oder die verzweifelte Akquise von PensionärInnen. Die gravierendsten Verwerfungen finden meiner Meinung nach auf einer gesellschaftlich bedingten «Metaebene» statt…

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 25.05.2022, 09:51 Uhr

      Akademisierung rückgängig machen, die meisten der pseudo-wissenschaftlichen „Fachhochschulen“ (Päda, Soz, Kunst, Musik…) rückbauen zu qualifizierten Ausbildungsstätten (Lehrerseminar, Kunstgewerbeschule, Konservatorien), damit verbunden die sinnlosen vorgeschalteten Mittelschulen streichen oder teils integrieren, den lächerlichen Wettbewerb um Schüler auf internationaler Ebene aufgeben. Bologna den Ländern mit miesem Bildungssystem überlassen, bevor die Schweiz dazugehört.

      👍0Gefällt mir👏2Applaus🤔1Nachdenklich👎1Daumen runter
      • Profilfoto von Party Sahne
        Party Sahne, 25.05.2022, 13:09 Uhr

        Akademisierung der Pflege haben Sie noch vergessen. Die desaströsen Auswirkungen sind bereits seit Jahren spür- und erlebbar. Reaktionen der Politik bisher nicht auszumachen, da selbst nicht betroffen. Gleiches gilt für die Zöglinge der politisch verantwortlichen Elite hinsichtlich Bildung: Da man nicht auf das Wohlgedeihen der öffentlichen Schule angewiesen ist – deren Kinder werden bevorzugt in der Privatschule oder dem Institut unterrichtet (Abschluss garantiert) – sieht man auch keinerlei Anlass, zu handeln.

        👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Oswald
    Oswald, 25.05.2022, 05:50 Uhr

    Und wieso existiert dieser Mangel? Seit wann? Hat dies einen Zusammenhang mit angestiegenen IV Anmeldung und Krankheiten?

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔1Nachdenklich👎2Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon