Keiner weiss mehr über die Schweizer Bauernhäuser als der Chamer Benno Furrer. Der Forscher erläutert im Gespräch regionale Unterschiede, den bäuerlichen Alltag, den Einfluss der Religion auf den Baustil und kritisiert die Qualitäten aktueller ländlicher Bauten.

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Bauernhausforscher Benno Furrer erzählt Bauern investierten früher lieber in den Stall als in die Küche
zentralplus: Der Bauernhausforscher der Nation wohnt nicht in einem alten, heimeligen, geschindelten Holzhaus auf dem Land, sondern in einer modernen Eigentumswohnung im zugerischen Cham. Was ist da schiefgelaufen?
Benno Furrer: Nichts. Zu meiner Rechtfertigung kann ich jedoch sagen, dass ich in Bürglen, Kanton Uri, sechs Jahre lang in einem Bauernhaus aus dem Jahre 1836 gewohnt habe. Meine Frau und ich mussten Holz hacken und selber heizen. Es war die Zeit zwischen 1979 und 1985, als ich über die Bauernhäuser im Kanton Uri forschte. Das Problem war, dass ich durch diese Wohnsituation keine Distanz zu meinem Forschungsgegenstand fand. Zudem hatten wir zwei kleine Kinder. Es gab keinen Schallschutz und der Bauer wohnte direkt ein Stockwerk unter uns.
zentralplus: Viele Menschen verbinden Bauernhäuser mit Heimat. Was interessiert Sie als Forscher?
Furrer: Mich fasziniert vor allem das handwerkliche Wissen und Können, das der Bau von Bauernhäusern seit dem 13. Jahrhundert voraussetzte. Bauherr und Handwerker mussten zuerst die der Bauaufgabe entsprechenden Bäume finden und sie im richtigen Zeitpunkt fällen, um jenes dauerhafte Holz zu bekommen, das für ein nachhaltiges Gebäude taugte. Was oft vergessen geht: Das Baumaterial Holz liess früher gar nicht so viel Spielraum in der Konstruktion von Häusern zu. Gewisse Proportionen waren durch die nutzbare Stammlänge schlicht vorgegeben.
zentralplus: Bauten enthalten immer auch eine Aussage, wie die Bewohner leben. Haben Sie Erkenntnisse über die bäuerlichen Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewonnen?
Furrer: Selbstverständlich. Ein Beispiel: In den alpinen Streuhöfen wechselten Bauernfamilien einst mehrmals jährlich zwischen den Höhen- und Nutzungsstufen. Da hatte man einen Talbetrieb mit Wohnhaus und Hauptscheune. Hinzu kam ein Maiensäss, ebenfalls mit einem kleinen Wohnhaus, und es gesellten sich – je nach Hanglage – weitere drei bis vier Kleinscheunen hinzu. Der Milch und Käse produzierende Bauer betrieb überdies eine Alp mit verschiedenen Stafeln, die je nach Wetter und Vegetation genutzt wurden. Für jeden Stafel, auf dem das Vieh weidete, brauchte der Bauer eine kleine Unterkunft, etwa in Form einer Sennhütte. Ein einziger landwirtschaftlicher Betrieb konnte so gut und gerne bis zu zwanzig oder dreissig Kleinbauten umfassen. Schliesslich geben zahlreiche Bauten für die Obstverwertung – etwa Dörrhäuser, Trotten, Brennereien und Trestergestelle – einen vertieften Einblick in diese spezifischen Betriebszweige der Landwirtschaft.
zentralplus: Viele Schweizer sind stolz auf die Vielfalt helvetischer Bauernhäuser und brüsten sich gerne mit ihrem Laienwissen über regionaltypische Unterschiede.
Furrer: Die Sache mit der Vielfalt und den ausgeprägten regionalen Unterschieden klingt zwar gut, stimmt aber nur bedingt. Gross war die Vielfalt eigentlich nur im 18. Jahrhundert. Je weiter zurück man forscht, desto ähnlicher werden sich die Bauernhäuser in ihrer Gestaltung und Konstruktion. Das Gleiche gilt für die neuere Zeit. Im 19. und 20. Jahrhundert findet man in der Schweiz Bauernhäuser vor, die sehr ähnlich konstruiert sind. Als Hypothese darf ich dennoch von regionaltypischen Bauernhäusern ausgehen: Typisch für das Engadiner Bauernhaus sind die wuchtigen Steinmauern, die oftmals mit der Sgraffito-Technik verziert sind, wobei Scheune und Wohnhaus durch ein grosses Portal beziehungsweise den dahinter anschliessenden Sulèr verbunden sind. In der Ostschweiz dagegen sind Fachwerkhäuser verbreitet und in der Westschweiz und im Tessin dominiert der Steinbau. In der Innerschweiz haben wir viele Blockbauten aus Holz mit Klebdächern, eine Art Schutzdach über den Fenstern entlang der Giebelfront. Beim typischen Emmentaler Bauernhaus erstreckt sich ein langes Walmdach über Wohnbereich, Tenne und Stall. Hinzu kommt oft ein verzierter Giebelbogen am Wohnhaus, die sogenannte Ründe.
zentralplus: Es fällt auf, dass in manchen Regionen mehr Wert auf die Fassade und andernorts mehr Wert auf die Innenausstattung der Bauten gelegt wird.
Furrer: Hier geht es um die Frage, wie viel man öffentlich preisgibt. Zum Beispiel im Berner Oberland findet man Bauernhäuser mit grossen, farbigen und dekorativen Holzfassaden, im Innern aber sind sie sehr nüchtern ausgestattet. In der Innerschweiz ist es gerade umgekehrt. Da kommen die Bauernhäuser gegen aussen oftmals schlicht daher, sind dafür im Innern üppig dekoriert und bemalt und begeistern durch «gute Stuben» mit reichhaltig geschnitzten Holzbüffets, Kommoden und kunstvoller Täfelung. Auch die religiöse Haltung manifestiert sich in der Ausgestaltung der Bauernhäuser. In reformierten Gegenden stösst man auf Hausfassaden mit Bibelsprüchen in dekorativen Schriften. Bei Innerschweizer Bauernhäusern fehlt dies fast ganz, dafür findet man reich geschmückte Herrgottswinkel in Stubenecken oder frivole Zeichnungen wie Nacktdarstellungen von Adam und Eva sowie anmutige «Bildstöckli», eine Art Mini-Kapellen im Freien.
Im Berner Oberland sind die Hausfassaden oft reich geschnitzt, bemalt und mit Inschriften versehen. Ein florierender Vieh- und Käsehandel brachte Bargeld und erlaubte es Bauern, ihren Wohlstand zur Geltung zu bringen. Saanen, Pfyffenegg 10, dat. 1659.
Im Engadin dominierte vor dem Dreissigjährigen Krieg die Holzbauweise. Nach massiven Zerstörungen erfolgte der Wiederaufbau unter massgeblichem Einfluss zugezogener Handwerker aus der Region Comersee. Nicht selten sind Stube und Schlafkammern aus Holz, von aussen jedoch wegen der Mantelmauern nicht erkennbar. Die verputzten Mauern bieten genügend Flächen für dekorativen Kratzputz (Sgraffito) und Malerei. Ardez, Haus Paradies, dat. 1647.In Nordbünden bestehen die Wohnhäuser aus kantig beschlagenem Nadelholz, die Fichtenstämme älterer Scheunen hat man als Rundhölzer kreuzweise übereinandergeschichtet und verkämmt. Vrin, Dorf. Im Laufe der Zeit wurde gutes Bauholz infolge Dorfbränden und Kriegszerstörungen zur Mangelware. Man behalf sich mit der Fachwerkbauweise. Eisenoxyd-Farbpigmente geben die charakteristische, rote Farbe. „Ochsenblut“ spielt dabei bestenfalls als Bindemittel eine Rolle. Amriswil (TG). Im Laufe der Zeit wurde gutes Bauholz infolge Dorfbränden und Kriegszerstörungen zur Mangelware. Man behalf sich mit der Fachwerkbauweise. Die Riegel und Streben wirken zusammen mit den verputzten Feldern dekorativ. Als Faustregel gilt: je kleinteiliger die Felder, desto jünger ist das Fachwerk. Zihlschlacht (TG). Einflüsse aus dem norditalienischen Kulturraum prägen die Bauweise in den Schweizer Südtälern. Die Bruchsteine sind sorgfältig behauen und ergeben auch ohne Kalkmörtel ein stabiles Gefüge. Oft gibt es nur einen Raum pro Geschoss. Gneisplatten eignen sich hervorragend als dauerhaftes Dach, aber die Dachlast muss mit einem klugen Gespärre in die Hauswände abgeleitet werden, denn im Winter kann meterhoher Schnee dazukommen. Corippo (TI). Einflüsse aus dem norditalienischen Kulturraum prägen die Bauweise in den Schweizer Südtälern. Die Bruchsteine sind sorgfältig behauen und ergeben auch ohne Kalkmörtel ein stabiles Gefüge. Gneisplatten eignen sich hervorragend als dauerhaftes Dach. Nach Süden ausgerichtete Lauben („Loggia“) eignen sich hervorragend zum Trocknen von Maiskolben. Indemini (TI) In der ganzen Zentralschweiz, in den Zentral- und Voralpen herrscht die Blockbauweise vor. Gradwüchsiges Nadelholz eignet sich hervorragend als Baumaterial. Sorgfältig ausgewählt und gepflegt ist es sehr dauerhaft. Im Isenthal (UR) und Emmeten (NW) hat man die kostbaren Glasfenster mit farbigen Zug- und Schiebeläden geschützt. Isenthal, Ringli, dat. 1795. In der ganzen Zentralschweiz, in den Zentral- und Voralpen herrscht die Blockbauweise vor. Gradwüchsiges Nadelholz eignet sich hervorragend als Baumaterial. Sorgfältig ausgewählt und gepflegt ist es sehr dauerhaft. Stall in Brig, Brigerbad. In der ganzen Zentralschweiz, in den Zentral- und Voralpen herrscht die Blockbauweise vor. Gradwüchsiges Nadelholz eignet sich hervorragend als Baumaterial. Sorgfältig ausgewählt und gepflegt ist es sehr dauerhaft. Cham, Oberwil, dat. 1805. In der ganzen Zentralschweiz, in den Zentral- und Voralpen herrscht die Blockbauweise vor. Gradwüchsiges Nadelholz eignet sich hervorragend als Baumaterial. Sorgfältig ausgewählt und gepflegt ist es sehr dauerhaft. Menzingen, Schwand, Ratsherrenhaus, dat. 1805.
zentralplus: Sie haben intensive Feldrecherchen betrieben und Leute zu Hause besucht und interviewt. Auf welche schriftlichen Quellen stützten Sie sich?
Furrer: Wir verbrachten viel Zeit in Archiven der Einwohner- und Kirchgemeinden sowie Korporationen. Wir konsultierten Grundbücher, Katasterpläne und Akten zur Bauholzvergabe – sofern vorhanden! In der einst dezentral organisierten Innerschweiz fehlten uns teilweise wichtige Quellen zur Hausforschung. Im zentral organisierten Mittelland sah es besser aus. Hier hatten Baugesuche an einer bestimmten Stelle eingereicht werden müssen und es hatte schon 1812 eine obligatorische Gebäudeversicherung und entsprechende Lagerbücher gegeben. Dank diesen konnten unter anderem Eigentümer, Gebäudefunktion sowie Materialien für Dach- und Wandaufbau eruiert werden. Mit diesen Informationen liessen sich etwa Verbreitungsarten zu Stroh- oder Schindeldächern im 19. Jahrhundert ableiten. Die Gebäudeversicherung beeinflusste übrigens indirekt auch die Materialwahl für die Bauten: In Kantonen, die schon früh eine obligatorische Gebäudeversicherung kannten, findet man tendenziell weniger Holzbauten, weil leicht brennbares Material die Versicherungsprämien in die Höhe trieb.
zentralplus: Wie lauten Ihre spannendsten und überraschendsten Erkenntnisse aus der langjährigen Forschungstätigkeit?
Furrer: Ein Höhepunkt der Forschung in der Zentralschweiz war sicherlich die Entdeckung von mehr als zwei Dutzend spätmittelalterlichen Blockbauten im Kanton Schwyz. Ihre charakteristischen Merkmale sind die fassadensichtigen Boden- und Deckenbohlen und das Fehlen von Firstkammern. Solche Wohnhäuser haben sich im Talkessel von Schwyz in erstaunlich hoher Zahl erhalten. Einige sind bis heute bewohnt, andere stehen leer. Die Küche entpuppte sich für uns Forscher auch als ein interessanter Raum, nicht zuletzt, weil sie im bäuerlichen Alltag keinen hohen Stellenwert hatte. Schliesslich war sie das Wirkungsfeld der Frauen. Die Küche hatte meist nur wenig Tageslicht. Wasserleitungen, die direkt zu Haus und Küche führten, gab es lange Zeit nicht. Hatte der Bauer ein wenig Geld auf der Seite, wurde konsequent in den Stall investiert oder man kaufte eine Kuh oder ein Stück Land, was wiederum Ertrag abwarf.
zentralplus: Apropos Schwyz: Was denken Sie, wenn Sie hören, dass die Schwyzer Regierung ein 700 Jahre altes Haus, das aus der Gründungszeit der Eidgenossenschaft stammt, zum Abriss freigibt?
Furrer: Die Schwyzer Regierung ignoriert – bewusst oder unbewusst – den Wert dieser Bauten. Das ist mir ein Rätsel und zeugt nicht von Verständnis und Bewusstsein für Geschichte. Beim Haus an der Lauigasse in Steinen handelt es sich um ein Objekt, das zu einer europaweit einmaligen Holzhäuserlandschaft gehört. Andernorts würden diese Häuser zum UNESCO Welterbe gehören. Im Kanton Schwyz will man sie abreissen mit der Begründung, darin lasse sich nicht komfortabel wohnen, eine Renovation komme zu teuer beziehungsweise im Ballenberg stehe ja bereits ein Haus aus dieser Epoche. Diese Haltung ist von Desinteresse, Kultur- und Phantasielosigkeit geprägt.
zentralplus: Wie sieht es mit der Qualität von heutigen ländlichen Bauten aus? Wird da überhaupt noch Wert auf gute Architektur und schöne Details gelegt?
Furrer: Von Architektur würde ich nicht reden. Bei den Ökonomiegebäuden setzt man auf standardisierte Verfahren und zweckmässigen Elementbau. Das wird von den Amtsstellen des Bundes auch bewusst so gesteuert, indem man diese Art von Bauten subventioniert. Es heisst, es müsse kostengünstig sein, man solle bei der Arbeit und beim Material sparen. Da nimmt man dann ein Dach aus Welleternit, das nicht viel wiegt und das folglich keine starke Dachkonstruktion braucht. Als Unterbau dient irgendeine vernagelte Konstruktion. Die Lebensdauer eines solchen Gebäudes beträgt fünfzehn bis maximal zwanzig Jahre. Bei den neu erstellten Wohnbauten auf Bauernhöfen mag die Lebensdauer etwas höher sein, aber auch da sind in der Tendenz die Qualitätsansprüche und Ambitionen eher gering.
zentralplus: Welche Bauten favorisieren Sie persönlich?
Furrer: Ich kann mich für Sennhütten ganz besonders begeistern und mag die Bauernhäuser im Engadin. In dieser Region spürt man generell eine hohe Sensibilität und ein Bewusstsein für das Kulturgut Bauernhaus. Entsprechend sorgfältig geht man mit der historischen Bausubstanz um und ist stolz auf sie. Ich selber verbringe seit 25 Jahren Ferien in einem traditionellen Bauernhaus in Ftan aus dem 17. Jahrhundert. Die Wohnräume wurden gekonnt, liebevoll und kreativ modernisiert, sodass der Geist der früheren Zeit immer noch spür- und sichtbar ist.
Dr. Benno Furrer, Jg.1953, ist gebürtiger Urner und schloss sein Studium an der Universität Zürich im Fach Geografie mit einer Dissertation über Wandlungsprozesse der Urner Alpwirtschaft und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Alpgebäude ab. Er verfasste die Bände Uri (1985) sowie Schwyz und Zug (1994) der Reihe «Bauernhäuser der Schweiz». Von 1989 bis Ende 2019 war er wissenschaftlicher Leiter der Schweizerischen Bauernhausforschung. 1989 bis 1992 hielt er an den Universitäten Basel und Zürich verschiedene Vorlesungszyklen zu Themen der Hausforschung. Furrer wohnt in Cham (ZG).

Auf der kommenden Velo-Kultour erradelt Pro Velo Zug ungefähr eine Handvoll alte Zuger Bauernhäuser, die umgebaut, renoviert, aber auch abgerissen wurden. Benno Furrer, Projektleiter Bauernhausforschung Schweiz, wird die Gruppe als Experte auf dieser Radtour begleiten, Interessierte auf die Vielfalt der Bauten und deren Gestaltung aufmerksam machen und Geschichten über das bäuerliche Leben und die Landschaft erzählen. Die Tour beginnt in Cham und führt weiter zur Grenze von Zürich und Aargau, um schliesslich wieder Richtung Zugersee zurückzukehren. Gegen 20 km werden im Ennetseegebiet mit dem Velo zurückgelegt. Die Velo-Kultour wird bei jeder Witterung durchgeführt und eine kleine Stärkung erwartet die Teilnehmenden unterwegs.
Treffpunkt: 10 Uhr, Cham Schluechthof, Bergackerstrasse 44
Dauer ca. 3 Stunden
Anmeldung nicht notwendig. Kostenlos.
Schutzkonzept für Veranstaltungen vorhanden.
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