Rundgang mit dem Botschafter von Luzern Nord

Bauboom am Seetalplatz: «Teilweise prallen Welten aufeinander»

Ist Manager von fünf Entwicklungsgebieten: Christoph Zurflüh am Seetalplatz.

(Bild: jal)

Rund um den Seetalplatz entsteht ein neues Stadtzentrum mit tausenden Arbeitsplätzen und Wohnungen. Und das in einer Gemeinde, die sich weigert, sich Stadt zu nennen. Dass alle mit ins Boot geholt werden, ist seit kurzem Aufgabe von Christoph Zurflüh. zentralplus hat den neuen Gebietsmanager auf einem Rundgang begleitet.

Christoph Zurflüh steht auf einem Container der Zwischennutzung N49 und blickt über den Seetalplatz. «Unser Ziel ist die Transformation von einem Verkehrsort zu einem belebten Zentrum», sagt er. «Dieser Wandel hat bereits angefangen.»

1500 neue Wohnungen sollen im Norden von Luzern entstehen, für über 3000 Bewohner. Dazu kommen 4000 Arbeits- und 850 Studienplätze. Platz für mehr Leute, als manche Luzerner Gemeinde zählt. 

Dass dieser Prozess möglichst reibungslos über die Bühne geht, dafür ist Zurflüh mitverantwortlich. Seit Anfang September ist er Gebietsmanager von Luzern Nord. Was abstrakt klingt, ist faktisch eine Drehscheibe. Er vermittelt zwischen Behörden, Unternehmen, Investoren und der Bevölkerung. Oder wie es der 32-Jährige selber sagt: «Ich bin einerseits Koordinator, andererseits Botschafter dieses Raums – und manchmal auch der Motor.»

Fünf Areale umfassen sein Wirken: der Seetalplatz, die Viscosistadt, Reussbühl, der Reusszopf und Ibach (siehe Grafik).

Der Puls im Herzen steigt

Wir starten am Seetalplatz, laut Zurflüh das Herz des Entwicklungsgebietes. Wo zurzeit Kohlrabi wachsen und Tätowierer oder Theaterschaffende ein temporäres Zuhause finden, werden in einigen Jahren über 1000 Angestellte des Kantons in einem neuen Gebäude arbeiten.

«In den Köpfen der Leute muss man diesen Ort neu besetzen.»

Christoph Zurflüh, Gebietsmanager Luzern Nord

Ebenfalls dem Kanton gehört das Feld in der Mitte, wo zurzeit Steinhaufen das Bild prägen. In einigen Jahren wird dort gewohnt, drei Blöcke sind geplant. Leben inmitten des grössten Verkehrsknotens – kann das attraktiv sein? Zurflüh ist sich bewusst, dass das nicht allen zusagt. «In den Köpfen der Leute muss man diesen Ort neu besetzen.»

So könnte sich der Seetalplatz entwickeln. (Visualisierung: nightnurse images GmbH)

Das Centrum Seetalplatz mit dem Kino Maxx gleicht sich optisch dem Industrieflair an. (Visualisierung: nightnurse images GmbH)

Noch vorher, bereits 2019 sollen die Bauarbeiten für den Erweiterungsbau des Centrums Seetalplatz mit dem Kino Maxx beginnen. «Wo wir heute eher eine amerikanisch geprägte Fassade haben, ist es den Architekten gelungen, dem Neubau das Gesicht der Industrie zu verleihen», lobt Zurflüh, während im Hintergrund mit kreischenden Geräuschen ein Zug vorbeizieht.

Tatort mit Industriecharme

Die Industrie ist das Spezielle in der Viscosistadt. Dort, wo laut Zurflüh die angesprochene Transformation bereits am weitesten fortgeschritten ist. Ein Industriegelände, das sich in ein hippes, kreatives Quartier verwandelt. Seit dem Sommer 2016 gehen die Hälfte der Kunsti-Studenten hier ein und aus. Zurzeit wird ein Neubau für den zweiten Teil der Hochschule Luzern – Design & Kunst erstellt, der im nächsten Sommer bezugsbereit ist. Stehen am Seetalplatz Wohnen und Arbeiten im Vordergrund, habe hier auch Kultur und Freizeit einen grossen Stellenwert.

Schauplatz der Luzerner Ermittler: In der Viscosistadt wurde am Freitag eine Szene für den neuen «Tatort» gedreht.

Schauplatz der Luzerner Ermittler: In der Viscosistadt wurde am Freitag eine Szene für den neuen «Tatort» gedreht.

(Bild: jal)

Nach der Kantine Nylon 7 am Eingangstor zur Viscosistadt biegen wir um die Ecke. Schwere Scheinwerfer auf einem Gerüst werfen Licht in die Räume im dritten Stock. Dort oben liegen die Büros von Flückiger und Ritschard, es wird gerade eine Szene für den letzten Luzerner «Tatort» gedreht. Für Zurflüh ein Beispiel dafür, was hier möglich ist. «In manchen Gebäuden wird gelehrt, in anderen noch produziert, es gibt Kultur und eine Event-Location – alles nebeneinander.»

Gesellschaftliche Wachstumsschmerzen

Alleine die Viscosistadt ist so gross wie die Luzerner Altstadt. Sich Stadt nennen will Emmen aber nicht. In der Gemeinde erwachen kritische Stimmen zum Wachstum, eine Initiative will dieses gar deckeln (zentralplus berichtete). «Das ist ein Thema, das viele beschäftigt – und das spüren wir», sagt Zurflüh.

Der Luzerner sieht seine Aufgabe auch darin, Verständnis zu schaffen und Chancen aufzuzeigen. Etwa, dass es Sinn macht, im Zentrum zu bauen statt auf der grünen Wiese. Er zeigt gleichzeitig auch Verständnis: «Teilweise prallen Welten aufeinander, denn es gibt noch Generationen, die in einem dörflich geprägten Emmen aufwuchsen. Wenn eine Entwicklung der Bevölkerung zu schnell geht, muss man ihre Wünsche abholen und einbinden.»

Die Wachstumskritik sei auch in anderen Teilen der Agglomeration, etwa beim Mattenhof Kriens oder im MParc-Areal Ebikon, zu beobachten. Doch Zurflüh beruhigt: «Es kommt nicht alles miteinander. Wir reden vielmehr von einer schrittweisen Entwicklung, die über Jahrzehnte erfolgt.»

Die Projekte rund um den Seetalplatz im Überblick:

Einen nächsten Schritt vorwärts geht es auch auf unserem Rundgang – und zwar ins Grüne. Direkt neben der Viscosistadt treibt die Kleine Emme zum Seetalplatz, das Restaurant Stadtalp bringt den Alpenchic in den urbanen Raum, am Horizont thront der Pilatus, noch weiter entfernt glitzern schneebedeckte Gipfel. Und damit nicht genug der Idylle: Nächstes Jahr wird hier, direkt am Fluss, ein Park eröffnet.

Verschwindet alles Wilde und es wird geordnet, vielleicht sogar bünzlig? «Der Masterplan für das Gebiet gibt vor, dass es keine ‹Gated Communities› gibt, sondern auch öffentlich zugängliche Freiräume.» Etwa auf dem Seetalplatz, wo inmitten der Verkehrsflüsse ein öffentlicher Platz entsteht.

So gut alles klingt, wird das auch bezahlbar – oder ein Stadtteil nur für Gutbetuchte? «Es ist vorgespurt, dass ein Anteil der Wohnungen bezahlbar sein wird. Eine Gentrifizierung wird in diesem Raum nicht das Problem werden», sagt Zurflüh. Ein guter Mix zwischen Arbeiten, Wohnen, Kultur und Bildung sei wichtig, «so dass der Raum nicht tagsüber oder abends einfach tot ist».

Wo der Geräuschpegel sinkt

Ein paar Ampeln und Fussgängerstreifen später landen wir in Reussbühl. Das urbane Ambiente weicht hier einem Quartierflair. Die Kirchglocke läutet – und das fällt auf, weil der Geräuschpegel mit jedem Meter, den man sich vom Seetalplatz entfernt, merklich sinkt. Denn die Hauptstrasse bis zum Kreisel ist seit der Verkehrssanierung nur noch für Busse und Velos befahrbar.

Eine neue Überbauung wird den Strassenlärm noch mehr abschirmen. Wo heute ein Rasenfeld trostlos eingezäunt ist, plant die Baugenossenschaft Reussbühl für 47 Millionen Franken Wohnungen und Gewerbeflächen (zentralplus berichtete).

Gleich gegenüber fällt die CKW-Shedhalle ins Auge. Die Diskussion um deren Zukunft läuft. «Zurzeit wird angestrebt, die Shedhalle zur Hälfte zu erhalten. Sie ist, vor allem statisch, in einem schlechten Zustand, aber ein wichtiger Zeitzeuge der Textilindustrie vor Ort», sagt Zurflüh. Unter diesen Voraussetzungen wird die bestehende Testplanung nun überarbeitet.

Eine Betonfläche mit Potenzial: Der Parkplatz hinter dem CKW-Hauptsitz in Reussbühl West.

Eine Betonfläche mit Potenzial: Der Parkplatz hinter dem CKW-Hauptsitz in Reussbühl West.

(Bild: jal)

Der Abschnitt mit der CKW-Halle gehört zum Areal, das die Verantwortlichen Reussbühl West nennen. Es ist planerisch wohl noch am wenigsten fortgeschritten – und medial kaum präsent. Ein paar Schritte weiter, beim CKW-Hauptsitz, erstreckt sich auf einer grossen Fläche ein Parkplatz, wie man ihn in der Luzerner Innenstadt wohl nirgends mehr findet. Ein Auslaufmodell, das nicht mehr ins Konzept urbaner Gebiete zu passen scheint.

«Am Seetalplatz wird sicher nicht jeder einen eigenen Parkplatz haben.»

«Wenn man verdichten will, muss man solche Räume definitiv effizienter nutzen. Das heisst, die Mehrheit der Parkplätze muss in den Untergrund.» Auch das ist bereits heute klar: Wer künftig im Norden von Luzern wohnt oder arbeitet, wird nicht zwingend ein eigenes Auto besitzen. «Am Seetalplatz wird sicher nicht jeder einen eigenen Parkplatz haben», sagt Zurflüh. Dafür haben die Strassen weder Kapazität noch sei es nötig, da der Bus-Hub,die S-Bahnen und neue Sharing-Angebote direkt vor der Haustür warten.

Mit Mobilitätsfragen kennt sich Zurflüh aus. Er war während fünf Jahren Sprecher beim Verkehrsverbund Luzern, führt die Geschäftsstelle des Komitees für den Durchgangsbahnhof und betreibt mit zwei Partnern eine Mobilitätsfirma. Ein Drahtzieher, der im Hintergrund viel Einfluss nimmt? Zurflüh winkt ab. «Ich kann mithelfen, dass alle Beteiligten in dieselbe Richtung gehen, aber eine total neue Richtung einschlagen kann ich nicht alleine.»

Der grüne Flecken und das Gewerbe

Wir überqueren die Strasse und gelangen via eine nicht gerade wohlriechende Bahnunterführung an die Reuss. Am Nordpol haben die Buvette und das Reussschwimmen diesen Sommer für einen grossen Ansturm gesorgt. «Das neue Zentrum am Fluss», so nennt der Gebietsmanager die Vision von Luzern Nord. Erholung gleich um die Ecke versprechen die Verantwortlichen. In der Nähe bellt ein Hund heiser.

Im Hintergrund erhebt sich die Kehrichtverbrennungsanlage von Ibach, die bald abgerissen und den Blick auf die Rigi freigeben wird (zentralplus berichtete). Auch dieses Gebiet gehört zu Luzern Nord. Dort steht das Arbeiten im Fokus. «Gewerbe, und auch etwas lauteres Gewerbe, muss auch Platz haben.

Nach fünf Kilometern Spaziergang und über 7000 Schritten sind wir zurück am Seetalplatz. Zum Schluss die Frage: Wird das neue Zentrum genauso attraktiv wie die Neustadt? «Ja, davon bin ich überzeugt», sagt Zurflüh, findet den Vergleich mit der Neustadt jedoch nicht passend. «Der Stadtteil hier wird einen ganz anderen Charakter haben, aber es wird ein interessanter und attraktiver Ort.»

Christoph Zurflüh am Reusszopf, der grünen Lunge des neuen Stadtteils rund um den Seetalplatz.

Christoph Zurflüh am Reusszopf, der grünen Lunge des neuen Stadtteils rund um den Seetalplatz.

(Bild: jal)

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