Mobilitäts-Expertin will Firmen für ÖV begeistern

«Autofahrer sind nicht immer ehrlich zu sich selbst»

Am Hirschengraben in Luzern staut sich der Verkehr zu den Hauptverkehrszeiten regelmässig. (Bild: zvg)

Immer mehr Verkehr, immer längere Morgenstaus in Luzern. Wie kann dem entgegengewirkt werden? Jemand, der Antworten auf diese Fragen hat, ist Sarah Troxler. Sie berät Firmen dabei, wie die Mitarbeiter bewegt werden können, vom Auto auf den ÖV umzusteigen.

Es werden mehr und mehr Autos im Kanton Luzern. Von weniger als 170'000 im Jahr 2005 bis über 216'000 2018. Einzig 2018 hat der Bestand im Vergleich zum Jahr davor leicht abgenommen. Gemäss Lustat hatten 2015 vier von fünf Haushalten ein Auto. Das Resultat: Die Strassen werden voller, die allmorgendlichen Staus länger. Was also tun, um der immer grösser werdenden Blechlawine Herr zu werden?

Genau diese Frage stellt sich Sarah Troxler (29) tagtäglich. Nicht nur im Hinblick auf ihr eigenes Mobilitätsverhalten, sondern auch mit Blick auf Unternehmen. Die Luzernerin berät im Auftrag des Tarifverbundes Passepartout Firmen und Behörden zum Thema Mobilität. Gemeinsam mit ihnen arbeitet sie Lösungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs aus.

zentralplus: Sarah Troxler, viele fahren immer noch mit dem Auto zur Arbeit, weil sie das Gefühl haben, sie brauchen diese Flexibilität. Es gehe nicht anders. Wie kann man aufzeigen, dass es oftmals doch anders gehen würde?

Sarah Troxler: Da sind wir bei der Gewohnheit der Leute à la «ich habe es schon immer so gemacht». Doch wenn man monatlich 250 Franken für einen Parkplatz bezahlen muss, tut dies schon weh. Hinzu kommt der tägliche Stau. Dies muss man den Leuten bewusst machen. Autofahrer sind da nicht immer ehrlich zu sich selbst, glauben, dass sie mit dem Auto viel schneller und flexibler seien.

«Der ÖV ist nun mal umweltfreundlicher und flächeneffizienter.»

zentralplus: Was können Sie in Ihrem Job tun, um dem entgegenzuwirken?

Troxler: Wir versuchen als Tarifverbund des öffentlichen Verkehrs, das Thema Mobilität immer wieder spielerisch aufzugreifen. Beispielsweise haben wir einen Pendlerrechner erstellt. Auf der Website kann man die Pendlerkosten berechnen, wie viel man finanziell und ökologisch pro Monat mit dem ÖV einsparen kann. Dies wird dann grafisch dargestellt. Ich habe grosse Hoffnungen in unsere Generation. Der ÖV ist nun mal umweltfreundlicher und flächeneffizienter. Es ist ja offensichtlich: In einen Bus passen 50 bis 80 Leute, während im Auto im Arbeitsverkehr durchschnittlich 1,1 Person sitzt.

zentralplus: Worauf legen Sie bei Ihrer Arbeit den Fokus?

Troxler: In meinem Bereich geht es vor allem um das Verhalten der Leute in Bezug auf die Mobilität. Ein Unternehmen hat diesbezüglich durch die Schaffung von Rahmenbedingungen einen riesigen Hebel in der Hand. Es geht darum, wie, aber auch wann und ob die Leute ins Büro kommen. Stichworte hier sind flexible Arbeitszeiten und Home Office. Viele Unternehmen haben noch nicht realisiert, dass Mobilität viel mit der Unternehmenskultur zu tun hat. In einer SBB-Studie ging es darum, ob die Schweizer bereit wären, zu einer anderen Zeit unterwegs zu sein. Resultat: Eines der grössten Hindernisse dabei ist der negative soziale Stress, welcher ausgelöst wird, wenn man erst um 9 oder 10 Uhr ins Büro kommt. Dabei hat man unter Umständen davor bereits eineinhalb Stunden zuhause gearbeitet.

«Zwei Drittel unserer Arbeitsplätze sind Dienstleistungsjobs. Hier könnte zeitunabhängig gearbeitet werden.»

zentralplus: Solche Verhaltensmuster haben sich teils über Jahrzehnte eingebürgert. Wie kann man diese Strukturen und Verhaltensweisen aufbrechen?

Troxler: Es gibt zum Beispiel das Flexwork-Phasenmodell der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dort werden verschiedenste Ebenen aufgegriffen, die man berücksichtigen muss, wenn man solche Veränderungen herbeiführen will. Das eine ist die Infrastruktur. Wenn man einen fixen Arbeitsplatz hat, einen Computer, den man nicht nach Hause nehmen kann, kein Smartphone, mit welchem man unterwegs einen Hot Spot einrichten kann, wird sich nichts ändern. Zudem geht es um die Führung. Wenn eine Arbeitskultur herrscht, wo der Mitarbeiter am Morgen kommt und informiert wird, er habe dies und jenes zu tun, und dies physisch und nicht telefonisch oder per Skype passiert, wird es wiederum schwierig. Selbstverständlich gibt es Berufe, bei denen es nicht anders möglich ist. Doch: Zwei Drittel unserer Arbeitsplätze sind Dienstleistungsjobs. Hier könnte zeitunabhängig gearbeitet werden – eine beachtliche Zahl.

zentralplus: Müsste man nicht auch mehr finanzielle Anreize schaffen, damit die Leute auf den ÖV umsteigen? Ich höre oft, «ich würde gerne öfters den Zug benutzen, doch es ist mir schlicht zu teuer».

Troxler: Der ÖV in der Schweiz hat ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis mit einer hohen Netz- und Angebotsdichte in weite Teile der Schweiz. Die Preise liegen gemäss einer Studie des Forschungsinstituts Infras im Mittelfeld. Verglichen wurden die Tarife in Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Grossbritannien und der Schweiz. Sehr vorteilhaft sind die Preise für Abonnemente für Vielfahrer in der Schweiz, sprich GA und Verbundbillette. Auch das Fahren im innerstädtischen Verkehr und von der Stadt aufs Land ist günstig. Vergleichsweise teuer sind hingegen Einzelfahrten in der Schweiz. Mit zahlreichen Sparmöglichkeiten und Vergünstigung wie zum Beispiel mit dem Sparbillett fahren Kundinnen und Kunden allerdings sehr günstig. Diese sogenannten Push- und Pull-Faktoren finden sich auch im ÖV-Bericht des Kantons Luzern.

«Der Erfolg schlägt sich mittel- bis langfristig nieder.»

zentralplus: Was heisst das konkret?

Troxler: Die Pull-Faktoren sind die Anreize. Solche können etwa geschaffen werden, wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern nicht bloss Gratis-Parkplätze zur Verfügung stellen und die Velofahrer, Fussgänger und ÖV-Nutzer ausser Acht lassen. Ansonsten haben diese keinen Anreiz, auf das Auto zu verzichten. Hinzu kommen Kooperationen mit Schulen, damit die Unterrichtszeiten besser auf die Nebenverkehrszeiten gelegt werden. Dies gilt auch für die Unternehmen: Muss ein Meeting zwingend um 8 Uhr beginnen, damit alle zu den Hauptverkehrszeiten anreisen müssen? Ein wichtiger Anreiz sind Sparbillette, durch die die Leute motiviert werden sollen, zu Nebenverkehrszeiten unterwegs zu sein. Ein möglicher Push-Faktor ist, ein Parkplatzsystem auf dem Firmengelände nach marktüblichen Tarifen zu betreiben.

zentralplus: Kommen die Firmen auf euch zu mit dem Wunsch, ein gemeinsames Konzept auszuarbeiten?

Troxler: Das ist vermehrt der Fall. Meine Rolle ist es, zu beraten. Am Ende des Tages muss das Unternehmen dahinterstehen können. Ich kann das Unternehmen einzig in der Lösungsfindung und der Umsetzung der Massnahmen unterstützen. Zudem muss das Mobilitätsmanagement top-down, sprich von der Geschäftsleitung gestützt sein.

«Der Verkehr in der Stadt Luzern hat zwar abgenommen, sich dafür in die Agglomeration verlagert.»

zentralplus: Kann Ihr Erfolg in Zahlen ausgewiesen werden?

Troxler: Inzwischen sind wir so weit, dass die Unternehmen und Behörden bei ihren Mobilitätskonzepten den Modal Split als Messgrösse reinnehmen. Er zeigt in der Verkehrsstatistik, wie sich beim Transportaufkommen die verschiedenen Verkehrsmittel verteilen, und ist unsere Erfolgszahl. Wenn man Unternehmen davon überzeugen kann, bis 2022 den Auto-Anteil um 10 oder 15 Prozent senken zu wollen, bekommt das Ganze eine Verbindlichkeit und wird messbar. Der Erfolg schlägt sich mittel- bis langfristig nieder.

«Solange der Durchgangsbahnhof nicht kommt, wird es auf dem Schienennetz keine grossen Würfe mehr geben.»

zentralplus: Wo steht Luzern beim Modal Split im Vergleich zur restlichen Schweiz?

Troxler: Er ist sicherlich tiefer als im Wirtschaftsraum Zürich. Der ÖV-Anteil bewegt sich in Luzern bei durchschnittlich 21 Prozent. Den Grossteil macht der motorisierte Individualverkehr aus. Der Veloverkehr ist in den vergangenen Jahren nicht gross angestiegen. Eine zentrale Erkenntnis aus den aktuellsten Zahlen ist, dass der Verkehr in der Stadt Luzern zwar abgenommen, sich dafür in die Agglomeration verlagert hat.

zentralplus: Die Zahlen von Lustat werden alle fünf Jahre erhoben. Nächstes Jahr ist es wieder so weit. Wie werden sich die Zahlen seit der letzten Erhebung 2015 verändert haben?

Troxler: Der Modal Split 2020 wird wohl kaum signifikante Veränderungen aufweisen.

Sarah Troxler wohnt in Sursee. (Bild: SBB/Alessandro della Valle)

zentralplus: Warum nicht?

Troxler: Weil bezüglich Strasseninfrastruktur in dieser Region nicht viel passiert ist. Der kontinuierliche ÖV-Ausbau wie zum Beispiel die Bus- und Bahnverknüpfungen in Emmenbrücke Süd und die Optimierungen im Busnetz führen zu einer leichten Entwicklung in der Nachfrage. Solange der Durchgangsbahnhof nicht kommt, wird es auf dem Schienennetz keine grossen Würfe mehr geben. Natürlich hätte jede Randregion gerne einen Viertelstunden-Takt. Dann stellt sich jedoch umgehend die Kostenfrage. Wir können uns dies schlicht nicht leisten, weil die Nachfrage zu gering ist.

zentralplus: Wie wichtig ist es, dass die Verkehrsbetriebe ein Zeichen setzen, beispielsweise einen E-Bus kaufen oder testen (zentralplus berichtete)?

Troxler: Das hängt insbesondere vom Willen des Kantons ab. Er muss den Verkehrsbetrieben die nötigen Mittel zur Verfügung stellen. In Luzern läuft dies unter dem aktuellen Programm «AggloMobil 4». In enger Zusammenarbeit des Verkehrsverbundes Luzern mit den Transportunternehmen wurde eine E-Bus-Strategie entwickelt. Erste Massnahmen werden in den folgenden Jahren umgesetzt.

zentralplus: Sehen Sie Luzern verkehrstechnisch zurzeit auf einem guten Weg?

Troxler: Grundsätzlich ja. Der Kanton hat erkannt, dass hinsichtlich Mobilitätsmanagement viel Potenzial vorhanden ist. Die Angebotsentwicklung geht in die richtige Richtung. Wir sind alle gefordert, unseren Beitrag zu einer verträglichen und nachhaltigen Mobilität zu leisten. Gewohnheiten brechen und Neues ausprobieren sind zentrale Erfolgsfaktoren.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Stebel
    Hans Stebel, 01.09.2023, 23:27 Uhr

    Die Strasseninfrastruktur stammt aus den 70er Jahren und ist auf etwa 7 Mio. Einwohner ausgelegt. Zwischenzeitlich sind wir ja 9 Mio.

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