Reparieren ist besser als neu kaufen. Das Velo ist ein Transportmittel, nicht nur ein Spassgerät. Vom Öko-Gedanken geleitet hat Erwin Bestgen das Handwerk des Fahrradmechanikers erlernt – obwohl er nach eigenen Aussagen «zwei linke Hände» hatte.

- Regionales Leben
Trotz Extraschlaufe keinen Nachfolger gefunden «Aus die Maus»: Erwin Bestgens Baarer «Velo-Oase» versiegt bald
Es ist Frühling, die Zeit der Velomechs. Bei Erwin Bestgen sind die Auftragsbücher gerade gut gefüllt. «Es ist ein anstrengender Schlussspurt», sagt der 68-jährige. Eigentlich wollte er letztes Jahr in Pension gehen. Es sich vermehrt in seinem Rustico auf einer Alp im Tessin gut gehen lassen.
Doch sein designierter Nachfolger machte die Milchbuchrechnung und kam zum Schluss, dass sich das Geschäft nicht lohnt. Bestgen entschied, weiter zu suchen. Ohne Ergebnis: Nach 26 Jahren wird die Velo-Oase liquidiert. Am 4. Juli ist definitiv Schluss.
Reich geworden ist Bestgen nicht mit seinem Geschäft. Geld verdienen stand bei Bestgen in seiner Velo-Oase nie im Vordergrund. Antrieb war und ist vielmehr die umweltschonende Art, vorwärtszukommen.
Dank Theorie zum Veloladen
Als junger Mann noch Töfffahrer kam Bestgen dank «Theorie» zum Velo. Inspiriert von der Berliner alternativen Szene, trug er den Gedanken des einfachen, ressourcenschonenden Fortbewegungsmittels seit den 1970er-Jahren mit sich.
«Für mich hat es immer gereicht.»
Das Motto, welches ihn stets auf seinem Weg begleitete, steht auf der Logo-Tafel: «Reparieren, Occasionen, Neuvelos. In dieser Reihenfolge». Den Veloverkauf beschränkt er auf einheimische Marken. «Das lief zu Beginn recht gut, bis Billigmarken aus Asien den Markt überschwemmten.» Auf den Verkauf von teuren Mountain- und E-Bikes hat er bewusst verzichtet, weil sie nicht seiner Idee vom simplen, einfach reparierbaren Transportmittel entsprechen.
Erwin Bestgen vor seiner Werkstatt an der Inwilerstrasse in Baar. Diese Wüstenpalme wächst in der Velo-Oase seit 26 Jahren. In den vergangenen Jahren hat sich viel angesammelt: Zum Beispiel dieses «Sattelmodell» aus Holland. Dieses Kunstwerk aus Schrott ist das Werk eines Freundes. Kleine Sammelstücke und Geschenke dekorieren die Werkstatt. Noch hat Erwin Bestgen alle Hände voll zu tun. Doch am 4. Juli ist Schluss.
«Für mich hat es immer gereicht», sagt Bestgen schliesslich über die wirtschaftlichen Möglichkeiten seiner Reparaturwerkstatt. Auch wenn er sich einen Nachfolger gewünscht hätte, kann er verstehen, dass sein Geschäftsmodell wohl keines für jemanden ist, der genug Geld verdienen muss, um damit eine Familie zu ernähren.
Eine Reparaturwerkstatt, kein Verkaufsladen
Bevor Bestgen vor 26 Jahren seinen eigenen Laden an der Inwilerstrasse eröffnete, tummelte der Zürcher durch verschiedene Stationen. Zunächst ist er ausgebildeter SBB-Stationsbeamter, findet aber seine Bestimmung nicht in diesem Job.
Nach verschiedenen beruflichen Erfahrungen machte er die Anlehre zum Velomech, arbeitete als Tixi-Taxi-Fahrer in Zürich, später als Velomechaniker in Baar, bei der genossenschaftlichen Velowerkstatt Speichi. Der Ausstieg aus der Konsumgesellschaft war ein Thema, Stichwort Selbstversorgung. «Aber ein Leben als Bauer, das hätte mein Rücken damals nicht mitgemacht.»
«Das Gemeinsame an meinen vielen Stationen ist wohl das Thema Fortbewegung», sagt er. Schliesslich ergab sich 1996 die Möglichkeit, sich als Velomech selbständig zu machen. «Mit dem Namen ‹Velo-Oase› war ich da schon lange schwanger», sagt Bestgen. Gleich bei der Eröffnung sei mächtig was los gewesen.
Transportfahrten statt Veloferien
Obwohl sich bei ihm alles um zwei Räder dreht, war Bestgen selbst nie ein verbissener Gümmeler. Einige längere Touren strampelte er aber schon ab, etwa mit seiner Partnerin durch den französischen Jura oder als er per Zweirad die Kölner Fahrradmesse besuchte.
Zu seinen Höchstleistungen zählt aber vor allem auch, dass er einen Grossteil seines Mobiliars, das heute im Laden zur Liquidation stehen, per Velo und Anhänger transportiert hat. Etwa schwere Occassionsgestelle von Landis + Gyr, die er in Zug abgeholt hat. «Ich bin auf dem Weg zurück ein paar Mal fast stillgestanden», gibt er zu, «… aber nur fast».
Bestgen hat seine Philosophie der Einfachheit zeitlebens durchgezogen. Auch wenn sein Gedankengut heute wieder aktuell ist, hat er keinen Nachfolger für seinen Fahrradladen finden können. Er hat sich damit abgefunden.
Kleinere Reparaturen wird er für sich selbst und Freunde immer noch in einer kleinen, privaten Werkstatt durchführen. Einen beträchtlichen Teil der neugewonnenen Zeit will er aber in seinem Rustico verbringen. Doch bis es so weit ist, wird noch das eine oder andere Velo in seiner Werkstatt auf Vordermann gebracht.

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