Stadt Luzern: Wirtschaftsverband unter Beschuss

Aufstand der Kleingewerbler

Rund 150 Personen nahmen teil am Behördenapéro vom 24. September in der Luzerner Kornschütte. (Bild: lwo)

Es brodelt rund um den Stadtluzerner Wirtschaftsverband. Zum einen boykottierten Mitte-Links-Politiker kürzlich den vom Verband organisierten Behördenapéro und äussern nun offen Kritik an der Institution. Zum anderen wollen viele Kleingewerbler aus Mühe mit dem Wirtschaftsverband einen eigenen Verein gründen.

Neulich am alljährlichen Behördenapéro in der altehrwürdigen Kornschütte in der Luzerner Altstadt. Alle Stadtparlamentarier und Stadträte treffen sich an diesem 24. September mit Vertretern der Luzerner Wirtschaft. Um sich auszutauschen, Beziehungen zu pflegen, Kontakte zu knüpfen und dem Podium mit den städtischen Nationalratskandidaten zu lauschen.

Frust über einseitiges Podium

Alle Stadtparlamentarier? Nein. Sämtliche Vertreter der SP und Grünen (also 19 von insgesamt 48 Grossstadträten) boykottierten den Anlass. Und das aus gutem Grund, findet Nico van der Heiden, Fraktionschef der grössten Stadtpartei, der SP: «Beim Podium waren nur Vertreter der SVP, FDP, CVP und GLP vertreten.» Von den linken Kandidaten für die Wahl vom 18. Oktober sei keiner fürs Podium angefragt worden. «Wir haben uns einzeln beim Wirtschaftsverband beschwert und haben alle die gleiche Antwort erhalten: Es seien halt Personen auf dem Podium gewesen, die Mitglied beim städtischen Wirtschaftsverbandes seien.» Das aber stimmt so nicht, ärgert sich van der Heiden. Schliesslich habe sich auch Laura Kopp von der GLP präsentieren dürfen. Tatsächlich traten am Podium «nur» bürgerliche Nationalratskandidaten auf. Und zwar nebst Kopp noch Andrea Gmür (CVP), Damian Hunkeler (FDP) und Peter With (SVP). Allerdings wird dieser Behördenapéro auch vom Wirtschaftsverband selber organisiert – entsprechend liegt es auch an ihm, die Podiumsteilnehmer nach eigenem Gusto zu bestimmen.

Die vier Teilnehmer des Podiums am Behördenapéro vom 24. September in der Kornschütte: Andrea Gmür (von rechts), Peter With, Damian Hunkeler und Laura Kopp. Links aussen Moderator Andy Wolf.

Die vier Teilnehmer des Podiums am Behördenapéro vom 24. September in der Kornschütte: Andrea Gmür (von rechts), Peter With, Damian Hunkeler und Laura Kopp. Links aussen Moderator Andy Wolf.

(Bild: lwo)

«Zu wenig liberal, zu konservativ»

Obwohl die GLP mit Laura Kopp (nebenbei Präsidentin von Luzerner Bier) ein Mitglied aufs Podium stellen durfte, hält sich auch dort die Euphorie über den Wirtschaftsverband in engen Grenzen.

«In Verkehrsfragen stelle ich beim städtischen Wirtschaftsverband fachlich eine Inkompetenz fest.»

András Özvegyi, Fraktionschef GLP Stadt Luzern

Sehr engen, wenn man Fraktionschef András Özvegyi zuhört: «In Verkehrsfragen etwa stelle ich fachlich eine Inkompetenz fest: Zu schnell hat sich der WVL hinter die SVP-Verkehrsinitiative gestellt, obwohl sie wirtschaftsfeindlich ist.» Diese Initiative ist letzten Sonntag klar mit 68 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt worden. Und das Gesamtverkehrskonzept und die Mobilitätsstrategie seien vom WVL abgelehnt worden, obwohl von ausgewiesenen Verkehrsplanern und den vier Partnern – Stadt Luzern, Luzern Plus, Kanton, Verkehrsverbund Luzern – in jahrelanger Arbeit entwickelt. Özvegyi holt aber noch weiter aus: «Der WVL ist zu wenig liberal, er ist mir zu konservativ. Er hat keinen Mut, sich von alten Zöpfen zu trennen und sich neuen Entwicklungen zu stellen, etwa bezüglich Umgang mit Mobilität, mit Besitz, mit Umweltfragen und Nachhaltigkeit.» Zudem erkennt der GLP-Fraktionschef keinen Leistungsausweis des Wirtschaftsverbandes «im propagierten Hauptnutzen, Luzerns Wirtschaft zu stärken.»

«Die Einladung an uns war eine Farce.»

Korintha Bärtsch, Grüne

Seitens der Grünen begründet Fraktionschefin Korintha Bärtsch das Fernbleiben vom Behördenapéro wie folgt: «Dieses Jahr hat der Wirtschaftsverband ein Podium mit ausschliesslich bürgerlichen NationalratskandidatInnen gemacht. Das habe ich so interpretiert, dass sie nicht an einem Austausch mit uns interessiert sind. Ich habe für mich keinen Zweck gesehen, dabei zu sein, und deshalb die Veranstaltung boykottiert. Die Einladung an uns war eine Farce.»

Rund 150 Personen nahmen teil am Behördenapéro vom 24. September in der Luzerner Kornschütte.

Rund 150 Personen nahmen teil am Behördenapéro vom 24. September in der Luzerner Kornschütte.

(Bild: lwo)

50'000 Vollzeitarbeitsplätze

Der städtische Wirtschaftsförderer Peter Bucher hat bislang noch keine Kenntnis von der geplanten Kleingewerbler-Vereinigung. Er sagt: «Zwei Stimmen haben grundsätzlich mehr Gehör als eine. Allerdings nur, wenn diese beiden Stimmen in der Regel die gleichen Interessen haben. Sonst würde sich die Wirtschaft eher schwächen, und das wäre schlecht.»

Bucher kann zwar nachvollziehen, dass es gewisse unterschiedliche Ansprüche und Interessen von kleineren und grösseren Betrieben gibt. Allerdings verweist er auf die Statistik. Demnach gibt es in der Stadt Luzern gut 7'000 marktwirtschaftliche Betriebsstätten (Stand 2013). Davon haben gut 6'000 oder 85 Prozent weniger als 10 Mitarbeiter – also genau jene Grösse, welche die neue Vereinigung vertreten will. Diese Betriebe bieten umgerechnet rund 10'500 Vollzeitstellen. Insgesamt gibt es in der Stadt in den marktwirtschaftlichen Betrieben gut 50'000 Vollzeitarbeitsplätze – bei 80'000 Stadtbewohnern. Bucher sagt weiter: «Wir unterscheiden bei der Wirtschaftsförderung nicht nach Grösse. Allerdings ist klar, dass es in der Zusammenarbeit mit den Grossen mehr Fragen zu klären gibt.»

Einseitig und konservativ?

Doch das einseitig besetzte Podium am Behördenapéro war und ist nicht das einzige, woran sich Politiker links der Mitte bezüglich Wirtschaftsverband stören. «Der Vorstand des Vereins ist sehr einseitig, sehr konservativ besetzt. Da frage ich mich, ob sich das Gewerbe wirklich richtig vertreten fühlt», sagt weiter Daniel Furrer, SP-Grossstadtrat. Er kenne einige Gewerbler, die aufgrund der rechtsbürgerlichen Haltung des Verbandes unzufrieden mit diesem seien. Allerdings würden sich viele noch nicht trauen, öffentlich dazu zu stehen – aus Angst vor Repressionen.

Im Vorstand des städtischen Wirtschaftsverbandes sitzen drei Stadtparlamentarier: Thomas Gmür von der CVP, Reto Kessler von der FDP und Marcel Lingg von der SVP. Alle drei tendieren innerhalb ihrer Partei politisch eher nach rechts als nach links.

Auch CVP ist nicht nur glücklich

Auch seitens CVP gibt es Stimmen, die nicht alles gut finden, was der Wirtschaftsverband macht. Grossstadtrat Albert Schwarzenbach etwa wünscht sich in politischen Fragen manchmal eine «etwas offenere Haltung des Wirtschaftsverbandes». Schwarzenbach sagt weiter: «Generell neigt der Verband zu etwas rechten Positionen.» Ansonsten aber lobt der CVP-Mann, wie sich der Verband in letzter Zeit entwickelt hat und gewachsen ist. «Es ist wichtig, dass die Wirtschaft in der Stadt eine starke Stimme hat.»

Die gute Arbeit des WVL bestreitet auch CVP-Stadtpolitiker Roger Sonderegger nicht. Aber: «Speziell die Verkehrspolitik erachte ich als oberflächlich, die ist nicht fundiert.» Er kenne einige Gewerbler, die sich vom Verband deswegen schlecht vertreten fühlten. Wichtig zu wissen: Bezüglich der SVP-Verkehrsinitiative hat die CVP ein eigenes, bürgerliches Nein-Komitee gegründet.

«Wir fühlen uns vom Wirtschaftsverband nicht vertreten.»

Heinz Marti, Inhaber Sinnlicht GmbH

Eigener Verband, eigene Lobby

Doch die Kritik von Mitte-Links-Politikern dürfte den städtischen Wirtschaftsverband kaum gross beeindrucken. Der geplante Zusammenschluss von Kleingewerblern und auch Beizern zu einer eigenen Vereinigung könnte ihn da schon mehr interessieren. Und genau dies soll bis Ende Jahr geschehen, wie Recherchen von zentral+ zeigen. Heinz Marti ist Inhaber der Sinnlicht GmbH mit Sitz in der Industriestrasse. Und Mitinitiant der Neugründung. Er sagt: «In der Stadt gibt es zwar sehr viele kleine Gewerbebetriebe. Aber wir fühlen uns vom Wirtschaftsverband nicht vertreten. Deshalb formieren wir uns nun selber.»

«Die kleineren Betriebe sind oft etwas agiler, leistungsbereiter, hungriger und kreativer als die grossen.»

Heinz Marti, Inhaber Sinnlicht GmbH

Es brauche in der Stadt eine eigenständige Kraft, welche die Interessen der Kleingewerbler vertrete. Damit meint Marti Betriebe mit ein bis zwölf Mitarbeitern. Ziel sei es, ein neues Kapitel in der Wirtschaftsförderung aufzuschlagen. «Wir Kleinen sind lokal, schnell und preiswert. Wir werden aber immer mehr aus der Stadt verdrängt, da Gewerbeflächen verschwinden.» Es mache eine lebendige, vielfältige Stadt aus, dass auch das Kleingewerbe gut vertreten sei. Dieses schaffe auch Arbeitsplätze und Lehrstellen. «Die kleineren Betriebe sind zudem oft etwas agiler, leistungsbereiter, hungriger und kreativer als die grossen.»

Keine Kampfansage, keine Linksgruppierung

Marti legt Wert darauf, nicht in die linke Ecke gedrängt zu werden. «Wir vereinen viel zu viele politische Haltungen und positionieren uns deshalb politisch nicht.» Es sei aber so, dass man wohl mehr Gewerbler aus dem Mitte-Links-Spektrum an Bord habe als der Wirtschaftsverband.

Auch will Marti die Gründung einer eigenen Vereinigung nicht als Kampfansage an den grossen Bruder, den Wirtschaftsverband, verstanden haben. «Wir treten nicht gegen den Wirtschaftsverband an, sondern wollen als eigenständige Kraft wahrgenommen werden und unsere Interessen stärker einbringen.»

«Wir wollen auch ein Stück vom Kuchen, deshalb formieren wir uns nun.»

Heinz Marti, Inhaber Sinnlicht GmbH

Doch was sind denn die spezifischen Interessen der Kleingewerbler im Unterschied zu jenen des Wirtschaftsverbandes? Hier bleibt Marti etwas diffus. Laut ihm geht es etwa darum, dass die städtische Wirtschaftsförderung den Fokus bloss auf der Pflege und Ansiedlung grosser, neuer Firmen lege. Um die Kleinen kümmert sich dabei niemand und ihre Anliegen und Bedürfnisse würden oft zu wenig Gehör bekommen. Das aber bestreitet der städtische Wirtschaftsförderer (siehe Box). Zudem würden sich die «grossen», besser organisierten Gewerbler oft Aufträge gegenseitig zuschanzen. «Wir wollen auch ein Stück vom Kuchen, deshalb formieren wir uns nun.»

Bis zu 500 Mitglieder?

Das Potenzial für die geplante Kleingewerbler-Vereinigung ist laut Marti recht gross. Aktuell sind es zwar erst rund ein Dutzend Firmen, die beim Aufbau helfen. «Aber insgesamt könnten es schon gegen 500 Mitglieder werden», schätzt er. Diese seien wohl grossmehrheitlich eben aktuell nicht organisiert und vertreten, also auch nicht im Wirtschaftsverband. Wie Marti mit seiner Sinnlicht GmbH selber. Der WVL übrigens zählt auch rund 500 Mitglieder (siehe Box).

Ziel sei es nun, sich bis Ende Jahr zu konstituieren. «Wir wollen einen Vorstand gründen und werden als Erstes eine eigene Webseite erstellen. Es wurden schon die ersten Schritte in die Wege geleitet. Ab Ostern möchten wir breiter starten», erklärt Marti die ambitionierten Ziele. Allerdings räumt er ein: «Es ist noch offen, ob das Projekt zum Fliegen kommt.»

Schwerer Unfall des «Sprachrohrs»

Diesbezüglich erschwerend wirkt der Umstand, dass Philipp Ambühl kürzlich einen schweren Töffunfall hatte und nicht arbeiten kann. Ambühl ist Mitinitiant des Projekts und gilt als dessen Sprachrohr. «Philipp Ambühl ist auf dem Weg der Genesung und wir wissen: Wenn er wieder gesund ist, wirkt er wieder mit vollem Elan mit.»

Mit dem Wirtschaftsverband haben Marti und sein Team bislang übrigens noch keinen Kontakt aufgenommen. Die etwas schwammige Begründung: «Dazu ist es noch zu früh. Wir machen jetzt mal vorwärts mit unserem eigenen Aufbau.»

Was Alexander Gonzalez, Präsident des städtischen Wirtschaftsverbandes, zur Kritik sagt, lesen Sie hier im grossen Interview.

Diese Verbände setzen sich für die Wirtschaft ein

Der Wirtschaftsverband Stadt Luzern (WVL) gehört mit seinen rund 500 Mitgliedern zum Gewerbeverband des Kantons Luzern. Er versteht sich als «Sprachrohr für das Luzerner Gewerbe». Er fordert wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen und macht sich für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort stark. Der WVL bekennt sich laut Statuten zu einer bürgerlichen Stossrichtung. Dort steht weiter: «Er hält sich aus der Parteipolitik heraus.» Das schliesst aber nicht aus, dass sich der WVL für Themen engagiert, die ihm wichtig sind – wie der Support für die SVP-Initiative «Für einen flüssigen Verkehr» gezeigt hat.

Nebst dem WVL engagiert sich in der Stadt Luzern noch die City Vereinigung Luzern (CVL) für die Wirtschaft. Die CVL zählt über 200 Geschäfte, Gewerbetreibende und Privatpersonen zu ihren Mitgliedern. Die Vereinigung wird präsidiert von Franz Stalder und will die Attraktivität von Luzern als Einkaufsstadt sowie als Handels-, Wirtschafts-, Tourismus- und Begegnungszentrum der Zentralschweiz fördern.

Weiter gibt es auch den kantonalen Detaillistenverband (DVL), der auch in der Stadt aktiv ist. Er vertritt die Interessen der KMU-Detaillisten aller Branchen in der breiten Öffentlichkeit und setzt deren Anliegen und Ansprüche in Politik und Wirtschaft durch. Präsident ist Heinz Bossert. Dem DVL sind rund 600 Mitglieder aus 50 Branchen mit zirka 5’500 Arbeitnehmern sowie rund 1’000 Lernenden angeschlossen.

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