Corona-Härtefälle: Kanton Luzern wird grosszügiger

Aufatmen bei Schaustellern, Reisebüros – und grossen sowie jungen Gastrobetrieben

Zum Schreien: Die Situation vieler Schausteller ist mangels Anlässen in den letzten 15 Monaten dramatisch.

Der Kanton Luzern beseitigt unschöne Nebenwirkungen der bisherigen Corona-Unterstützung für die Wirtschaft. Hunderte Firmen dürfen mit mehr Geld rechnen. Wer davon profitiert, wie schnell es vorwärtsgeht – und was Zombies mit dem Thema zu tun haben.

Der Winter war hart: Für die Bevölkerung im Lockdown, für die Firmen in der Krise, für die Politik in der niederprasselnden Dauerkritik. In Luzern sorgte insbesondere die Härtefallregelung für Unmut. Zu langsam, unfair, intransparent sei sie, bemängelten Unternehmer und Politikerinnen unisono. «Viele Unternehmen hängen komplett in der Luft», hiess es Mitte März im Kantonsrat (zentralplus berichtete).

Mit dem Frühling kehrt jetzt auch in der Politik die Sonne zurück. Am Donnerstag präsentierte Finanzdirektor Reto Wyss die neue Lösung – in demonstrativer Einigkeit mit den Kantonsparlamentariern Gaudenz Zemp (FDP) von der Arbeitgeber- und Marcel Budmiger (SP) von der Arbeitnehmerseite (zentralplus berichtete).

Wem hilft die neue Regelung?

Vorab. Es ist kompliziert. Aber wir geben uns Mühe, die Sache verständlich zu machen. Dazu helfen – wie so oft – konkrete Beispiele.

  • Beispiel Reisebüro: Anders als Restaurants oder Kleiderläden durften Reisebüros immer offen haben. Doch wer will in diesen Zeiten eine Weltreise oder die Flitterwochen auf den Seychellen buchen? Eben. Viele erlitten grosse Umsatzeinbrüche, Angestellte sind oft seit über einem Jahr in Kurzarbeit. Doch bislang erhielten Reisebüros kaum mehr als Nothilfe. Denn 90 Prozent der Unterstützung wurde in Form von Krediten ausbezahlt - mussten also irgendwann wieder zurückbezahlt werden. Nach viel Kritik ändert sich das nun: Neu erhalten sie einen Beitrag an ihre Fixkosten, den sie nicht zurückbezahlen müssen. Er beträgt maximal 20 Prozent des Umsatzes, höchstens aber 5 Millionen Franken. Berechnet wird die Unterstützung nach pauschalen Fixkostenansätzen, die für jede Branche festgelegt wurden (siehe Box). Von der Neuerung profitieren alle Unternehmen, die nicht behördlich geschlossen wurden, aber mindestens 40 Prozent an Umsatz einbüssten – beispielsweise Hotels, Schausteller oder Cateringfirmen.
  • Beispiel Gastrokette: Am 18. Dezember schloss der Bundesrat alle Restaurants. Wer mehr als 40 Tage zu war, bekam später eine erleichterte Unterstützung. Doch der Maximalbetrag lag bei 750’000 Franken. Bei grossen Ketten, beispielsweise in der Gastronomie, wo einige Firmen mehrere Restaurants betreiben, deckte dies aber nur einen Teil der Fixkosten. Neu hat der Bund diese Limite erhöht – was auch im Kanton Luzern entsprechend umgesetzt wird. Das Maximum liegt neuerdings bei fünf Millionen Franken. Laut Finanzdirektor Reto Wyss sind 15 bis 20 Firmen im Kanton Luzern davon betroffen.
  • Beispiel Jungunternehmen: Wer nach dem 1. März 2020 gegründet wurde, hatte bislang leider Pech gehabt. Das betraf in Luzern zum Beispiel die neuen Betreiber der «Hafenbar» in der alten Metzgerhalle am Kasernenplatz (zentralplus berichtete). Für sie gibt es nun Hoffnung: Der Stichtag ist neu auf den 1. Oktober 2020 angesetzt worden. Der Kanton prüft jetzt die bisherigen Gesuche nochmals. Wer bislang keinen Antrag auf Unterstützung eingereicht hat, kann dies nachholen.

Ist die Ungleichbehandlung damit vom Tisch?

Einer der grossen Kritikpunkte war bislang die Ungleichbehandlung zwischen zwangsgeschlossenen Betrieben und den restlichen Firmen. Denn während ein Restaurant zum Beispiel einen Teil der Fixkosten erstattet bekam, erhielt ein Hotel für dieselben Auslagen einen Kredit, den es später zurückzahlen muss.

Das ist nun behoben. «Wir haben nicht mehr diese unglaubliche Diskrepanz, die es bislang gab», freut sich Gaudenz Zemp, Direktor des KMU- und Gewerbeverbandes des Kantons Luzern.

«Die Unternehmen können klar jetzt nachvollziehen, in welche Kategorie sie gehören.»

Marcel Budmiger, Gewerkschaftsbund

Ein weiterer Vorteil ist die Transparenz: Bislang entschied ein Expertengremium, wer bei den ordentlichen Härtefällen wie viel Geld bekommt – die Betroffenen konnten dieser Berechnung oft nicht folgen. Neu ist der Fixkostenanteil klar geregelt. «Das gibt den Unternehmen Planungssicherheit», lobte Marcel Budmiger, Geschäftsleiter des Luzerner Gewerkschaftsbundes. «Sie können klar nachvollziehen, in welche Kategorie sie gehören.»

Und auch wenn das zum jetzigen Zeitpunkt, wo die meisten ihr Gesuch schon eingereicht haben, ein schwacher Trost ist: Der Papierkram für die Firmen wird kleiner, denn die neue Lösung basiert auf pauschalen Fixkostensätzen und ist somit deutlich weniger bürokratisch.

Diese Fixkostensätze gelten
  • 8 Prozent der Umsatzeinbusse für Reisebüros, Grosshandel, Autohändler
  • 15 Prozent für Detailhandel
  • 25 Prozent für alle übrigen Firmen, zum Beispiel Hotels, Schausteller oder Carunternehmen

Bis wann kommt das zusätzliche Geld?

Betroffen sind hauptsächlich die ordentlichen Härtefälle – die nur 15 Prozent aller Gesuche ausmachen. Laut Finanzdirektor Reto Wyss werde das Finanzdepartement die Überarbeitung für 2020 «innert weniger Wochen» abschliessen können. Das Geld soll also rasch fliessen.

Wie kommt die Lösung in der Politik an?

Die ersten Reaktionen zeigen, dass die neue Regelung auf viel Wohlwollen stösst. CVP, GLP und SVP begrüssen die neue Lösung gemäss Mitteilung. Auch FDP-Kantonsrat Gaudenz Zemp und SP-Kantonsrat Marcel Budmiger können gut damit leben, wie sie am Donnerstag betonten.

Wie kommen die Gesuche voran?

Laut Finanzdirektor Reto Wyss sind bislang 78 Prozent der insgesamt 1435 eingegangenen Gesuche bearbeitet worden. Er zeigte sich am Donnerstag optimistisch, dass bald die 90-Prozent-Marke erreicht wird. Insgesamt wurden bis jetzt rund 66 Millionen Franken an Härtefallgeldern ausbezahlt.

«Für viele Firmen geht es um Leben oder Tod.»

Gaudenz Zemp, KMU- und Gewerbeverband Luzern

Wyss rechnet nicht damit, dass noch viel mehr neue Gesuche eingehen. Im Juli haben die Firmen allerdings erneut die Möglichkeit, ihre Ausfälle im ersten Halbjahr 2021 zu melden – dann dürfte der Kanton wieder einiges zu tun haben.

Was ist mit Fitnesscentern und Terrassen?

Obwohl seit Anfang Woche die Beizen wieder draussen Gäste bewirten und die Kinos wieder Filme zeigen: Für sie ändert sich vorerst noch nichts. Die Betroffenen müssen also keine Angst haben, dass sie für ihre Bemühungen bestraft werden. Bis Ende April erhalten sie nach dem bisherigen Modell Härtefallunterstützung. Im Mai will der Kanton die Situation aber neu beurteilen und entscheiden, wie es weitergeht.

Laut Finanzdirektor Reto Wyss ist denkbar, dass auch Restaurants und Fitnesszentren künftig nach dem neuen System beurteilt werden. Der Vorteil: Sie könnten auch Geld beantragen, wenn sie nicht mehr zwangsgeschlossen sind. Der Nachteil: Manche kämen finanziell schlechter weg. Bereits erhaltene Summen zurückzahlen müsse aber niemand, versichert Wyss.

Ist die Kritik jetzt verstummt?

Man kann sicher sagen: Reto Wyss ist es gelungen, die Wogen zu glätten und zusammen mit den Sozialpartnern und betroffenen Branchen eine bessere Lösung auf die Beine zu stellen. Gaudenz Zemp vom Gewerbeverband würdigte am Donnerstag, dass sich bei der Kommunikation, die in der Vergangenheit «teilweise wirklich unglücklich» war, viel verbessert habe. Trotz der teilweise emotionalen Ausgangslage («Für viele Firmen geht es um Leben oder Tod») lobte der Gewerbeverbandsdirektor die gute Gesprächskultur in der Projektgruppe, die das neue Modell besprochen und gutgeheissen hatte.

Ähnlich versöhnliche Töne schlug Marcel Budmiger vom Gewerkschaftsbund an. «Die Härtefallregelung ist mehrmals überarbeitet worden – und sie ist mit jedem Schritt besser geworden.» Die Anliegen der Arbeitnehmerseite seien erhört worden.

Konnten sich einigen (von links): Gewerkschafter Marcel Budmiger, Regierungsrat Reto Wyss und Gewerbeverbandsdirektor Gaudenz Zemp. (Bild: jal)

Trotzdem ist natürlich nicht alles perfekt. Gaudenz Zemp vom KGL erwähnte das Risiko von «Zombies»: Der Staat solle nicht den Strukturwandel behindern, indem er Unternehmen rette, die eigentlich nicht überlebensfähig sind. Ebenso machte er keinen Hehl daraus, dass sich die Luzerner Wirtschaft beim Testen und Impfen mehr Tempo wünscht – denn sie strebe eine schnellstmögliche Öffnung an.

Auf der anderen Seite forderte Marcel Budmiger vom Gewerkschaftsbund eine konsequente Missbrauchsbekämpfung. Dass eine Firma Härtefallgeld beziehe und gleichzeitig im grossen Stil Kündigungen ausspreche, sei ein «No-Go». Zudem rechnete er vor, dass viele Menschen in Kurzarbeit mit nur 80 Prozent ihres üblichen Einkommens leben müssen. «Für uns sind auch das Härtefälle – nicht nur Unternehmen, sondern auch die Menschen.» 

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