Mikrokosmos Studentenverbindung

Auf zum elenden Bierstreit!

Eine lange und bierselige Tradition –  seit über hundert Jahren sind in Luzern verschiedene Studentenverbindungen anzutreffen. Viele Klischees haben sich über die Jahre festgesetzt und sorgen bei einigen Burschenschaften für Nachwuchsprobleme. Andere schaffen es, geschickt neue Mitglieder anzuwerben.

Uniformierte, äusserst trinkfreudige Studenten mit seltsamen Hüten und elitär anmutendem Slang – Klischees über Studentenverbindungen gibt es zuhauf. Auch in Luzern tummeln sich diverse solcher Burschenschaften. Für Wirtschaftsstudenten der Hochschule Luzern (HSLU) gibt’s die «Oeconomia Lucernensis», während sich im «Schlüssel» in der Luzerner Altstadt Anhänger der gesamtschweizerischen «Zofingia» jede Woche zu einem Bierchen treffen. Die grössten Studentenverbindungen der Stadt sind aber die «Semper Fidelis» und die «A.V. Waldstättia». Die beiden haben nicht nur die Vorliebe für kühlen Gerstensaft gemein, sondern auch ihre Wurzeln.

 

Aufspaltung in Theologen und Gymnasiasten

Schon seit 174 Jahren gibt es den Schweizerischen Studentenverein (StV). Dessen Sektionen finden sich in der ganzen Schweiz und auch im benachbarten Ausland. 1843 entstand die Sektion in Luzern, die man ab 1870 wegen des langjährigen Bestehens Semper Fidelis, also «immer treu», nannte. 1889 teilte sich die Sektion auf: Theologen und Gymnasiasten gingen fortan getrennte Wege. Den Ableger der Theologen kannte man von da an unter dem Namen Waldstättia. Unter den Semper Fidelis findet man heute keine Gymnasiasten mehr: Vor etwa zehn Jahren wurde die Verbindung rein akademisch.

«Bricht ein elender Bierstreit aus, so sollen sich Brummer und Gebrummter in einem fairen Bierduell messen.»

Aus dem Komment der A.V. Waldstättia

Optisch unterscheiden sich die zwei Verbindungen bis heute kaum: Beide tragen Anzüge (die Frauen der Waldstättia auch Kostüme), darüber ein Band diagonal über die Brust. Die Farbe des Bandes zeigt, welchen Rang und welche Ämter (Chargen genannt) das jeweilige Mitglied innehat. Grundsätzlich dominieren die Farben Rot, Weiss und Grün. Rot steht für Freundschaft, Weiss für Wissenschaft und Grün für Tugend. Lediglich der Rotton variiert von Sektion zu Sektion – jener der Waldstättia ist weinrot, während die Semper Fidelis Mützen in knalligem Rot tragen.

 

Mitglieder der A.V. Waldstättia geniessen ein kühles Bier.

Mitglieder der A.V. Waldstättia geniessen ein kühles Bier.

(Bild: zvg)

Parodiertes Regelwerk

Sämtliche Bräuche, Aufnahmeriten und Gepflogenheiten finden sich im sogenannten Komment einer Verbindung. Als Parodie entstand im 19. Jahrhundert der Bier-Komment, den man auch bei der A.V. Waldstättia findet. So heisst es beispielsweise unter Kapitel 6, das die «Bierduelle» regelt: «Bricht ein elender Bierstreit aus, so sollen sich Brummer und Gebrummter in einem fairen Bierduell messen. Auf die Duellfrage ‹N.N. Bierjunge!› hat der Gebrummte sofort mit ‹Sitzt› oder ‹Sitzt nicht› zu reagieren, ausser er sei bierkrank.» Für Aussenstehende mutet dieser Wortschatz seltsam an. Genau das will man bezwecken: So grenzt sich die Studentenverbindung ab und schafft sich ihren eigenen Mikrokosmos. Der eigenwillige Sprachgebrauch dient also der Identitätsstiftung. Oder, wie Sebastian Sutter, Komitee-Mitglied der Verbindung, es formuliert, «der Vereinfachung der Kommunikation und der spielerischen Schaffung einer kollegialen Atmosphäre.»

«Konkurrenz herrscht höchstens im sportlichen Sinne.»

Sebastian Sutter, A.V. Waldstättia

Ideologisch geprägt

Ursprünglich hatte die Waldstättia eine katholisch-konservative Gesinnung. Heute äussert sich das noch an den Gottesdiensten, die fester Bestandteil von offiziellen festlichen Anlässen sind. Ansonsten habe sich das Spektrum aber stark erweitert, sagt Sebastian Sutter. Seit 1977 sind auch Protestanten in der Burschenschaft willkommen. «Inzwischen gibt es zahlreiche Mitglieder, die auch Gesinnungen ausserhalb des Christentums pflegen», erklärt Sutter.

Während bei der Waldstättia der religiöse Grundgedanke dominiert, ist es bei Semper Fidelis der politische. Bis 1972 war der Schweizerische Studentenverein eng mit der CVP verknüpft. Offiziell ist die A.V. Semper Fidelis heute politisch neutral, es engagieren sich aber immer noch viele Mitglieder in der Partei. Eine Auseinandersetzung mit den politischen Tagesthemen werde erwartet, sagt Charles Schnyder.

Wie der Biergenuss gehört bei den Anlässen der Verbindungen auch das Singen dazu.

Wie der Biergenuss gehört bei den Anlässen der Verbindungen auch das Singen dazu.

(Bild: zvg)

Trotz ihrer konservativen Vergangenheit ist die A.V. Waldstättia die einzige Studentenverbindung in Luzern, die Frauen aufnimmt. Von den sechs Aktiven, den sogenannten Aktivitas, seien die meisten Frauen, sagt Schnyder. Mit der Eröffnung der Universität Luzern stiessen im Jahr 2000 neben den Theologiestudenten auch Mitglieder anderer Fachrichtungen dazu. Trotz der starken Öffnung in den vergangen 50 Jahren hat die Verbindung mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Die vielen Vorurteile, die man Studentenverbindungen gegenüber hat, seien ein Grund dafür, meint Sebastian Sutter. Ausserdem schreckten viele Studenten vor der Verpflichtung zurück. Konkurrenz zu Semper Fidelis herrsche «höchstens in einem sportlichen Sinne». Mindestens einmal pro Semester veranstalten die beiden ehemals zusammengehörenden Verbindungen einen gemeinsamen Anlass. 

Semper Fidelis plagen keine Nachwuchssorgen

Der Austausch zwischen den beiden Burschenschaften sei wichtig, bestätigt Charles Schnyder von Semper Fidelis. «Auch wenn oder gerade weil unsere Verbindung eine traditionelle Männerverbindung ist, sind Besuche aus gemischten Verbindungen immer willkommen.» Das Nachwuchsproblem scheint bei den Semper Fidelis nicht so akut zu sein wie bei der Waldstättia: In den letzten sieben Jahren ist die Anzahl der aktiven Mitglieder von 3 auf 28 angewachsen. Dies auch dank einem «bewährten Werbekonzepts», wie Schnyder sagt. An den Eröffnungstagen der Universität stellt die Semper Fidelis ihre Verbindung vor und gewinnt so jedes Semester zwei bis drei Neumitglieder.

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