Zuger Barfestival Primavera lockt Zuschauer an

Atemlos durch die Altstadt

Die «Acoustic Horse Riders» bei ihrem ersten Set – da gab es noch ein Durchkommen im «im Hof».

(Bild: lli)

Lange wurde gemunkelt, geshared und eingeladen und am Freitagabend war es so weit: Primavera – das Barfestival, das eigentlich kein Festival ist, trieb die Zuger aus den Häusern. zentralplus hat sich ins Getümmel gestürzt und versucht, sämtliche Konzerte zu besuchen.

Das dicht gedrängte Programm startet um 17 Uhr auf dem Platz vor dem Rathauskeller. Zwischen weiss gedeckten Stehtischen und einem Austern-Stand gibt sich Count Vlad mit seinem schönen Bariton die Ehre. Ebenfalls zwischen Tisch und Austern: das Publikum. Zu Konzertbeginn noch mehrheitlich Angehörige und Bekannte, füllt sich mit jedem Lied der Platz mehr und mehr. Ein paar Schwätzchen später ist es schon fast 18 Uhr und somit Zeit für das erste Set der Acoustic Horse Riders im Lokal «im Hof».

Die Schwyz-Zugerische Formation spielt sich mit Polo Hofers «Wyssebüehl» warm. Mit zwei Gitarren, einem Bass, Djembe anstelle eines Schlagzeuges und einer Sängerin. Dicht aneinander gedrängt, spielen die jungen Musiker ihren Folk-Schlager, sehr zur Erheiterung des Publikums. Auch das «im Hof» füllt sich stetig. Das Barpersonal rennt bereits jetzt, schnetzelt Orangen und bereitet Teller fürs Abendessen vor. Auf den meisten Tischen prangt ein «Reserviert»-Schild – da haben wohl einige mitgedacht.

«Ich hab da was in der Zeitung gelesen», erzählt ein älterer Herr am Tisch. «Sonst weiss ich ja nie so genau, was läuft, aber heute kann ich nichts falsch machen.» Vor dem Tisch tanzt ein kleiner Bub im Sonntagsanzug vorbei, die Mutter hinterher. «Diä chömed sicher grad vom Standesamt», mutmasst der Herr und prostet den Umstehenden zu. Ein Blick auf das Programm verrät aber, dass der «Platzhirsch» ruft – da haben gleichzeitig Phil & Tanja Dankner ihr Set begonnen.

Platznot!

Vor dem «Platzhirsch» trifft uns das erste Mal der Schlag. Der Hirsch selbst ist voll bis auf den letzten Stehplatz, lediglich an den hinteren Tischen draussen auf dem Hirschenplatz hat’s noch Lücken. Und das um halb Sieben. «Ah schön, du bisch au da!», und «Hey Hoooi!», erklingt es, wann immer jemand den Platz überquert. Das Primavera scheint unabsichtlich zu einem Gesamtzuger Klassentreffen geworden zu sein.

Solokünstler Akim im Felsenkeller.

Solokünstler Akim im Felsenkeller.

(Bild: lli)

Will man sich, eingequetscht zwischen all den Menschen, zur Bar durchkämpfen, um den Dankners zuzuhören, scheitert man kläglich. Also weiter zum Zytclub, wo Jazz gespielt wird. Auch da ist schon viel Publikum, aber noch genügend Platz, dass die Getränke an den Tischen serviert werden. Wie schon den ganzen Abend sitzen Fremde mit Fremden an den Tischen und führen eifrig Gespräche über gemeinsame Bekannte und alte Zeiten, lauschen der Musik und applaudieren, als ginge es um ihr Leben.

Kaum hingesessen, tickt die Uhr unerbittlich weiter: 19 Uhr im Felsenkeller, die nächste Band. In diesem Falle der One-man-band-Musiker Akim. Da der Felsenkeller schräg vis-à-vis vom Zytclub zu finden ist, ist schon von Weitem ersichtlich, dass auch auf der anderen Seite der Platz knapp wird. Die Bar draussen aufgebaut, ein paar Festbänke rundherum, eine Liveübertragung nach draussen und schon gab es genügend Platz, um drinnen dem Konzert zu lauschen.

«Ah schön, du bisch au da!»

Meistgerufener Satz am Primavera

Umgeben von Weinflaschen, mit Bluesgitarre, Stompbox, einer kratzigen Stimme und einem wahnsinnig tollen Cover von Blackstreets «No Diggity». Und dann ist auch diese Bar plötzlich bis auf den letzten Platz gefüllt. «So toll, dass es endlich auch in Zug ein Barfestival gibt. Das bringt doch Leben in die Stadt!», schreit mir eine Bekannte ins Ohr, als ihr meine Kamera und das Notizbuch auffallen.

Auf dem Weg zur Bar de Boeuf bereits das nächste bekannte Gesicht: «Für die Zeitung unterwegs? Dann komm doch noch bei uns vorbei», lacht der «Viel-Jazz»-Tontechniker und setzt uns auf die Gästeliste. «Ob du über neun oder zehn Bands schreibst, merkt eh keiner.»

Spontane Untreue

Also geht das Programm kurz nach 20 Uhr im Burgbachkeller weiter. Dort geben sich Die Pilze die Ehre. Was im ersten Moment nach humoristischem Sonntagabendprogramm klingt, tönt in Echt bezaubernd. Das Sextett rund um Altsaxophonist Benedikt Reising hat mit dem ersten, fast zaghaften Ton auf dem Rhodes-Piano das Publikum am Kragen gepackt und in eine andere Welt verfrachtet.

Primavera-Auftakt mit Count Vlad vor dem Rathauskeller.

Primavera-Auftakt mit Count Vlad vor dem Rathauskeller.

(Bild: lli)

Eine Welt, in der es zu heiss ist, um sich zu bewegen, und der Asphalt flimmert. Auf den Gesichtern des Publikums macht sich ein Lächeln breit, welches nur erscheint, wenn die Musik einfach gut ist. «Das war ‹Der Tanz Unter Dem Schimmelpilz›», erklärt der Bandleader unter viel Applaus und vielleicht ist diese Formation ja doch ein bisschen silly. «Ist es euch zu laut?», fragt Reising. «Nein. Alles super!», schallt es aus dem Publikum zurück. Und die Begeisterung steckt an. Leider ist der Spass viel zu schnell vorbei, es ist halb neun, Treffpunkt Bar du Boeuf.

Noch mehr Platznot!

Dort hört man draussen bereits den satten Blues The Hats, schwer wie das Bier und die Wochenendmüdigkeit, die sich langsam breit macht. Auch im Ochsen ist nicht wirklich ein Durchkommen – das Publikum steht knapp eine Armlänge von den Musikern entfernt, zusammengedrängt bis zum Ausgang. Auch hier wird applaudiert, als hätte Zug sowas noch nie gesehen. Mittlerweile ist das Publikum gut durchmischt.

Pfeifen rauchende alte Männer, zurechtgemachte Frauen mit Handtäschchen, Jungspunde, hie und da noch ein Kind in Begleitung der Eltern. «Du, s isch Früelig, da chömed d Zuger us irne Löcher gkroche», sagte eine Dame mittleren Alters zu ihrer Kollegin, als diese sich über die vielen Leute auf dem Weg zur Toilette beschwerte. «Guät, gmüetlichi Konzert hett ich mier scho chli andersch vorgschtellt», führt sie weiter aus und zeigt auf das Primaveraplakat, welches an der Türe klebt. Darauf deutlich zu lesen: «Gemütliche Konzerte in der Zuger Altstadt».

«Du, s isch Früelig, da chömed d Zuger us irne Löcher gkroche.»

Besucherin Primavera

Die beiden blicken auf die Menschenmasse, kichern und kehren an ihren Tisch zurück, wo der Rest der Truppe mit vollen Apérol-Gläsern auf sie wartet. Gleichzeitig singt in der Panorama-Schiffbar Rachel Divà mit ihrem Gitarristen und dem Sonnenuntergang im Rücken, im Zytclub sind mittlerweile John Doe Band auf der Bühne und die Leute tanzen zur irish-folk-angehauchten Musik.

Wir ziehen weiter zum «Why not»-Pub, wo sich The Schlimmer Twins hingebungsvoll an «Sweet Home Alabama» versuchen.

Die Altstadt lebt!

Mitternacht rückt näher, die Bars sind immer noch vollgestopft, und nur mit viel Rumhüpfen kann man überhaupt einen Blick auf die letzte Band Kurious Kurt & Soehne erhaschen. Dafür entdecken wir Beno Staub und Martin Fassbind, die Initiatoren des Primavera, beim Fischmarkt. «Es läuft viel besser, als wir es gedacht hatten», erzählt Staub.

The Schlimmer Twins im Why not.

The Schlimmer Twins im Why not.

(Bild: lli)

«Die Beizer haben’s unglaublich im Griff, trotz des riesigen Andrangs – wahnsinnig viele Besucher und bisher noch kein Besuch von der Lärmpolizei», grinst Staub und prostet einem vorbeigehenden Pärchen zu. «Aber auch schön, dass die Zuger tatsächlich gekommen sind, anstatt sich immer zu beschweren, dass die Stadt tot ist», wirft ein Primavera-Besucher im Vorbeischlendern ein.

Und vermutlich ist genau dies der Grund für die enthusiastische Stimmung während des ganzen Abends: Wer eine lebendige Stadt will, muss sie selber beleben. Sei es als Besucher, Spaziergänger, Organisator oder Helfer. Denn der Wille und die Wege gibt es. Das hat Primavera am Freitagabend eindrücklich bewiesen und das Primavera-Publikum und alle Beteiligten genauso eindrücklich umgesetzt.

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