Günstiger Wohnraum in Luzern

Areal Industriestrasse: Streit um den «Rabatt»

Frühmorgendliche Aktion vor dem Rathaus. (Bild: Jakob Ineichen)

Das Stadtparlament hat grünes Licht gegeben, damit auf dem Areal Industriestrasse gemeinnützige Wohnungen realisiert werden können. Die Debatte zu den Ausschreibungskriterien war heiss und endlos: Es hatte schon 27 Anträge in der vorberatenden Baukommission gegeben, die nochmals diskutiert wurden, weitere wurden heute im Rat eingereicht. Die IG Industriestrasse bleibt aber skeptisch.

Die IG Industriestrasse sorgte frühmorgen vor der Ratsdebatte für Aufsehen: Vor dem Rathaus empfingen IG-Mitglieder die Parlamentarier. Die Aktionisten hatten sich Masken mit Fotos der Parlamentarier aufgesetzt, in Sprechblasen konnte man lesen, welche vollmundigen Aussagen sie zum Thema schon abgegeben hatten. Und der Plan des Stadtrates wurde unterstützt. Symbolisch wurde über jede Forderung der Exekutive abgestimmt, mit lautem Gejohle. Im Ratssaal ging es weiter. Für Aufsehen sorgte der Zwischenruf eines IG-Mitglieds, als über die Erhaltung der «Porzellanfabrik» debattiert wurde. «Du warst ja noch nie dort!», tönte es plötzlich aus den Zuschauerreihen.

Bürgerliche gegen «Geschenke» und zu viele Vorschriften

Die Stossrichtungen der Luzerner Parteien zum gewünschten gemeinnützigen Wohnbauprojekt, das konnte man heute gut verfolgen, sind die: Der Luzerner FDP geht alles viel zu lange. «Dass 2022 die ersten Wohnungen bezogen werden können, ist für uns inakzeptabel», sagt Riesko Dommann. Ausserdem ist die Wirtschaftspartei gegen Geschenke. Sie stellte den Antrag, den Wert des Grundstücks zur Errechnung des Baurechtszinses für die Genossenschaften, statt um 20 um nur 10 Prozent zu reduzieren.

4 Fragen an Philipp Ambühl

zentral+: Glauben Sie, dass an der Industriestrasse jetzt günstiger Wohnraum entsteht?

Philipp Ambühl: Ich bezweifle es sehr. Aufgrund der Konditionsverschlechterungen durch das Parlament wird es für eine Wohnbaugenossenschaft schwierig, zahlbaren Wohnraum für Familien, Alleinerziehende oder Rentner zu realisieren.

zentral+: Welche Verschlechterungen?

Ambühl: Der Marktwert, den die Stadt als Basis für den Baurechtszins nimmt, ist zu hoch. Er basiert auf dem Kaufangebot des abgelehnten Allreal-Projekts. Man kann nicht einen hohen Baurechtszins verlangen und erwarten, dass die Genossenschaften dann günstigen Wohnraum schaffen. Ausserdem macht man der Baugenossenschaft sehr viele Auflagen, die sie erfüllen muss, die Allreal-Investoren hatten all diese Auflagen nicht. Zudem hat man das G-Net entmachtet. Das Parlament übergibt die Verantwortung für die Realisierbarkeit eines Projekts einfach an die Genossenschaften.

zentral+: Was heisst für die IG Industriestrasse «bezahlbarer Wohnraum»?

Ambühl: Für eine 4,5-Zimmer-Wohnung mit 100 Quadratmetern 1600 bis 1800 Franken.

zentral+: Wird die IG Industriestrasse, wie angekündigt, eine Umsetzungsinitiative einreichen?

Ambühl: Das kann ich noch nicht sagen, ich beschliesse das nicht allein. Wenn alles bachab geht, Ja.

*Philipp Ambühl ist Mediensprecher und Mitglied der IG Industriestrasse

Die SVP kritisiert die ihrer Meinung nach zu vielen Vorschriften. «Die energetischen Vorschriften verunmöglichen vielleicht günstigen Wohnraum», sagt Peter With. Die SVP forderte zwar erschwingbare Wohnungen – Marcel Lingg meinte, man könne ja kleine Zimmer und wenig Komfort anbieten und sich «an brasilianischen Wohnverhältnissen orientieren». Bei der Umsetzung schliesst sich die SVP aber meistens der FDP an und beharrt auf einer hohen Rendite des städtischen Areals. Die CVP laviert und die Grünliberalen wirken ein wenig orientierungslos.

Linke fordern Erfüllung der Volksabstimmungen

SP und Grüne sprachen sich für die von den Stimmberechtigten 2012 angenommenen Forderungen nach günstigen Wohnungen, Familienwohnungen, einem Mix von Wohnen und Raum für Kleingewerbe und Kultur aus. «Städtische Areale müssen nicht immer eine Milchkuh sein», sagt die Grüne Korintha Bärtsch. Marcel Budmiger, SP, kritisierte, dass der verlangte Baurechtszins immer noch nicht bekannt seien und sprach von «spekulativen Bedingungen».

Auswärtige Genossenschaften können sich bewerben

Einige Folgen der heutigen Debatte: Eine Zürcher oder Berner Baugenossenschaft könnte zum Beispiel eine Überbauung auf dem Areal Industriestrasse realisieren. Das Stadtparlament hat beschlossen, dass die lokale Verankerung der Genossenschaft in Luzern, wie auch die Mitgliedschaft in der Genossenschaftsvereinigung «G-Net», keine Bedingung mehr ist. Die Ansichten in dieser Frage entsprachen für einmal nicht dem Links-Rechts-Schema. Die SP sprach sich nämlich für faire Wettbewerbschancen aus. «Wir wollen ausschliessen, dass jemand der nicht aus Luzern stammt, und ein geniales Projekt präsentiert, ausgeschlossen wird», sagte Theres Vinatzer von der SP-Juso-Fraktion.

Abzug von 20 Prozent beibehalten

Ein wichtiger Punkt für interessierte Genossenschaften ist auch, wie hoch der «Genossenschaftsrabatt» für die Abgabe des Lands im Baurecht ist. Der Stadtrat beantragte einen Abzug von 20 Prozent, die Baukommission stützte das. Die FDP beantragte wie erwähnt, den Rabatt auf zehn Prozent zu senken, unterstützt von der SVP. Sie wiesen auf die Lage der Stadtfinanzen hin. Die Linken andererseits finden den zur Berechnung herangezogenen Wert des städtischen Grundstücks Industriestrasse zu hoch. Das Zünglein an der Waage spielte die CVP: Über Mittag änderten die Parlamentarier ihre Meinung. CVP-Grossstadtrat Roger Sonderegger im Rat: «Ich gebe es zu, wir haben einen Fehler gemacht. Die Mehrheit unserer Fraktion ist jetzt für 20 Prozent, eine Minderheit für 10. Jetzt vertreten wir eben zwei Meinungen.» Der Rat sprach sich für die Beibehaltung von 20 Prozent aus. Philipp Ambühl von der IG Industrie: «Ich bin sehr sehr erleichtert.»

Autoarm und 2000 Watt-tauglich

Festgehalten wird auch an der Vorgabe einer autoarmen Überbauung, die Häuser müssen das Energiestadt-Zertifikat für 2000-Watt-Areale erfüllen und den Bauherren wird der Einbezug der Ansprechgruppen im Quartier empfohlen. Alle diese Anliegen wurden von der SVP bekämpft. Glatt durch ging auch ein CVP-Antrag, den Anteil Familienwohnungen von 30 auf 50 Prozent zu erhöhen.
Zudem haben die Parlamentarier der vom Stadtrat eingebrachten Option einer «innovativen Bebauungsstruktur» zugestimmt. Statt «Klötze» will man als Option eine verschachtelte Bebauungsstruktur ermöglichen, die aber mehr Platz braucht. Dafür ist eine Änderung der Bau- und Zonenordnung nötig.
Weiterhin nicht festlegen will sich der Stadtrat auf konkrete Zahlen zu den angestrebten Mietzinsen. «Alle diese Vorgaben müssten in einen Baurechtsvertrag hinein. Das ist nicht Aufgabe des Staates. Ich erwarte von den Wohnbaugenossenschaften, dass es günstige Wohnungen gibt», sagte Baudirektorin Manuela Jost.

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